Die Bewegung der „Gelben Westen“ in Frankreich hat an einem wichtigen Punkt verhindert, dass die Klimahysterie in den Großstädten auf Kosten des ganzen Landes und seiner Auto-Mobilität geht. Aber in Deutschland soll nun genau dieser Weg beschritten werden. Deshalb ist es wichtig, die Alternative herauszuarbeiten, dessen Vorbote die Bewegung der „Gelben Westen“ ist.

Die Herausforderung der Peripherie

20. Juli 2019

Man könnte vielleicht denken, dass dieser „späte“ Beitrag zu einer Bewegung, deren (vorläufiger) Höhepunkt gegen Ende des Jahres 2018 lag, ein Nachruf ohne praktische Bedeutung ist. Doch die Bewegung der „Gelben Westen“ („gilets jaunes“) in Frankreich ist hochaktuell. In diesem Herbst schicken sich die Regierenden in Deutschland an, eine CO2-Hochpreispolitik durchzusetzen und das auch auf die gesamte EU auszudehnen. Das aber war der konkrete Punkt, an dem sich die Bewegung der „Gelben Westen“ formiert hat und ein solche Politik vorläufig gestoppt hat.

Und mehr noch: Hier hat sich ein Teil der Bevölkerung, der lange Zeit in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Dingen kaum zu hören war, laut und deutlich zu Wort gemeldet. Damit ist ein Raum, der in der forcierten Europäisierung Frankreichs immer weniger zählte, nun zu einem eigenen Faktor geworden: die innere Peripherie. Die Bürger haben gezeigt, wie zweifelhaft die „Größe“ ist, die die herrschende Politik für sich in Anspruch nimmt.

Und die „Gelben Westen“ stehen ja international gar nicht alleine da. Das Votum der Peripherie spielte auch bei der Brexit-Mehrheit, bei der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und auch bei der Bildung neuer „rechter“ Regierungen in Polen, Tschechien oder Ungarn eine entscheidende Rolle. Zugleich sind die großen Städte deutlicher als bisher zum eigentlichen Kerngebiet eines „linken“ Lagers geworden, das sich mit seinem nationalen Territorialstaat kaum noch verbunden fühlt.  

Aber wie ist das Anliegen der Peripherie zu verstehen? Was bedeutet in dem neuen Gegensatz von peripheren und metropolitanen Räumen „rechts“ und „links“? In den konkreten Anliegen der Gelben Westen sind Grundfragen unseres Verkehrs- und Siedlungssystems enthalten, und damit auch Grundfragen unserer staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung. Mit einem richtigen Instinkt hat diese Bewegung erkannt, dass die dominierende Politik in Frankreich und Europa dabei ist, unter Berufung auf höhere Anliegen wie „Globalisierung“ und „Klimakrise“ radikale Eingriffe in die Existenzgrundlagen der Peripherie vorzunehmen und zugleich die wirtschaftliche und politische Ordnung des ganzen Landes fundamental zu Gunsten der Metropolen zu verschieben.

Im Folgenden wird diese Herausforderung der Peripherie in 24 Thesen dargestellt, die hier in vier Teilen publiziert werden:

I.   Die „Gelben Westen“ haben Frankreich verändert
II.  Das „metropolitane“ und das „periphere“ Frankreich
III. Das Territorium als Ordnungsidee und Entwicklungsmodell  
IV. Zwei verschiedene Grundanlagen der heutigen Politik  

Teil I:  

Die „Gelben Westen“ haben Frankreich verändert

Macrons „Aufbruch“ hat seinen Schwung verloren

Seit dem Beginn der Bewegung der „gilets jaunes“ („Gelbe Westen“) im Oktober 2018, die durch die Einführung einer Ökosteuer auf Benzin und Diesel ausgelöst wurde, ist mehr als ein halbes Jahr vergangen. Die Regierung musste die Einführung zurückziehen, doch das Vertrauensverhältnis zwischen Bevölkerung und Präsident ist nach wie vor erschüttert. Die große Pressekonferenz am 25.April im Elysée-Palast zeigte einen Präsidenten, der recht egozentrisch einen Neuanfang erklärte („une nouvelle ambition“). Aber in der Sache wirken die Vorschläge Macrons zaghaft, halbherzig, ohne klare Richtung. Das deutet darauf hin, dass die „neue Politik“, mit der Macron angetreten ist und seine „Bewegungs-Partei“ („La France en Marche“) gegründet hat, ihren Schwung verloren hat – nicht allein durch das Auftreten der „Gelben Westen“, sondern auch durch innere Schwächen. Es gelingt dieser Politik nicht, eine Akzeptanz für die Einschnitte und Zumutungen herzustellen, zu denen Frankreich angesichts seiner ernsten Lage eigentlich gezwungen wäre. Das liegt daran, dass Macron seine Reformen optimistisch durch schnelle neue Zugewinn-Aussichten legitimiert hat. Es liegt aber auch daran, dass der gesellschaftliche Sektor, auf den er sich stützte, nicht robust genug war, um ohne solche Aussichten auszukommen. Nun geht Macrons Reform-Rechnung nicht auf, und seine Politik zeigt jenen fast gesetzmäßigen Enttäuschungs-Verlauf von großem Aufbruch zu baldiger Erlahmung, den man in unserer Zeit so häufig beobachten kann.

Die robuste Kraft des „peripheren“ Frankreich

Die sozialen Kräfte, auf die sich die „Gelben Westen“ stützen, haben dies Enttäuschungsproblem nicht. Sie haben Einschnitte und Zumutungen schon in reichlichem Maß erfahren. Denn sie kommen aus jenem Teil Frankreichs, der von der Deindustrialisierung besonders betroffen ist. Industrien, die bis in die 1970er Jahre in der Peripherie angesiedelt wurden, wurden in den letzten beiden Jahrzehnten ins Ausland verlagert, und die Sozialpläne für die Entlassenen änderten nichts daran, dass vor Ort kaum Arbeitsalternativen bestanden. Ebenso wurden Infrastrukturen und Dienstleistungen „in der Fläche“ ausgedünnt – insbesondere bei Verkehrsverbindungen, beim Einzelhandel und der Gastronomie, im Schulwesen, bei Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen und bei den Verwaltungsbehörden außerhalb der großen Städte. Diese sozialen Kräfte haben bereits vielfältige Anpassungsleistungen in ihrem Alltagsleben erbracht, und dabei viele mühsame Wege oder auch Einbußen und unerfüllte Bedürfnisse auf sich genommen. Aus Einsicht oder aus Zurückhaltung. Sie waren allerdings zu einem großen Teil nicht bereit, dem optimistischen Aufbruchs-Versprechen Macrons zu folgen und sorgten für sehr hohe Zahlen bei den Wahlenthaltungen. Zum Teil wählten sie trotzig die Partei Marine Le Pens. Die Ankündigung einer zusätzlichen Steuer auf Benzin und Diesel änderte dann die noch bestehende Zurückhaltung. Sie wurde als existenzieller Angriff auf die Lebensmöglichkeiten in peripheren Räumen begriffen – denn sie traf das Automobil, das angesichts der Ausdünnung bei Arbeitsplätzen, Geschäften, Arztpraxen, Schulen, Krankenhäusern, Kultur-Einrichtungen und angesichts der Ausdünnung der öffentlichen Verkehrsmittel immer unverzichtbarer geworden war. Sie war eine Kriegserklärung der Regierung an die Peripherie.

Eine politische Form wurde gefunden: die „Gelben Westen“

Dann gelang etwas, das überhaupt nicht selbstverständlich war: Die Bürger in der Peripherie, die zwar meistens lokal recht gut verbunden waren, aber im größeren räumlichen Maßstab des ganzen Landes viel weniger vernetzt waren als die Großstädter, fanden eine gemeinsame Aktionsform und eine öffentlich sichtbare Ausdrucksform. Sie besetzten die Kreisverkehre und bald auch andere neuralgische Punkte des regionalen und überregionalen Straßenverkehrs – und führten mehr oder weniger lange Blockier-Aktionen durch. Die Posten wurden bald mit Paletten, Feuerstellen und Regenschutz versehen und auf dem Höhepunkt der Bewegung rund um die Uhr besetzt. So bekam „La France profonde“ (das „tiefe Frankreich“), auf einmal ein neues, eigenständiges und weithin sichtbares Gesicht. Und die gelben Westen, die ganz am Anfang nur aus praktischen Gründen für die Sicherheit der Protestierenden getragen wurden, wurden zum Symbol einer ganzen Bewegung. Ein Symbol, das man auch bei sehr vielen Autos vorne hinter der Windschutzscheibe sah. Es war ein sehr treffendes Symbol, weil die gelbe Weste eigentlich bei der Arbeit im Straßenraum getragen wird und das zum physisch-handfesten Habitus dieser Bewegung passte, die eben nicht nur „kommunizieren“ wollte, wie die Protestbewegungen der studierenden Jugend. 

Eine tiefe soziale Verachtung ist sichtbar geworden

Dann, in den ersten Wochen der Aktionen, geschah noch etwas Unerwartetes. Es wurde massiv und von einem vielstimmigen Chor aus politischen Amtsträgern, namhaften Intellektuellen und prominenten Medienleuten versucht, die “gelben Westen“ sozial verächtlich zu machen. Man hätte es in den Kommentaren und Stellungnahmen dabei belassen können, den Forderungen der Bewegung zu widersprechen, aber es wurde immer etwas hinzugefügt – ein Kultur- und Moralurteil wurde über die Beteiligten gefällt. Sie wurden abqualifiziert und verächtlich gemacht. Es war erstaunlich, was da alles in den Urteilenden geschlummert hatte und offenbar nur darauf gewartet hatte, endlich einmal in die Tasten und in die Mikrophone abgelassen zu werden. Dumm seien die Protestierenden und roh, arbeitsscheu und aggressiv, erbärmlich Elendsgestalten und hoffnungslose Sozialfälle. Der Regierungssprecher sprach von „Kettenrauchern und Dieselfahrern“, die „nicht das 21. Jahrhundert verkörpern, das wir wollen“. Und immer war da auch der Hinweis, dass da „Ungebildete“ sich eine Rolle anmaßten, die ihnen nicht zustand. Da sprach nicht nur ein kleine abgehobene „Elite“, sondern ein gehobener akademisch-urbaner Mittelstand – und er sprach mit sichtlicher Empörung darüber, dass das einfache Volk („la France populaire“), von dem man erwartete, dass es stumpf und stumm im Hinterland vor sich hinlebte, auf einmal die politische Bühne betrat. So wurde in Frankreich nicht nur sichtbar, dass es eine Peripherie hat, sondern auch, wie viel versteckter Etablierten-Dünkel gegen diese Peripherie vorhanden war. Ein Dünkel, der an jenes „Sie sprachen vom Volk, als wäre es nicht da“ erinnert, mit dem Alexis de Tocqueville die Situation kurz vor der französischen Revolution von 1789 beschrieb:  
„Da das Volk keinen einzigen Augenblick seit hundertvierzig Jahren auf dem Schauplatz der öffentlichen Angelegenheiten erschienen war, hatte man ganz und gar aufgehört zu glauben, dass es sich jemals wieder dort zeigen könne; da man es so unempfindlich sah, hielt man es für taub, so dass, als man sich für sein Los zu interessieren begann, man in seiner Gegenwart von ihm selbst in einer Weise sprach, als ob es nicht zugegen wäre.“
(Alexis de Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution, 1856)

Die „Gelben Westen“ haben einen Teilerfolg errungen

Eine ganze Zeitlang dachte der Präsident, die Angelegenheit könne mit dieser Einschüchterungs-Kampagne erledigt werden. Er ignorierte demonstrativ die Bewegung, die da irgendwo vom „tiefen Frankreich“ ausging. Und er nahm immer noch nicht Stellung, als das ganze Land schon ordentlich gelb gefärbt war. Noch Ende November ließ er verlauten, dass eine Rücknahme des Steuerbeschlusses völlig ausgeschlossen sei. Aber ein paar Tage später kam die Meldung: Die Steuerpläne werden zurückgezogen. Zunächst für sechs Monate. Inzwischen sind die sechs Monate fast vergangen, aber von einer Wiederaufnahme der Ökosteuer ist nicht mehr die Rede. Die Regierung hat zusätzliche sozialpolitische Zuwendung beschlossen, und sie hat auch Maßnahmen, die die Verwaltungspräsenz in der Fläche und die Finanzausstattung der Kommunen weiter verschlechtert hätten, zurückgezogen. Das sind, gemessen an der Ausgangssituation der Bewegung, beträchtliche Teilerfolge. Sie bedeuten de facto, dass der französische Staatspräsident anerkennen musste, dass es neben seiner Bewegung „La France en Marche“ (die einmal beansprucht hatte, „die“ neue Sozialbewegung in Frankreich zu sein), eine zweite Bewegungskraft im Lande gibt. Eine Bewegungskraft, die noch dazu gewissermaßen ein eigenes Stück Frankreich besaß und gar kein so kleines: die Peripherie.

Allerdings war das nur eine De facto-Anerkennung. Im offiziellen Diskurs wurde keineswegs eine Anerkennung der Gelbwesten als sozialer Bewegung ausgesprochen. Schon das Wort wurde offiziell peinlichst vermieden.  Ebenso wurde keineswegs zuzugeben, dass hinter dieser Bewegung eine ganz eigene Realität mit eigener Würde und eigenen Leidenschaften steht – die sich vom metropolitanen Frankreich, in dem ja die Macron-Mehrheit zu Hause ist, deutlich unterscheidet. Noch ist nicht anerkannt, dass es ein zweites Frankreich gibt, dass auf seine Weise auch „dynamisch“ und „cool“ ist, und dass sich nicht einfach unter das erste subsumieren lässt. So steht auch die soziale Verachtung, die in dieser Auseinandersetzung deutlich geworden ist, weiterhin im Raum. Aber es hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten ein neues Selbstbewusstsein der Peripherie entwickelt und auch die Formen der Geselligkeit haben sich neu belebt. Die „Gelben Westen“ sind nicht nur Ausdruck einer Notlage, sondern auch Ausdruck eines kulturellen Neuerwachens der Peripherie, das schon länger in Gang ist. Auch wenn die Straßenaktionen der Bewegung seltener geworden sind, und auch wenn sie – in Paris und anderen großen Städten – von gewalttätigen Gruppen missbraucht werden, so ist dies neue Leben und Selbstbewusstsein der Peripherie die eigentliche Errungenschaft. Dafür sind die „Gelben Westen“ zu einer bleibenden Referenz geworden, auch wenn ihre Straßenaktionen in diesem Sommer nicht fortgesetzt werden.  

In Frankreich stehen sich nun zwei Lager gegenüber

Doch gibt es natürlich auch weiterhin das andere soziale Lager, das man nicht auf die individuelle Figur des Emanuel Macron verkürzen darf. Auch hier gibt es eine soziale Realität und nicht nur einen einsamen Machthaber oder einen kleinen Elite-Zirkel, sondern einen größeren sozialen Sektor, in dem die gehobene akademischen Mittelschicht eine wichtige Rolle spielt. Deren urbaner Standort ist nicht nur die französische Hauptstadt, sondern auch eine ganze Reihe weiterer Metropolräume, die sogar etwas schneller wachsen als Paris – weshalb das Bild vom „Pariser Zentralismus“ ein überholtes Klischee ist. Doch in diesen sozialen Sektor hat sich eine gewisse Ernüchterung ausgebreitet. Der Reform-Elan ist ermüdet, die Weltoffenheit der Metropolen hat an Glanz verloren. So endet in diesem Frühjahr 2019 ein Zyklus, der mit der Wahl Macrons zum Staatspräsidenten und mit der Eroberung einer parlamentarischen Mehrheit seiner Partei begann. Am Ende dieses Zyklus ist das Macron-Lager noch nicht am Ende, aber es hat sein Monopol auf „Bewegung“ verloren. Nun stehen sich in Frankreich zwei Lager gegenüber und diese Situation könnte noch länger andauern.

Beide Lager sind nicht stark genug, um eine überzeugende Entwicklungsperspektive für ganz Frankreich zu repräsentieren. Das Macron-Lager, das anfangs mit diesem Anspruch angetreten ist, scheint dazu nicht mehr die Kraft zu haben. Auf der anderen Seite hat das „Gelbwesten-Lager“ noch nicht die Kraft, eine Entwicklungsperspektive für die ganze Nation darzustellen. Kurzfristig sind also keine erdrutschartigen Verschiebungen zu erwarten. Aber es wird auch nicht zu irgendeiner Form der Annäherung, der Verständigung oder des Ausgleichs zwischen beiden Lagern kommen. Es gibt keine „Mitte“ zwischen beiden, und sie ist auch nicht erstrebenswert, denn sie würde die Eigenheiten beider Seiten nur verwischen.

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 (Teil II)  

Das „metropolitane“ und das „periphere“ Frankreich

Das metropolitane Ego und der Rest der Welt

In der Auseinandersetzung um die Ökosteuer auf Benzin und Diesel in Frankreich ist ein erstaunliches Maß an Ignoranz gegenüber den Lebens- und Arbeitsformen, die außerhalb der großen Metropolen zu finden sind, zu Tage getreten. Bernhard Pudal schrieb in „Le Monde diplomatique“ Nr. 3-2019:
„Es ist das fehlende politische und soziale Gespür für den wichtigen Platz, den das Automobil im Alltagsleben großer Teile der unteren Schichten einnimmt, gegen die sich die Gelbwesten-Bewegung formiert hat. Vervielfachung der Radarkontrollen, Geschwindigkeits-Begrenzung auf Landstraßen auf 80 Stundenkilometer, Preiserhöhungen für Benzin, eine `ökologisch´ genannte Steuer auf Brennstoffe, schärfere und teurere Überprüfungen der technischen Fahrzeug-Sicherheit, Abkehr von der Diesel-Technologie – indem die Mächtigen so die Freiheit der Mobilität einschränkten, haben sie – ohne sich dessen bewusst zu sein – eine ganze Art des Wirtschaftslebens, der Freizeitgestaltung, der Geselligkeit, wie sind insbesondere in ländlichen Gebieten entwickelt worden war, die materielle Grundlage entzogen.“
Es geht also nicht nur um eine Gleichgültigkeit gegenüber den Notlagen, die es in der Peripherie gibt, sondern auch um eine Missachtung der spezifischen Koordinationsformen von Arbeit und Alltag, die hier zu finden sind. Also eine Geringschätzung der Lebensformen, die hier entwickelt wurden und immer wieder erneuert werden. Das regierende Frankreich, das einfach mal eben das Automobil als bezahlbares Massenverkehrsmittel in Frage stellt, ist das metropolitane Frankreich – hier befindet sich die Hauptabteilung der Macron-Partei und der Macron-Wählerschaft. Und dies Frankreich betrachtet sich als den eigentlichen Leistungsträger und die alleinige dynamische Kraft, die den Rest des Landes mitzieht. Und es ist nicht nur ein französisches „juste milieu“, das so tickt, sondern auch ein internationales Milieu. Die Frankreich-Korrespondentin der FAZ, Michaela Wiegel stellte in einem Leitartikel (5.12.2018) unter der Überschrift „Frankreich im gelben Fieber“ eine Verbindung her zwischen den „Gelben Westen“ und jener Mehrheit, die 2005 in Frankreich im Referendum zum EU-Verfassungsentwurf mit „Nein“ stimmte. Sie beschreibt die beiden Lager, die sich schon damals gegenüberstanden, folgendermaßen:
„Auf der einen Seite sammelten sich die, die meinten, dass sie die europäischen Herausforderungen annehmen sollten.Die leistungsbereiten, gut ausgebildeten Franzosen stimmten einmütig mit Ja, sahen sie doch in einer offenen Marktwirtschaft, die im internationalen Wettbewerb steht, viele Aufstiegs- und Erfolgschancen. Doch auf der anderen Seite kamen diejenigen zusammen, die Europa und die damit verbundene Globalisierung als Zumutung und Angriff auf ihr Lebensmodell empfinden. Sie lehnten es ab, schutzlos der Konkurrenz ausgesetzt zu sein, und trotzten der Vorstellung, dass es ihnen in der offenen, bunten und grünen Welt der Europa-Befürworter bessergehen würde. Sie wollten sich ihre `Normalität´ bewahren.“
Da steht es: „…die leistungsbereiten, gut ausgebildeten Franzosen“. So sehen sich die globalisierenden Metropolenbewohner der gehobenen Mittelklasse überall auf der Welt gerne. Der Rest der Welt steht unter dem Generalverdacht, auf der Seite der Faulheit und Dummheit zu stehen – man drückt das nur etwas eleganter aus.

In der Sozialstatistik ist das „periphere Frankreich“ gar nicht so leicht zu finden

Es ist ein großes Verdienst der „Gelben Westen“, dass solche Vorurteile nicht mehr so laut geäußert werden. Diese Bewegung hat einige Stühle im Land zurechtgerückt. Allerdings ist es eine größere Arbeit, all die Täuschungen und Verzerrungen abzuräumen, die das Verhältnis zwischen Metropolen und Peripherien bestimmen. Das beginnt schon bei der Sozialstatistik. Die offizielle Zählweise der französischen Statistikbehörde INSEE unterscheidet zwischen den Kategorien: „Große städtische Räume“ (große Agglomerationen, die 83% der Bevölkerung Frankreichs umfassen); „übrige städtische Räume“ (7,5 % der Bevölkerung); „Gemeinden mit mehreren Zentren“ (4,7 % der Bevölkerung); „Ländliche Gemeinden“ (5 % der Bevölkerung). Diese Einteilung hat einen so vagen Begriff von Bevölkerungshäufungen, dass über 90 % der Franzosen „Städter“ sind und 83 % sogar „Großstädter“. Damit wird die Statistik siedlungsgeographisch vereinseitigt und blind für den großen Bereich von weniger dicht integrierten Siedlungsformen: den regionalen Hauptstädten, den Mittel- und Kleinstädten und den dispersen Siedlungsformen (Ortschaften, Dörfer, Einzelgebäude und Neubaugebiete „im Grünen“). Wenn es nur um ein paar Dörfer und verstreute Häuser ginge, könnte auf dieser Grundlage gegenüber dem „Urbanen“ gar kein zweiter Generalbegriff gebildet werden, der neben der „urban-zentralisierten“ Vergesellschaftung eine andere „territoriale“ Form des gesellschaftlichen Zusammenhalts beinhalten könnte.
Der Sozialgeograph Christophe Guilluy, der im Zusammenhang mit der Gelbwesten-Bewegung viel zitiert wird, hat eine andere Einteilung vorgenommen. Er zählt nur die 25 größten Agglomerationen zu einer Kategorie „das metropolitane Frankreich“. Alle anderen Siedlungsformen zieht er zu der Kategorie „das periphere Frankreich“ zusammen. So kommt er zu folgenden Zahlen (siehe Christophe Guilluy, La France périphérique. Paris 2015):

  Zahl der Gemeinden Bevölkerungsanteil in Frankreich
Metropolitanes Frankreich   2.640   38,7%
Peripheres Frankreich 34.014   61,3%
Summen 36.654 100,0 %

Zweimal Frankreich – was macht den Unterschied aus?

Das „periphere Frankreich“ ist ein sehr heterogener Sammelkomplex, aber er hat den Vorzug, gegenüber der völligen Dominanz eines „urbanen“ 90 Prozent-Komplexes ein echtes Gegengewicht denkbar und wahrnehmbar zu machen. Und tatsächlich kann man zwei wichtige Unterschiede so besser abbilden: Zum einen kann man davon ausgehen, dass die regionalen Hauptstädte und die Mittel- und Kleinstädte stärker mit den nationalen Wertschöpfungsketten und dem französischen Binnenmarkt verbunden sind, während die wirklich großen Metropolen ihre Sonderstellung den internationalen Beziehungen auf europäischer oder globaler Ebene verdanken. Zum anderen könnte sich auch der Unterschied zwischen der physischen Tätigkeiten (vor allem der Industrie) und den entsprechenden Infrastrukturen auf der einen Seite und den wissenslastigen Tätigkeiten (Forschung, Entwicklung, Buchführung, Beratung, Bildung, Medien) auf der anderen Seite in Guilluys Einteilung deutlicher abbilden. Es wäre gewissermaßen, um es mit dem Philosophen Descartes zu sagen, der Unterschied zwischen der „res extensa“ und der „res cogitans“, der sich zwischen Peripherie und Metropole sortiert.

Guilluy wählt, zumindest in dem hier zitierten Buch, eine andere Unterscheidung: Anhand von Sozialindikatoren (dem Anteil der Arbeiter und einfachen Angestellten, dem Durchschnittseinkommen, dem Anteil der Arbeitslosen etc.) bildet er zwei große soziale Sektoren – einen „gehobenen“ Sektor aus Oberschicht und oberer Mittelschicht (den er mit „Integrierte“ überschreibt) und einen „unteren“ Sektor aus Unterschicht und unterer Mittelschicht (den er mit „einfache Leute/fragile Existenzen“ überschreibt). Das Größenverhältnis der beiden Sektoren ist im peripheren Frankreich deutlich anders als im metropolitanen Frankreich: 

  Bevölkerungsanteil „Populaires/Fragiles“ Bevölkerungsanteil „Intégrés“
Metropolitanes Frankreich 27,3 % 65,5 %
Peripheres Frankreich 72,7 % 34,5 %
Summen 100,0 % 100,0%

Auf der einen Seite finden sich also 65,5 % des gehobenen Sektors der französischen Gesellschaft im Metropolen-Raum, während im Peripherie-Raum 72,7 % des unteren Sektors der französischen Gesellschaft leben.
Diese soziale Unterscheidung ist mit Vorsicht zu genießen. Sie legt ja zunächst eine (linke) Sichtweise nahe, die von einem Verteilungskampf zwischen „unten und oben“, „arm und reich“ oder „Volk und Elite“ ausgeht und das Verhältnis zwischen Peripherie und Metropole nach diesem Klassenkampf-Szenario deutet. Aber es sind nicht einfach Güter und Versorgungsansprüche, die zwischen Peripherie und Metropole durch Willkür ungleich verteilt sind und durch „Kampf“ ebenso willkürlich umverteilt werden können. Die Unterschiede zwischen dem peripheren Frankreich und dem metropolitanen Frankreich gehen auf Strukturbildungen von Wirtschaft und Staat zurück. Sie gehen also auf die Gesamtheit einer Ordnung zurück. Aber nicht jede Gesamtheit ist schon eine gute Gesamtheit. Die oben beschriebene Verbindung von Führungsansprüchen und Ignoranz, die die Metropolen gegenüber der Peripherie zeigen, und die jetzt zur Bewegung der „Gelben Westen“ geführt hat, ist ein deutliches Zeichen, dass etwas stimmt nicht mit dem metropolitanen „Hype“. 

Die fragwürdige Wirtschaftsstärke der Metropolen

Der Sozialgeograph Guilluy übernimmt in dem zitierten Buch das Bild der prosperierenden, wirtschaftsstarken Metropolen, ohne Zweifel anzumelden: Die Wirtschaftszahlen, die die Metropolen als Hauptträger des Bruttoinlandsprodukts ausweisen, werden für bare Münze genommen. Nach diesen Zahlen trägt allein der Metropolraum Paris/Ile de France 30 Prozent zum gesamten Bruttoinlandsprodukt Frankreichs bei, während er nur 18 Prozent seiner Bevölkerung umfasst. Nimmt man die 4 größten Metropolräume zusammen, tragen sie zusammen 52,6 Prozent zum BIP bei. Nimmt man die größten 10 Metropolräume, erhält man 80 Prozent des BIP. Das sind erstaunliche, sogar bizarre Zahlen, wenn man die Verteilung der Berufstätigen und der Unternehmen betrachtet, die trotz alle Zentralisierung viel breiter ist, und die daher auf eine beträchtliche realwirtschaftliche Rolle des peripheren Frankreich hinweisen. Diese wird aber offensichtlich durch die BIP-Zahlen nicht vollständig abgebildet.
Zur Begründung wird nun vielfach angeführt, dass sich in den Metropolen die hochqualifizierten Tätigkeiten und Berufstätigen konzentrieren. Mit anderen Worten. Den Leitungsfunktionen, den Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen (und damit der in Frankreich als „cadres“ bezeichneten Führungsschicht und der akademisch qualifizierten Mittelklasse) wird ein Großteil der Wertschöpfung zugerechnet. Im Metropolraum Paris waren 2011 27,9% der Erwerbstätigen „cadres“ oder Angehörige von Berufen mit akademischer Qualifikation („professions intellectuelles supérieures“). Auch in den anderen französischen Metropolräumen nimmt der Anteil dieser Berufsgruppen stark zu.
Aber diese Zurechnung ist sehr fragwürdig, denn es gibt keine sicheren Anhaltspunkte für die Messung der Wertschöpfung. Würde man sie von den Stundensätzen und Einkommenshöhen der akademischen gebildeten, gehobenen Mittelklasse ableiten, so ist die Gefahr eines Zirkelschlusses zwischen Stundensätzen und Einkommenshöhen (und umgekehrt) groß. Die teilweise astronomische Höhe von Beratungsvergütungen ist ein Indiz für eine überhöhte Wertschöpfungs-Rechnung. Ebenso gibt es in den Wertschöpfungsketten schwer nachvollziehbare Terms of trade zwischen Entwicklungsleistungen, Zulieferungsleistungen und Leistungen der Endfertigung. 
Ein zweiter Grund für kritische Nachfragen sollte das starke Wachstum dieser gehobenen Tätigkeiten und Arbeitsplätze sein. Es stimmt: Es gibt eine Ausdehnung der Leitungsfunktionen oder sogenannter „kreativer“ Funktionen. Sie bringt einen ganzen Sektor für „produktive“ Dienstleistungen hervor, und auch eine eigene Baulandschaft, in Form der hochgetürmten, weithin sichtbaren „business districts“. Aber bedeutet das tatsächlich eine im gleichen Maß erhöhte Wertschöpfung? Das kann man mit guten Gründen bezweifeln. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, dass in vielen Ländern, in denen in den vergangenen Jahrzehnten diese „gehobenen“ Tätigkeiten stark gewachsen sind, keine entsprechenden Zuwächse bei der Durchschnittsproduktivität zu verzeichnen waren. Man spricht von einer „Produktivitätskrise“ – und die Tatsache, dass sie parallel zum Metropolen-Hype stattfindet, ist bisher noch kaum erörtert worden.

Ein Dreiecks-Tausch auf Kosten der Peripherie

Zur gleichen Zeit ist die Peripherie von einem wirklichen Verlust betroffen – und das gilt in besonderem Maße für Frankreich: vom Verlust vieler Industrie-Standorte. Bis Mitte der 1970er Jahre war die produktive Rolle der Peripherie durch Industrie-Ansiedlungen noch verstärkt worden. Dann begann der Prozess der Deindustrialisierung, der diesen Raum besonders stark betraf. Bei Guilluy findet sich eine lange Liste von Fabrikstillegungen, die in kleineren Kommunen in der Peripherie stattfanden und – wegen der fehlenden Arbeitsplatz-Alternativen – schwerwiegende Folgen hatten. Aber auch hier kann man eine kritische Frage stellen: Ist das schon der Beweis für eine fehlende Produktivität der Peripherie? Denn diese Deindustrialisierung hat eine internationale, globale Dimension: viele Produktionsstandorte wurden ins Ausland verlagert. Das Verhältnis zwischen dem „metropolitanen Frankreich“ und dem „peripheren Frankreich“ ist nicht nur ein innnerfranzösisches Verhältnis, sondern hat eine äußere, globale Seite. Es wird gewissermaßen „über Bande“ gespielt.
Das Verhältnis zwischen Metropolräumen und peripheren Räumen in Frankreich kann als ein Austausch dargestellt werden, an dem drei Seiten beteiligt sind. Im ersten Schritt werden Industrien aus der französischen Peripherie ins Ausland verlagert, vorzugsweise in Schwellenländer mit niedrigeren Kosten. Dazu kann man auch Länder der europäischen Peripherie rechnen (heute besonders im Osten und Süden). Im Gegenzug fließt ein Teil der Erträge zurück nach Frankreich und es findet dort eine Ausdehnung hochqualifizierter Produktionsschritte und Dienstleistungen statt (Endfertigung, Forschung und Entwicklung, Produktdesign, Werbung, Finanzierung, juristische Vertretung…). Und nun kommt der entscheidende Punkt: Diese Rückflüsse kommen ganz überwiegend den Metropolräumen zugute, während die Peripherie, die am Anfang ja etwas gegeben hat, nun mit leeren Händen dasteht. Die französische Peripherie ist der Verlierer in diesem Dreiecks-Handel. Das gilt auch in sozialer Hinsicht: Was die Unterschicht und untere Mittelschicht an einfachen Arbeitsplätzen abgab, landet am Ende bei der gehobenen, akademischen „urbanen“ Mittelschicht. Diese ist deshalb in der Regel ein Anhänger des „offene“ Frankreich (und bildet sich darauf etwas ein), während die untere Mittelschicht begrenzend „territorial“ denkt und den Binnenmarkt schützen und weiterentwickeln will.

Von wegen „Offenheit“: Globalisierung bedeutet Metropolenherrschaft

Das „offene“ Frankreich ist also in Wahrheit ein räumlich und zahlenmäßig sehr exklusives Frankreich: Zu ihm gehören abgesehen von Ausnahmen nur die Metropolräume. Das „globale“ Frankreich ist das „metropolitane Frankreich“. An dieser Stelle wird deutlich, wie irreführend der Begriff der „Globalisierung“ eigentlich ist. Er täuscht eine große Allgemeinheit vor, denen Erträge und Rechte zugutekommen. In Wirklichkeit müsste man von einer Metropolisierung sprechen, das heißt von einem neuen Unterordnungsverhältnis zwischen Zentren und Peripherien – wobei die ersteren eine aktive Rolle spiele und letzteren nur passiv Veränderungen, auf die sie keinen Einfluss haben, hinnehmen müssen. In der neuen „zentrierten“ Ordnung sind sie in eine neue Abhängigkeit geworfen, die so weit gehen kann, dass ihre produktiven Kräfte völlig stillgelegt werden. Auch politisch kann von einer allgemeinen Demokratie nicht die Rede sein, denn wesentliche Entscheidungen fallen im privilegierten Innenraum der europäischen und globalen Metropolen. 
In Deutschland gab es um das Jahr 2005/2006 eine Diskussion über die „Bazarökonomie“, bei der Exporterfolge nicht mit einer wachsenden Produktionstiefe im eigenen Land einhergehen, sondern immer mehr Vorprodukte aus dem Ausland bezogen werden. Das ging besonders auf Kosten der peripheren Standorte im Lande. In Deutschland beruhigte man sich mit der Tatsache, dass der Export so stark wuchs, dass er die Verluste ausglich. Doch die Gewichtsverlagerung zu Gunsten der Metropolen fand auch hier statt. Und sie nahm in Teilen des „peripheren“ Deutschland – insbesondere im Osten – durchaus Formen der Deindustrialisierung an. Dieser zerstörerische Prozess könnte auf das ganze Land übergreifen, wenn die Ausnahme-Konjunktur und die Ausnahme-Stellung der deutschen Wirtschaft zu Ende gehen. Und dafür gibt es durchaus Anzeichen.                 

An dieser Stelle kann eine Zwischenbilanz gezogen werden: Der politische Kampf, der mit dem Auftreten der „Gelben Westen“ eröffnet wurde, ist eine Auseinandersetzung des „peripheren Frankreich“ mit dem „metropolitanen Frankreich“. Aber es ist mehr als nur ein Umverteilungskampf von links, den es geht nicht nur um Anteile an einem schon bestehenden großen Kuchen. Es geht um einen Existenzkampf, einen Kampf um die Anerkennung fundamentaler Rechte, Eigenständigkeit, Sicherheit, Anschluss. Damit ist im Grunde die Ordnungsfrage aufgeworfen. Nach welcher Ordnung, nach welchem Entwicklungsmodell soll Frankreich regiert werden. Die Ordnung, die die Vorherrschaft des „metropolitanen Frankreich“ beinhaltet, ist eine hochselektive Ordnung. Die Ordnung, die eine Bewegung des „peripheren Frankreich“ auf ihre Fahnen schreiben muss, muss auf ein Allgemeines des ganzen Landes zielen.     

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(Teil III)

Das Territorium als Ordnungsidee und Entwicklungsmodell    

Die Modernität der Peripherie

Es gibt ein hartnäckiges Vorurteil, das in der Peripherie immer nur lokale, selbstgenügsame Gemeinschaften vermutet, mit dörflich-vertrauter Atmosphäre. Die Peripherie wäre also eine Ansammlung vieler kleiner, homogener und geschlossener Welten. Diese Beschreibung, die die Peripherie in die Kontinuität vormoderner Strukturen stellt, ist falsch. Die Peripherie hat eine eigene Art, modern zu sein.
Zu Recht wird die neuzeitliche „Gesellschaft“ von der vormodernen „Gemeinschaft“ unterschieden, und dabei auf die gelockerte, anonyme, „oberflächliche“ Integration hingewiesen, die auch die neuen Freiheitsgrade der Moderne ermöglicht. Es wäre nun ganz falsch, diese Integration nur als (groß-)städtische Errungenschaft zu sehen und in der Peripherie nur ein Nebeneinander isolierter Kleinst-Einheiten zu vermuten. Die Peripherie ist – auf ihre Art – durchaus mobil und vernetzt. Sie ist sogar über weitere Wege vernetzt als die meisten Großstadtbewohner in ihrer Alltags-Mobilität. Deswegen ist dort mit den „Gelben Westen“ auch eine Bewegung entstanden, die sich um die Verteidigung der Mobilität dreht. Das passt nicht ins Bild einer selbstgenügsamen Provinzialität.
Das Integrationsmodell der Peripherie muss anders beschrieben und vom Integrationsmodell der Metropolen-Räume unterschieden werden. An der Peripherie fällt es schwerer, Arbeitsplätze, Wohnungen und Partnerschaften zu wechseln. Man ist mit seinen Investitionen stärker biographisch festgelegt: das gilt für die Investition in einen bestimmten Beruf, aber auch für die Investition in einen Wirtschaftsbetrieb oder eine Immobilie. Die sozialen Beziehungen können dann durchaus weiträumig und komplex sein, aber die Ankerpunkte sind stärker fixiert. Mit anderen Worten: Die anonyme, oberflächliche Gesellschaftlichkeit, die in den Großstädten durch die Kontaktdichte und leichte Zugänglichkeit zur „Vielfalt“ gemildert wird, ist in der modernen Peripherie weniger milde, weil diese Zugänglichkeit. Die Lebensform der Peripherie kann nicht die „Flexibilität“ haben, auf die die Großstädter so stolz sind. Die Integration der Peripherie ist auch anonym und oberflächlich, aber sie ist zusätzlich noch weiträumiger verstreut. Sie ist daher aufwendiger und auch starrer. Sie braucht bewusste Anstrengungen, festere Formen und Rituale. Sie kennt mehr Wiederholungen und weniger Wechsel. Das bedeutet für die Menschen nicht nur physische Zumutungen, sondern auch moralische Zumutungen. Eine der Fragen, die schon Max Weber stark beschäftigt haben (er widmete der Situation der Landarbeiter eine größere Studie) war, wie es die modernen Lohnarbeiter aushalten, im Rahmen einer hochentwickelten Arbeitsteilung ein Leben lang auf einen bestimmten, sehr eng gefassten Beruf festgelegt zu sein – und dabei gleichzeitig einen größeren Umkreis von Möglichkeiten vor Augen zu haben. In diesem Sinn könnte man sagen, dass die Peripherie eine Steigerung dieser modernen Spannungssituation darstellt – und in dieser Hinsicht also ihr typischster Fallist.
Dieser Fall ist für einen erheblichen Teil der Bevölkerung und für den weitaus größeren Teil eines Staatsgebiets die Wirklichkeit. Und mehr noch: Allein auf Basis ihrer urbanen Zentren wäre ein modernes Land gar nicht lebensfähig. Es hätte gar nicht die notwendigen natürlichen und menschlichen Ressourcen. Es hätte auch nicht die kritische Größe, um die Skaleneffekte der Arbeitsteilung nutzen zu können. Kostensteigerungen oder Ausfälle an der Peripherie schlagen daher früher oder später auf die Zentren durch. Deshalb müssen die Institutionen und die materiellen Infrastrukturen der Moderne die periphere Situation miterfassen und mittragen.  

Das „Territorium“ als Institution und Infrastruktur

Bei genauem Hinsehen sind weder die Institutionen noch die materiellen Infrastrukturen in der neuzeitlichen Ära „urban“. Sie sind übergreifend und umfassen (groß)städtische Räume und periphere Räume unterschiedlicher Größe und Ausdehnung. Sie sind „territorial“. Der Begriff des Territoriums ist elementarer Bestandteil des modernen Rechtsstaats als „Territorialstaat“ mit allgemein-verbindlichen Normen und Gesetzen, mit entsprechend ausgelegten und verteilten Organen der Legislative, der Judikative und der Exekutive. Ohne territoriale Verfassung wäre der Begriff der „Allgemeinheit“ gar nicht fassbar. Es gäbe keine repräsentative Demokratie. Es gäbe auch keine Bilanzfähigkeit der staatlichen Einnahmen und Ausgaben und kein Königsrecht des Parlaments, das Budgetrecht. Für die politische Herrschaft bedeutet das Territorialprinzip eine der elementarsten Einhegungen, noch vor der Gewaltenteilung. Nur so kann die Peripherie auf gleicher Rechtsgrundlage am Staats- und Rechtswesen teilhaben.
Nicht zufällig stellt Max Weber seine „Typologie der Städte“ unter den Oberbegriff „illegitime Herrschaft“ und verwendet den Oberbegriff „legitime Herrschaft“ nur für die modernen (territorial verfassten) Staaten (siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Kapitel IX, Abschnitt 7 und 8). Erst hier gibt es echte Legitimationszwänge, weil der Wirkungsraum und der Verantwortungsraum von politischen Entscheidungen annähernd zur Deckung gebracht sind. Es ist daher sehr fragwürdig, wenn heute zum Beispiel in der Soziologie oder in den Medien vielfach von einer „Urbanisierung der Welt“ die Rede ist. Es ist hochproblematisch, wenn es heute in Frankreich Pläne gibt, die Aufteilung des Landes in „Departements“ aufzugeben und stattdessen eine Aufteilung in „Regionen“ (die jeweils auf eine Metropole zentriert sind) einzuführen.
Das Territorium ist aber auch für die moderne Marktwirtschaft konstitutiv. In dem Moment, wo die Produktion große Investitionen erfordert, muss die Kohärenz und Stetigkeit von Märkten steigen. Dazu gehört die Vereinheitlichung technischer Normen, eine vollständigere und feinkörnigere Verkehrserschließung, der Aufbau von Bildungseinrichtungen und Sozialkassen. In seiner „Theory of size and shape of nations“ hat Wirtschaftshistoriker David Friedman einen Zusammenhang hergestellt zwischen der voraussetzungsvolleren Arbeit des Industriezeitalters und einer erhöhten Bedeutung territorialer Grenzen. Er zeigt auch, dass Nationen mit einer vorwiegend industriellen Basis zu einer „mittleren Größe“ tendieren – hinreichend groß, um Skaleneffekte zu nutzen; hinreichend klein, um die aufgebauten Bestände vor Missbrauch und Nachlässigkeit schützen zu können.
Das „Territorium“ bedeutet Abgrenzung und Flächendeckung, aber das bedeutet mehr als die Ziehung von Linien auf einer Landkarte. Das Territorium ist nicht nur eine dünne Decke, die über die reale Welt gelegt wird. Es ist eine gebaute, tragende Struktur. Es bedeutet große Investitionen und ständigen Unterhalt. Als Max Weber von der „anstaltsmäßigen“ Form des modernen Staates sprach, hatte er vor allem die Verwaltungsbehörden und das „stehende“ militärische und polizeiliche Gewaltmonopol des Staates im Auge. Aber mindestens ebenso umfangreich sind die Infrastrukturen für Verkehr, Versorgung, Entsorgung. In ihnen bildet das Territorium eine eigene Materialität aus, die papierne Landkarte wird zur gebauten Realität in Stein und Stahl, zu einer eigenen „stehenden“ Landschafts-Schicht.
Diese Territorialisierung ist von besonderer Bedeutung für die Peripherie. Denn sie bedeutet eine große Erleichterung für das oben beschriebene Problem, dass die Einseitigkeiten in der Peripherie die Menschen besonders festlegen. Sie mildert diese Festlegung und erhöht den Mindeststandard an Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Kultur und Geselligkeit beträchtlich. In der Peripherie ist die Ordnungsidee „Territorium“ kein abstraktes Prinzip, sondern eine konkrete, alltägliche, praktische Realität. Ein Land, das „territorial“ geordnet ist, hat eine Grundlage an rechtlicher und materieller Gleichheit – und diese Gleichheit muss nicht stadtfeindlich sein, sondern kann sie nach unterschiedlichen Zentralitätsaufgaben in eine territoriale Ordnung eingliedern. Walter Christallers Modell der zentralen Orte ist dafür ein Beispiel.        

Die Nation: Erst das Land, dann das Volk

Wenn man sich die Eigenart des „Nationalen“ vor diesem Hintergrund einer territorial verfassten Gesellschaft ansieht, erscheint es in einem neuen Licht. Es steht nicht für ethnisch-biologische Gemeinschaftsbildung und auch nicht für eine personalisierte, charismatische Partei- und Führer-Herrschaft. Stellt man den Gesichtspunkt der Territorialisierung („das Land“) voran, erscheint das, was „Nation“ ist, in einer nüchterneren und rationaleren Gestalt. Sie ist dann ein Gebilde mittlerer Größe und Reichweite, jenseits der provinziellen Enge und Kleinstaaterei, aber diesseits der großen Imperien und ihrer Weltansprüche. Das Territorium wirkt daher anspornend, aber auch mäßigend. Die Schicksalsgemeinschaft der Nation wird also nicht auf eine vorgängige biologische Besonderheit des Volkes begründet, sondern umgekehrt begründet das Territorialprinzip den Rahmen, in dem sich dann geschichtlich eine Schicksalsgemeinschaft mit ihren besonderen Eigenschaften, Erfahrungen und Traditionen entwickelt.
Diese Argumentation „Erst das Land, dann das Volk“ erfordert ein Umdenken, das im Rahmen dieser Thesen nur angedeutet werden kann. Sie bedeutet einen Abschied von Grundidee des „Menschen im Mittelpunkt“, der wir intuitiv immer wieder zuneigen. Mit „dem Land“ stellen wir eine objektiv-räumliche Größe an die erste Stelle. Damit verbunden ist die These, dass die grundlegendste Verschiebung, die mit der Ära der Moderne erfolgte, ein Schub ins Dinglich-Weltlich-Objektive ist. Die moderne Marktwirtschaft und Staatlichkeit entstehen in einem Umfeld, in dem das Objektive (buchstäblich im Sinne des den Menschen „Entgegengeworfene“) ein ganz neues Gewicht hat. Diese Gewichtsverlagerung lässt nicht nur die Hervorbringungen der Zivilisation und Kultur immens wachsen, sondern sie entzieht diese Hervorbringungen auch zu einem erheblichen Teil dem Willen und Wissen der Menschen. Die oben dargestellte Territorialisierung von Institutionen und Infrastrukturen ist eine Antwort auf diese Situation einer immens ausgedehnten, aber nur begrenzt beherrschbaren Weltbezugs. Sie ist die Erschließung einer äußeren Welt, aber sie geschieht durch Abgrenzung eines Inneren in dieser äußeren Welt (das Territorium) und einer Unterscheidung zwischen einer besonders tiefen Durcharbeitung dieses Innen und einer deutlich geringeren Intervention außerhalb der Landesgrenzen: Erst mit den territorial verfassten Nationen scheiden sich Innenpolitik und Außenpolitik, Binnenmarkt und Außenhandel.  
Um die Territorialisierung zu verstehen, reicht es also nicht, „Gesellschaft“ gegen „Gemeinschaft“ zu setzen (im Sinne der Unterscheidung von F. Tönnies). Es muss eine weitere Dimension eingeführt werden: der Sachbezug, das räumlich und zeitlich Objektive, die Verortung in Geographie und Geschichte. Wenn von der Nation im modernen Sinne spricht, will nicht zurück zu einer starr gebundenen Gemeinschaft, sondern er sieht die Nation sehr wohl als Form von „Gesellschaft“. Aber indem er sie als Territorium (als „Land“) begreift und in die Sach-Dimension und -Logik der Moderne stellt, gibt er der Nation eine bestimmte Form und der national geformten Gesellschaft eine neuartige Bindung.
Hier scheiden sich in Wahrheit die Geister zwischen „national“ und „global“. Denn die Vorstellung einer „globalen“ Gesellschaft ist völlig sachfern gewonnen und nur auf zwischenmenschliche Beziehungen (Kommunikationen) gebaut. Sie ist reine Soziologie und kennt nur die Unterscheidung „offen“ oder „geschlossen“. Sie kann deshalb bei den Nationen nur „Geschlossenheit“ finden, und kann auf der anderen Seite leichtfüßig zur global-offenen Weltgesellschaft springen. Der Verdacht liegt nahe, dass aus dieser globalisierenden „reinen“ Soziologie die Erfahrungswelt der Metropolen spricht, in deren Binnenraum sich tatsächlich „die Menschen“ als auffälligste Erscheinung aufdrängen. Allerdings setzt das voraus, dass die Metropolen schon nicht mehr die Peripherie ihres Landes wahrnehmen und nur noch ihre eigene Echokammer bilden.
Das bedeutet auf der anderen Seite, dass eine Rehabilitierung der Nationen sich nicht auf eine Rehabilitierung des Volks beschränken kann – im Sinn einer Suche nach einer unmittelbaren Volks-Identität oder eines Volks-Geistes. Sie muss sich vielmehr zunächst mit der Identität der Nation als Land befassen, mit der Geschichte ihrer gegenständlichen Beziehungen, mit ihrer territorialen Bildungsgeschichte und -geographie, die erst die Schicksalsgemeinschaft herstellte, in der sich die geistig-kulturellen und materiellen Bestände und Bindungen der Nation aufbauen konnten. Sie muss ein Land zu begreifen, muss sie sich auch mit prosaischen Gegenständen befassen.  

Automobil und Republik

Damit kommen wir noch einmal auf das Auto zurück. Denn erst vor dem Hintergrund der territorialen Ordnungsidee wird die Bedeutung des Automobils – oder besser: des Automobil-Straßen-Systems – wirklich deutlich. Merkwürdigerweise wird die gegenwärtige „Auto-Debatte“ kaum so geführt. Obwohl es ein Massenverkehrsmittel ist und das Straßennetz die größte öffentliche Infrastruktur im Lande ist, wird der Autoverkehr hauptsächlich als „Privatsache“ behandelt. Dem Auto wird immer unterstellt, ein Instrument des Egoismus zu sein. Wie oft hat man schon die Story von den „Blechkisten“ erzählt, die die Menschen „voneinander isolieren“ und ihre Beziehungen „verdinglichen“. Da ist ein Blick in die Verkehrsstatistik hilfreich. Die folgenden beiden Tabellen zeigen die Anteile verschiedener Verkehrsmittel in verschiedenen Teilräumen im Berlin-Brandenburger Gesamtgebiet (Ist-Zustand 2006 und Prognose 2025).                 

Anteile an der Verkehrs- leistung Stand 2006Berlin Kernbereich   Berlin Außenbereich Brandenburg Umland
Automobil 44,1 % 60,1 % 81,8 %
Bus und Bahn 45,4 % 30,6 % 11,7 %
Fuß und Fahrrad 10,5 % 9,3 % 6,5 %
Anteile an der Verkehrsleistung Prognose 2025 Berlin Kernbereich Berlin Außenbereich Brandenburg Umland
Automobil 39,1 % 54,5 % 75,1 %
Bus und Bahn 47,8 % 32,6 % 15,7 %
Fuß und Fahrrad 14,1 % 12,9 % 9,2 %

Die Tabellen zeigen: Das Automobil hat selbst im Kernbereich Berlins einen Anteil von über 40%. Dieser Anteil wächst, je weiter man an die Peripherie geht. Die Bedeutung des Automobils sinkt auch bis 2025 nur unwesentlich. Selbst wenn man von einem wachsenden Anteil von Bus und Bahn ausgeht, ist eine Ersetzung des motorisierten Individualverkehrs durch den Öffentlichen Personennahverkehr nicht einmal annähernd in Sicht. Der Grund für diese fortdauernd starke Rolle des Automobils sind zunächst einmal die Wegdistanzen, die in der dispersen Siedlungsstruktur der Peripherie signifikant größer sind als im Zentrum und die sich auch nicht auf einigen wenigen Achsen bündeln lassen. Die schienengebundenen Verkehrsmittel können zu vertretbaren Kosten (die auch ökologische Kosten sind) nicht flächendeckend zur Verfügung gestellt werden. Noch stärker zeigt sich das, wenn man auch die Sachleistung des Transports (mitgeführte Dinge, z.B. bei Großeinkauf) einbeziehen würde. Spätestens, wenn man den Gewerbeverkehr von Handwerk in die Betrachtung mit einbezieht, wird das deutlich. Das Automobil ist ein entscheidendes Mittel, um die Härten der Peripherie zu mildern. In der Bewegung der „Blechkisten“ sind also die Bedürfnisse und Beziehungen lebendiger Menschen enthalten. Das Ressentiment gegen das Automobil kann einfache Lebensbedürfnisse in unerreichbare Ferne rücken und wahre Tragödien in mühsam aufgebauten Lebenswelten und Biographien anrichten.
Die dargestellten Zahlenverhältnisse werfen aber auch ein Schlaglicht auf die Bedeutung des Automobils für die Gesamtheit eines Territorialstaates. Ohne die riesige Masse kleinteiliger Automobil-Bewegungen bliebe jedes Flächenland eine Fiktion ohne inneren Zusammenhang. Die „Fläche“ wäre als allgemeine Plattform des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens nicht praktikabel und würde de facto nicht existieren. Die Zahlenverhältnisse zeigen auch, wie beschränkt und einseitig der urbane Blick auf das Verkehrs- und Siedlungssystem ist, und wie gefährlich es wird, wenn er sich als allgemeingültiger Blick durchsetzt.
Erst an diesem Punkt wird auch die ganze Tragweite der Ökosteuer auf Sprit sichtbar. Sie trifft, zusammen mit der zwangsweisen Abschaffung des Verbrennungsmotors, das Auto als bezahlbares Massenverkehrsmittel, und sie trifft damit einseitig die Peripherie. Diese infame „Ökologie“ macht die territoriale Mobilität zur Geldfrage und führt zu einem neuen Privileg der (groß-)städtischen Räume und zu einer kalten Abwicklung der Peripherie. In der Ökosteuer auf Sprit kommt ein Rückzug der urbanen Sozialmilieus aus der territorialen Gesamtverantwortung zum Ausdruck. Sie spaltet die Republik. Die Bewegung der „Gelben Westen“ in Frankreich hat das intuitiv richtig erkannt.

Zur geschichtlichen Entwicklungslogik des modernen Verkehrssystems

Diese These wird noch verständlicher, wenn man die Auto-Mobilität in einen historischen Kontext stellt. Sie ist ein wichtiges Kapitel in einer langen Modernisierungsgeschichte, die die Verkehrs- und Siedlungssysteme territorialisierte und ihre Hierarchien feiner abstufte. Die verkündete „Verkehrswende“ ist ein historischer Bruch mit dieser Linie. In der modernen Verkehrsgeschichte gibt es ein überraschendes Phänomen: Mit zunehmender Reife nehmen nicht die Hauptlinien am meisten zu (sie fallen nur am meisten auf), sondern die Nebenlinien. Die Territorialisierung bedeutet eine Verfeinerung der Verkehrsnetze und das Automobil ist ein wichtiger Agent dieser Verfeinerung. Im heute vorherrschenden Verkehrs-Diskurs wird das Augenmerk nur auf die Hauptlinien gelegt. Auf dieser Grundlage wird die Erzählung von der „großen Beschleunigung“ präsentiert, die angeblich die gesamte Geschichte der Verkehrssysteme beherrscht. Dahinter steht die – häufig gar nicht bewusst reflektierte – Vorstellung, der Zweck des Verkehrs sei die Raum-Überwindung (und nicht die Raum-Erschließung). Hat man so alles auf das „Überwinden“ reduziert, landet man automatisch beim „immer weiter“ und „immer schneller“. Aber wird damit das Spezifische der modernen Entwicklung erfasst? Es gibt gute Gründe für eine andere Darstellung: Die vormoderne Zeit war durch einen Dualismus von (wenigen) sehr weiten Wegstrecken (Stichworte Fernhandel, Seidenstraße, Seefahrt) und (vielen) lokalen Strecken. Der Mittelbereich zwischen beiden war eher relativ schwach entwickelt. Die Entwicklung der modernen Territorialökonomien und -staaten setzte aber genau in diesem mittleren Bereich an. Er dehnte einerseits die Lokalverkehre und nationalisierte ihren Umkreis, und er verdichtete zugleich die großen Netze, die bisher nur in Einzelrouten (Fernstraßen zu Lande und zu Wasser bestanden hatten. Die Karten der Verkehrswege füllen sich und zeigen feinere Verästelungen. Man kann von einer großen Intensivierung in diesem mittleren Bereich des Verkehrssystems sprechen.
Das kann man an drei größeren Verschiebungen zeigen, die im Zuge der Territorialisierung des Verkehrssystems stattfanden. Die erste war überhaupt die Verlagerung vom Seeverkehr auf den Landverkehr, die mit dem Aufkommen der Eisenbahn verbunden war. Die zweite war – ebenfalls im Eisenbahnsystem – die Ergänzung der Hauptlinien durch einen Ausbau der Nebenlinien, die vor allem zwischen 1880 und 1920 stattfand. Die dritte Verschiebung war mit dem Automobil (PKW, Bus, LKW) verbunden. Mit dem motorisierten Straßenverkehr und einer Quantität und Qualität des Straßenbaus verdichtete sich das Verkehrsnetz noch weiter. Erst jetzt wurde auch das „tiefe Land“, die einzelnen Ortschaften, auch die schwierigen Berglagen durch ein motorisiertes Verkehrsmittel erschlossen.
Das Verkehrssystem, so wie wir es heute vor uns haben, geht auf diese historische Linie zurück. Der automobile Massenverkehr liegt auf dieser Linie. Es bedeutete einen großen Fortschritt in der flächendeckenden Erschließung der Länder. Er stand nicht nur für Freiheit, sondern auch für die Allgemeingültigkeit und Zugänglichkeit von Freiheit. Er stärkte die republikanisch-demokratische Grundlage der Nationen. In der Gesamtentwicklung der Verkehrsmittel und -netze zeigt sich ein Wachstum und einen Ausbau im Bereich mittlerer Reichweite und Größe. Nur dadurch wurde der Gegensatz zwischen Zentren und Peripherien nicht weiter verschärft, sondern beide Seiten wurden anschlussfähig. In den einzelnen Entwicklungsschritten der Verkehrsmittel und -netze lässt sich die Herausbildung dieses vermittelnden territorialen Elements zeigen.
Das gilt auch, wenn man das Siedlungssystem in diese geschichtliche Betrachtung mit einbezieht. Die Geschichtsschreibung ist immer noch voller Mythen, die die Errungenschaften der territorialen Moderne für das Verhältnis zwischen Peripherie und Zentrum nicht wahrhaben wollen. Im Bezug auf Frankreich gehört dazu die Legende vom „ewigen Parzellenbauern“ – von dem auf seiner Scholle fixierten Bauern, der die passive Basis und Verfügungsmasse für „bonapartische“ Alleinherrscher abgibt (so auch Karl Marx im „18. Brumaire des Louis Bonaparte“). Gérard Noiriel hat dieser Legende in seiner „Histoire populaire de la France“ widersprochen und gezeigt, dass die französische Peripherie schon im Laufe des 19. Jahrhunderts in beträchtlichem Ausmaß industriell und mobil geworden war. Man tut der französischen Peripherie keinen Gefallen, wenn man sie einfach durchgängig zum passenden passiven Gegenstück des „Pariser Zentralismus“ erklärt. Die Geschichte war schon weiter und die Rolle der Peripherie war schon aktiver und eigenständiger. Auch die drei Jahrzehnte des französischen Wirtschaftswunders von 1945 bis 1975 (die „Trente Glorieuses“) liegen noch auf dieser aufsteigenden Linie im Rahmen eines territorialen Entwicklungsmodells. In dieser Zeit wurden Industriestandorte auf Land verlegt und dezentrale Infrastrukturen ausgebaut.
Wenn heute tatsächlich die Metropolen einseitig in Politik, Wirtschaft und Kultur dominieren, wenn sie zu „den“ Räumen der Zukunft deklariert werden, und wenn „das Urbane“ zum einzigen Bezugspunkt der gehobenen Schichten geworden ist, dann ist das eine relative späte und noch junge Wendung. Es ist auch eine räumliche Verengung, die eher an vormoderne und frühmoderne „Stadt-Hegemonien“ (Fernand Braudel) anknüpft. Es ist keineswegs gewiss, dass die gegenwärtige Metropolen-Konjunktur im geschichtlichen Maßstab dauerhaft sein wird. Umso wichtiger ist es, die territoriale Entwicklungslinie der klassischen Moderne nicht vorschnell aufzugeben – sondern ihre Vernunftgründe zu rekonstruieren und zu rehabilitieren.

Zwei Ordnungsideen, zwei Entwicklungsmodelle

An diesem Punkt der Darstellung sind wir bei einem neuen Gegensatz angelangt. Es stehen sich nicht mehr zwei Teilräume gegenüber – Metropole und Peripherie – sondern zwei Ordnungsideen, zwei Entwicklungsmodelle für das ganze Land bzw. sogar für ein globales Ganzes. Diese Ordnungsideen sind nicht nur Entwürfe für den jeweiligen eigenen Teilraum, sondern definieren ein Allgemeines. Das heißt, dass sie auch den anderen Teilraum mit einbeziehen und ihm eine Position zuweisen. Der Ordnungsentwurf, der von den Metropolen ausgeht, weist der Peripherie einen bestimmten Platz und eine bestimmte Rolle zu. Und der Entwurf, der von der Peripherie ausgeht, tut das gleiche mit den Metropolen. Damit müssen die Begriffe wechseln: „Peripherie“ wird nun zur Ordnungsidee „territorial“, Metropole wird zur Ordnungsidee „urban“.

Die Metropolen suchen ihre Dominanz dadurch zu generalisieren, dass sie „Urbanität“ zum Maßstab des Fortschritts, der Wissens, der Toleranz, der Solidarität, der Freiheit machen. Die ganze Gesellschaft, und nicht nur die eines Landes sondern die „Weltgesellschaft“ soll dazu berufen sein, „urban“ zu werden, und sie soll sich schon auf dem Weg dorthin befinden – wobei „Urbanität“ dann vielfach gar keinen Wohnort mehr meint, sondern eine Geisteshaltung, eine Mentalität, ein Habitus, eine Art des Kommunizierens. Die „urbane Gesellschaft“ wird dann mit der „Zivilgesellschaft“ gleichgesetzt. Mit einer multikulturellen Gesellschaft, einer (digitalisierten) Medien-Gesellschaft, usw. So kann es dann in der Stadtsoziologie zu Redewendungen wie der „vollständigen Urbanisierung der Welt“ kommen, ohne Rücksicht auf die siedlungsgeographische Realität.

Aber die Dehnung des Begriffs „urban“ kann nicht über den kritischen Punkt dieses Ordnungsmodells hinwegzutäuschen:

Die Ordnung, die mit der Dominanz der Metropolen verbunden ist, ist eine hoch selektive Ordnung. Eine Ordnung, in der alle wichtigen Positionen in wenigen exklusiven Teilräumen des Landes getroffen werden, während der Rest des Landes in Abhängigkeit gehalten wird. Alle wichtigen Faktoren, Ressourcen, Entscheidungen, Reichtümer, Verbindungen, Beziehungen sind an sehr wenigen Raumstellen konzentriert. Der Rest der Welt ist weitgehend zu einer passiven, abhängigen, subalternen Sekundärexistenz verurteilt, die immer vom Anstoß durch die großen urbanen Aktivräume, die Metropolen geweckt werden müssen – und jederzeit auch wieder abgeschaltet werden können. Die Allgemeinheit von Rechten und Gütern, die eigentlich die spezifische politische und wirtschaftliche Legitimität der Moderne ausmacht, ist in diesem Ordnungsmodell außer Kraft gesetzt.

Deshalb muss ein alternatives Ordnungsmodell, das von der Peripherie ausgeht, dies Allgemeininteresse des ganzen Landes beinhalten. Es kann nicht nur das Partikularinteresse der Peripherie vertreten. Mit anderen Worten: Eine periphere Bewegung muss zur territorialen Bewegung werden. Sie muss – im wohlverstandenen Sinn – national werden.   

Dabei gibt es eine Schwierigkeit: Während das urbane Ordnungsmodell anschaulich ist und – auf Grund seiner räumlichen Konzentration – auf den ersten Blick eine Fülle des Lebens vorweisen kann (die berühmte „Vielfalt“), ist das territoriale Modell abstrakter. Das Territorium ist in der Summe und Gesamtbilanz reicher als eine nur-urbane Siedlungsform, aber dieser Reichtum ist nicht leicht greifbar und nicht anschaulich vor unseren Augen versammelt. Ein Territorium kann man sich als „Bedingung der Möglichkeit“ vorstellen, aber die unzählig vielen Formen, in denen aus diesen Möglichkeiten Realitäten werden, bleiben größtenteils dem Blick verborgen. Sie sind zu zerstreut. Ein „Land“ im territorialen (nicht ruralen) Sinn erfordert immer ein bisschen „Theorie“ (im weiten Wortsinn einer Reflektion), um präsent zu sein. Und es braucht Symbole, in denen als pars pro toto die Gesamtheit eines Territoriums in einem Objekt oder Ort anschaulich wird,

Das urbane Modell kann also leicht und schnell Geschichten erzählen, die dann freilich auch immer ein recht ähnliches Strickmuster haben und meistens sehr kurzlebig sind, während das territoriale Entwicklungsmodell zwar räumlich und sozial viel breiter und tiefer geht, aber zunächst eher spröde und unzugänglich wirkt. Dies Modell setzt die Einsicht voraus, dass das bunte Leben eine sehr harte, kalte, spröde Stabilität der Bedingungen braucht, die dies Leben tragen. Eine Einsicht, die sich oft erst einstellt, wenn diese Stabilität ausfällt – wollen wir es beim Automobil als Massenverkehrsmittel wirklich erleben? Oder die Ver- und Entsorgungssysteme (Energie, Wasser, Müll), die nur als territoriale Systeme funktionieren – was die Gläubigen der „vollständigen Urbanisierung der Welt“ gerne in Anspruch nehmen, ohne darüber weiter nachzudenken. Oder die innere und äußere Sicherheit, die gleichfalls nur existiert, wenn sie flächendeckend existiert – weshalb einzelne Ausfälle der Sicherheit und Brüche des Landfriedens in der öffentlichen Wahrnehmung zu Recht sehr schwer wiegen.

So ist die Stärke des territorialen Modells mit seiner Allgemeinverbindlichkeit, seiner Bilanzfähigkeit, seiner Verhältnismäßigkeit letztlich eine Stärke der Stabilität, aber nicht nicht eine Vollversorgung der Menschen und eine Animation ihrer Lebensführung.

In diesem Ordnungsmodell sind die Peripherien nicht dominant, so wie es die Metropolräume im urbanen Modell sind. Die Peripherien sind nur der Prüfstein, ob die Plattform des Territoriums real da ist, ob diese Plattform wirklich allgemeingültig ist und auch die entlegensten Existenzen mitträgt. Die Peripherien sind auch der Prüfstein, ob die Hoheit über die Grenzen wirklich besteht – denn sie bekommt als erstes zu spüren, wenn die Grenzen löchrig werden.

◊◊◊

(Teil IV)

Zwei verschiedene Grundanlagen der heutigen Politik

Der Ernst der heutigen Lage Frankreichs

Diese Erwägungen erhalten ihr ganzes Gewicht, wenn man die heutige Lage der einzelnen Nationen betrachtet. Frankreich ist in mehrfacher Hinsicht in eine bedrohlich Schieflage geraten. Und das nicht erst seit kurzem, sondern schon seit längerer Zeit. Frankreich hat massive und andauernde Verluste bei seiner Industrie: Die Industrieproduktion des Jahres 2016 lag rund 14 Prozent unter dem Stand von 2008. Sie ist auf den Stand von 1993 zurückgefallen. Der Anteil der Industrie an der Wertschöpfung, der 1959 noch 25 Prozent betragen hatte, war 2012 auf 10,2 Prozent gefallen. Er lag nicht nur niedriger als in Deutschland (21,8 Prozent), sondern auch als im EU-Durchschnitt (15,1 Prozent) – zum Beispiel niedriger als in Spanien, Italien, Tschechien, Polen, Österreich, Schweden.
Zugleich ist der Anteil des Staates am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1980: 45 Prozent auf 2015: 57 Prozent gestiegen. Die Zunahme des Staatsanteils wirkt demnach nicht als Industrie-Sicherung, sondern als Industrieersatz. Die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben des Staates zeigt die typische Form einer Budget-Spirale: Es gibt nicht nur ein chronisches Defizit, sondern es ist ein chronisches Defizit im Wachstum. So stiegen zwischen 2007 und 2017 die Kurven der Einnahmen und Ausgaben fast parallel an. Sie sind eng miteinander verkoppelt, und keine politische Kraft war bisher in der Lage, dieses Zwangsgesetz, das neuen Einnahmen neue Ausgaben folgen lässt (oder umgekehrt), zu durchbrechen.
Dazu kommt ein elementares Sicherheitsproblem, das vor allem mit der arabisch-islamischen Migration zu tun hat. Frankreich sah sich gezwungen, angesichts islamistischer Terroranschläge den Ausnahmezustand auszurufen. Weniger sichtbar, aber elementarer ist hier, die Situation an den Schulen (wo Schüler mit islamischem Migrationshintergrund sich weigerten, die landesweite Schweigeminute für die Terroropfer einzuhalten, und in den (noch zu den Metropolräumen zählenden) Vorstädten, die von migrantischen Jugendbanden an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten zu No-Go-Areas gemacht wurden. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass in den großstädtischen Räumen auch bei einheimischen Bevölkerungsgruppen die Bindung zum kulturellen und zivilbürgerlichen Erbe der eigenen Nation geschwächt ist. Die Auflösung der territorialen Zugehörigkeit ist hier längst eine Realität und nicht nur eine theoretische Möglichkeit. Auch hier gibt es einen Zirkel der Hilflosigkeit, bei dem sich eine fehlende Gesetzes-Schärfe des Staates und eine fehlende Loyalität der Bürger gegenseitig verstärken.

Zwei verschiedene Modelle von Reformpolitik

Unterstellen wir einmal, dass in einem Land der Ernst der Lage gesehen wird und das es in ganz unterschiedlichen politischen Lagern einen Willen zu ernsthaften und auch einschneidenden Reformen gibt. Gewiss, es fällt ein bisschen schwer, das dem jeweils anderen politischen Lager zu konzedieren, aber es ist hilfreich, es einen Moment lang zu tun. Gehen wir außerdem davon aus, dass „schmerzhafte Einschnitte“ allein noch keine erfolgreiche Reformpolitik ausmachen können. Keine Politik wird als legitim anerkannt werden, die nur aus dem Element „Einschnitte“ besteht. Es muss ein zweites Element her, das eine Art Gegengewicht bildet und gewissermaßen im Austausch für die Akzeptanz von Einschnitten gegeben wird. Und genau bei diesem zweiten „kompensierenden“ Element gibt es einen grundlegenden Unterschied, der die Reformpolitik in die zwei Lager trennt, die sich heute gegenüberstehen.

  • Zunächst zu Modell A: Wir gehen also davon aus, dass es hier wirklich Einschnitte gibt und diese auch nicht verschleiert werden. Das zweite kompensierende Element ist in diesem Modell – sehr generell formuliert – eine Öffnung ins Globale. Hier sollen Gewinnaussichten an Wohlstand und Geltung bestehen, die die Verluste bei Reformen ausgleichen. Man kann sicher nicht bestreiten, dass es bei einer solchen Öffnung immer etwas zu gewinnen gibt, du sei es nur, dass man Neuland betritt und einen größeren Umkreis des Handelns spürt. Die Frage ist, wie groß solche Gewinne sind, wie konkret sie sind, wann sie eintreten und wem sie zugutekommen. Die Frage ist auch, welche zusätzlichen Gefahren und Verluste diese Verbindung von Reform-Einschnitten und Weltoffenheit mit sich bringt. Und welche generelle Unsicherheit sie eventuell im Land auslöst.
  • Zum Modell B: Auch hier unterstellen wir wirkliche, nicht verschleierte Einschnitte. Aber das zweite Element ist hier nicht Öffnung, sondern Schutz und Kontrolle – also eine Kompensation durch eine Auffangposition, deren Sicherheit die Einschnitte nicht existenzgefährdend werden lässt. Es werden also keine großen Gewinne an Wohlstand und Geltung in Aussicht gestellt, sondern etwas Bescheideneres, das aber direkter herstellbar und in seinen Wirkungen überprüfbar ist; das weniger zusätzliche Gefahren mit sich führt und daher weniger Unsicherheit erzeugt; und das auch gleichmäßiger verteilt ist.

Man sieht, wie eng diese beiden Modelle mit dem Unterschied zwischen der „urbanen“ Ordnungsidee und der „territorialen“ Ordnungsidee verbunden sind. Natürlich sind die beiden Modelle von Reformpolitik stark vereinfacht. In der Realität wird das Modell „Reform und Weltoffenheit“ einige Elemente in Richtung Stabilität und Sicherheit enthalten. Und selbstverständlich wird das „Reform und Protektion“ Außenhandel, internationale Diplomatie und eine (verlässlich begrenzte) Zuwanderung enthalten. Aber um die Fähigkeit zu beurteilen, dauerhafte Reform-Mehrheiten zu bilden, ist diese vereinfachte Darstellung hilfreich.     

Das notorische Scheitern des Modells „Reform und Weltoffenheit“ 

Es ist ohne Zweifel so, dass gegenwärtig in Frankreich und in einer Mehrheit der EU-Länder Modell „Reform und Weltoffenheit“ regiert. Wobei man gleich einschränken muss: Das Reformelement, das zu Beginn der Regierungszeit Macrons noch sichtbar war, ist inzwischen weitgehend festgefahren und abgebrochen. In Deutschland gab es in der Ära Merkel überhauot keine Reformen, die man mit „einschneidend, aber entlastend“ beschreiben könnte. Im Gegenteil wurden dem Land zusätzliche Kosten, Versorgungs-, Haftungs- und Rechtsansprüche aufgebürdet, der Last nur dadurch verdeckt ist, dass Deutschland bis vor kurzem noch von einer außenwirtschaftlichen Sonderkonjunktur getragen wurde. So konnte hier die Problematik der Modells A von vornherein nicht zum Ausbruch kommen. In Frankreich aber ist das der Fall, und dies beschränkt sich nicht nur auf die Präsidentschaft von Emanuel Macron, sondern auf alle die Mehrheiten, die seine Vorgänger – insbesondere auch Nicolas Sarkosy und Francois Hollande – jeweils gesammelt hatten. Immer gab es den gleichen Verlauf: Ein Start mit viel Reformelan und großen Sympathiewerten, die dann sehr schnell verloren gingen. Der Zauber des Aufbruchs und Anfangs macht schnell einer Ernüchterung Platz. Dies Politikmodell verschliss ihre Führungsfiguren. Es verschliss sogar die tragenden Parteien der jeweiligen Regierungsmehrheiten, es raubte ihnen ihren Charakter als Volksparteien, es zerstörte große Parteitraditionen, wie die der sozialistischen Partei Frankreichs und der Gaullisten. Und das liegt tatsächlich an der Bauweise dieser Politik. Denn sie enthielt ja kein dezidiert stabilisierendes Element, keinen „Protektionismus“. Stattdessen war sie immer darauf angewiesen, die „Offenheit“ mit rosigen Versprechungen aufzuladen. Immer musste man auf ein „Herauswachsen“ aus der Krise setzen. Und immer ferner rückte dies „Neuland“ einer alle Probleme lösenden Prosperität. Auch die wiederholten „Europa-Initiativen“ Macrons folgen dieser Logik: Sie sollen immer wieder eine vage Hoffnung nähren, dass da draußen ein größeres Ganzes wartet, das Frankreich für seine inneren Verluste kompensiert. Deshalb hängt dies Politik so stark am Euro – und vor allem an der EZB-Politik des billigen Geldes, das letztlich der einzige zählbare Gewinn der Öffnung ist. Und da das realwirtschaftlich keine zählbare Kompensation bedeutet (insbesondere nicht bei Industriearbeitsplätzen), setzt Macron verstärkt auf kulturelle Kompensationen und auf das „große Projekt“ einer Klimarettung – was insgesamt vor allem Inszenierungen für und durch die gehobenen Sozialschichten der Großstädte sind.

Der Neo-Autoritarismus

Das alles wird nicht verbergen können, dass die Lösung „Kompensation durch Offenheit“ zunehmend fiktiv wird. Und dass damit das Gesamtgebäude dieses Politikmodells aus dem Gleichgewicht gerät. Sie kann der Politik immer weniger eine Legitimität geben. Sie kann die Bürger nicht mehr im ausreichenden Maß motivieren. Sie erzeugt Resignation, Passivität, Rückzug, Widerwillen, Widerstand im Binnenland. Aber auch znnehmende Ernüchterung und Verteilungskonflikte in den metropolitanen Räumen. 
Vor diesem Hintergrund wird das Handeln in diesem Politik-Modell A zunehmend autoritär. Die Liberalität, die das Element der „Weltoffenheit“ versprach, verschwindet. Das Regieren bekommt nun eine forcierte Tonlage. Die Maßnahmen werden zunehmend negativ – belastend, zerstörend: Sie arbeiten mit Preiserhöhungen, Steuerhöhungen, Normerhöhungen, Verboten. An dieser Stelle kommen wir nochmal auf den Ausgangspunkt der Bewegung der „Gelben Westen“ zurück – das war ein ganzes Negativprogramm gegen das Automobil, das die autofahrenden Bürger buchstäblich in die Enge trieb: Vervielfachung der Radarkontrollen, Geschwindigkeits-Begrenzung auf Landstraßen auf 80 Stundenkilometer, Preiserhöhungen für Benzin, eine `ökologisch´ genannte Steuer auf Brennstoffe, schärfere und teurere Überprüfungen der technischen Fahrzeug-Sicherheit, Abkehr von der Diesel-Technologie. Die „Anreize“ werden nun neue Steuern und Strafen. Und auch in der politischen Rede spielen nun nicht „Werte“, sondern Feindbilder die Hauptrolle. Wo das eigene Politikmodell nicht mehr zu überzeugen weiß, muss das andere Politikmodell, das eine mögliche Alternative darstellen könnte, als finsterer Feind an die Wand gemalt werden. Im Ernst will Herr Macron den Franzosen weismachen, dass alles andere als seine Politik eine Form von „Rechtsextremismus“, „nationale Abschottung“ und „Rassismus“ sei. Das kennen wir ja auch aus Deutschland. Die Vertreter des Politikmodells A behaupten, dass das Politikmodell B auf eine Wiederkehr des NS-Regimes hinauslaufe.
Soll man nun mit gleicher Münze zurückzahlen, und behaupten, dass in Wahrheit das Politikmodell A „totalitär“ sei? Nein, das trifft es nicht. Denn hier ist nicht eine große Gewaltmaschinerie am Werk, die im Grunde ständig Krieg nach innen oder außen führt. Die Form der Ausübung politischer Macht, die im Modell A am Werk ist, ist milder, sie arbeitet nicht nur mit Unterdrückung, sondern auch mit Zuwendungen und Versprechungen. Deshalb erscheint es mir sinnvoller, von einem anderen Autoritarismus zu sprechen, der die Gesellschaft tiefer infiltriert und sie durch ständige kleine Eingriffe demoralisiert. Als Alexis de Tocqueville in seinem 1840 erschienen Werk „Über die Demokratie in Amerika“ versuchte, die Gefahr zu beschreiben, die einem Land in modernen, demokratischen Zeiten droht, schrieb er folgende Sätze:
„So breitet der Souverän, nachdem er jeden Einzelnen der Reihe nach in seine gewaltigen Hände genommen hat und nach Belieben umgestaltet hat, seine Arme über die Gesellschaft als Ganzes; er bedeckt ihre Oberfläche mit einem Netz kleiner, verwickelter, enger und einheitlicher Regeln, das nicht einmal die originellsten Geister und die stärksten Seelen zu durchdringen vermögen, wollen sie die Menge hinter sich lassen; er bricht den Willen nicht, sondern er schwächt, beugt und leitet ihn; er zwingt selten zum Handeln, steht vielmehr ständig dem Handeln im Wege; er zerstört nicht, er hindert die Entstehung; er tyrannisiert nicht, er belästigt, bedrängt, entkräftet, schwächt, verdummt und bringt jede Natur schließlich dahin, dass sie nur noch eine Herde furchtsamer und geschäftiger Tiere ist, deren Hirte die Regierung ist.“  
Das ist nicht als Zwangsgesetz der Moderne zu verstehen. Es ist eine Gefahrenbeschreibung, aber keine Prognose. Denn Tocqueville, der von den Verhältnissen in Amerika und der Dynamik des Landes sichtlich fasziniert war, sah auch mächtige Gegenkräfte, die dies Regime einer kleinlich-fürsorglichen Vormundschaft konterkarieren. Darunter zählt er vor allem die „industrielle Leidenschaft“ und auch die Gemeinschaftsbildung und Selbstverwaltung auf lokaler Ebene. In der Gesamtbilanz sah Tocqueville in den USA eine Freisetzung von Energien. Und Tocqueville hat mit dieser Gesamtsicht, wenn man an das „amerikanische 20. Jahrhundert“ denkt, sicher recht gehabt.

Ein restriktives Szenario, aber kein ultimatives Szenario

Allerdings gibt es einen kritischen Punkt in dem „amerikanischen Szenario“, das Tocqueville beschreibt: Es müssen sich im Binnenraum eines Landes immer wieder neue Aktivitätsfelder eröffnen. Das Szenario muss ein expansives Szenario sein. Das gilt für die Vereinigten Staaten von Amerika im 19. und 20. Jahrhundert ohne Zweifel – jedenfalls über weite Strecken. Das gilt auch für viele Länder Europas, die sich oft erst im 19. Jahrhundert zu modernen Nationalstaaten mit starker Binnenentwicklung bildeten. Im 20. Jahrhundert werden die expansiven Phasen weniger, und gegen Ende des 20. Jahrhunderts werden die Räume enger, die Stellung Europas und Nordamerikas in der Welt relativiert sich, und das Wachstum wird mehr und mehr zu einem (neo-keynsianisch) animierten Wachstum. Damit bekommt der von Tocqueville beschriebene Neo-Autoritarismus tatsächlich die Oberhand.

Und dieser Autoritarismus steht selber auch nicht mehr so souverän da, wie ihn Tocqueville noch beschreibt. Die fürsorgliche, behütende Macht, die die Bürger in „eine Herde furchtsamer und geschäftiger Tiere“ verwandelt, bröckelt. Ihre „gewaltigen Hände“ schwächeln. Sie kann selbst elementare Maßnahmen bei der Sicherheit, der technischen Infrastruktur, der Vermittlung der Bildungsbestände, des Schutzes der Außengrenzen nicht mehr durchsetzen. Die Resultate der „Weltoffenheit“ überzeugen nicht und keine Autorität begründen, die zu nachhaltigen Reformmaßnahmen in der Lage wäre. Der Neo-Autoritarismus zunehmend erratischer und anarchischer.

Wir müssen also über das restriktive Szenario sprechen, in dem sich die fortgeschrittenen Länder – viel mehr als die Schwellenländer – befinden. Dieser Ernst der Lage muss wirklich ernst genommen werden. Hier ist es mit neuen Eliten oder charismatischen Heldenfiguren nicht getan. Es gilt aber auch das Gebot, das wirkliche Maß der Restriktion zu finden – und davon auszugehen, dass es einen Punkt der Bodenbildung gibt, an dem der Niedergang gestoppt werden kann. Das ist der Sinn einer Politik der Konsolidierung.
Die Krise des Politikmodells A und das Gefühl der Hilflosigkeit, das dadurch entsteht, führt oft zu dem Eindruck, dass der Verfall eines Landes unaufhaltsam und grenzenlos ist. Das kann zu einem ultimativen politischen Denken führen – etwa nach dem Muster des Satzes: „Entweder wir halten jetzt sofort den Verfall auf, oder alles ist vorbei“. Einen solchen Diskurs gab es im Vorfeld des ersten Weltkrieges, der von der Hatz des „Zuvorkommens“ (durch Krieg der Verdrängung zuvorkommen) m einer absoluten Zerstörung) getrieben war. Einen solchen Diskurs gab es bei der extremen Linken: „Entweder kommt die Revolution dem Krieg zuvor, oder der Krieg der Revolution“. Doch die Vorstellung eines ultimativen Verfalls, eines „Untergangs von Rom“, der nun der modernen Zivilisation bevorsteht, entsprecht nicht der Realität. Das restriktive Szenario, das für die entwickelten Nationen der Moderne im 21. Jahrhundert gilt, bedeutet eine Restriktivität auf hohem Niveau. Kein Zusammenbruch auf breiter Front, sondern ein Sinken der Zuwachsraten bei der Produktivität, der Wertschöpfung und damit beim Wachstum. Ein Sinken der Zuwachsraten wohlgemerkt, nicht ein Sinken von Produktivität und Wertschöpfung, und auch kein Minuswachstum. Das ist der Raum, der für eine Politik der Konsolidierung tatsächlich existiert. Schon heute besteht ein großer Teil der Leistungsfähigkeit eines entwickelten Landes darin, dass Betriebe, Infrastrukturen und Bildungseinrichtungen tagaus, tagein ihre Leistungen einfach nur wiederholen.

Die Moderne fällt also nicht um, wenn es kein ständig sich steigerndes „Vorwärts!“ gibt. In der gegenwärtigen Lage kann sich zeigen, dass die Moderne allein schon als relativ statisches „langsames“ Gebilde lebensfähig und legitim ist. Und dass sie schon auf diesem Niveau allen vorherigen Geschichtsepochen überlegen ist. Sie hat die Binnenräume dieser Welt nachhaltig weiter gemacht – und die Herzen auch.

Das Modell „Reform und Schutz“

Das oben beschriebene Politikmodell B „Reform und Schutz“ passt zu diesem restriktiven, aber nicht ultimativen Szenario. Es enthält das dringend Gebotene – vor allem das stabilisierende Element des Schutzes – und es ist auch genügend Substanz im Land, die sich zu schützen lohnt und die auch die Kraft zum Selbstschutz hat. Damit kommen wir noch einmal auf die Bewegung der „Gelben Westen“ und auf das „periphere Frankreich“ zurück. Hier ist eine der Kräfte sichtbar geworden, die diese Form des Politischen tragen kann. Hier ist auch deutlich geworden, welche Punkte wichtig sind, damit die Verbindung „Reform und Schutz“ wirklich stimmt und vom Modell A unterscheidbar ist.
Gegen das Gelbwesten-Lager wurde der Vorwurf erhoben, dass sie die französische Haushaltsmisere noch verschärfen würde – weil es Steuererhöhungen ablehnt, aber zugleich Mehrausgaben für die Peripherie fordert. Das entspricht nicht ganz den Fakten: Denn das periphere Frankreich ist gar nicht der Hauptempfänger staatlicher Ausgaben. „Viele der zahlreichen Sozialleistungen Frankreichs entgehen ihnen, trotzdem werden sie vom Fiskus hart rangenommen“ schreiben C. Schubert und C. Budras unter Berufung auf Finanzfachleute (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 9.12.2018). Tatsache ist auch, dass aus den Reihen der „Gelben Westen“ selten direkte Versorgungsleistungen gefordert werden, sondern oft nur die Erhaltung und Sanierung von Infrastrukturen in der Fläche (Verkehr, Gesundheit, Bildung, Kultur, Verwaltung). Die Gewohnheit und Bereitschaft zur Selbsthilfe sind also da. An der Peripherie kommt man ohne jenes enge Fördern und Betreuen aus, das in den großen Städten erwartet wird. Reformen, die in das wuchernde soziale Netz einschneiden, sind daher eher ein Problem der empfindlichen Großstädter als der Bewohner des „tiefen Frankreich“. Es ist daher wichtig, dass sich die Peripherie nicht vor den Karren einer „Sozialbewegung“ spannen und für typisch „urbane“ Ansprüche instrumentalisieren lässt. Der deutsche Begriff „gleichwertige Lebensbedingungen“ hilft da nicht weiter, weil er zu dicht bei einer törichten Gleichmacherei liegt.
Wichtig ist eine elementare, ortsnahe, flächendeckende Grundsicherung bei den Infrastrukturen. Eine beständige garantierte Verfügbarkeit für eine unregelmäßige Nachfrage – niemals für eine Übernahme der gesamten Lebensführung. Das meint „Schutz“ im Unterschied zu „Lebensqualität“. Auf den öffentlichen Versammlungen der Gelben Westen sind auch Forderungen nach institutionellen Garantien laut geworden: Die Erhaltung von Vertretungskörperschaften und Verwaltungen auf der kleinräumigen, kommunalen Ebene; auch die Erhaltung der „Départements“ als regionale Elementareinheit im ganzen Land – also insgesamt eine strikte und flächendeckende Subsidiarität zwischen verschiedenen Staatsebenen.

Zugleich liegt es in der Natur der Sache, dass das Schlüsselelement dieser Politik – der Schutz – zu einem großen Teil auf der Ebene des Gesamtstaats gewährleistet werden muss: Staatshaushalt und Währung, Grenzhoheit, Schutz von Schlüsselindustrien, Definition der unverzichtbaren Kernbestände des Bildungssystems, Entscheidung über Krieg und Frieden… Man kann das den Stabilitätsvorbehalt einer staatlichen Verfassung nennen, die einzelne Rechtsansprüche soweit einhegen muss, dass sie nicht den Fortbestand des Landes gefährden. Es wurde in den Gelbwesen-Versammlungen durchaus deutlich, dass nicht nur lokale und regionale Interessen vertreten wurden, sondern auch der Zustand des französischen Nationalstaates und die Souveränitätsfrage im Raum stand. Hier wurde die Grundlogik des Politikmodells „Reform und Schutz“ dann oft besonders deutlich. Man ist bereit, Opfer zu bringen, aber nicht, solange Souveränität und Verantwortung in ein Niemandsland (halb französisch, halb europäisch) ausgelagert sind und der Raum des Schutzes nicht eindeutig eingegrenzt ist. Opfer und offene Grenzen – das ist eine absolut unhaltbare Kombination. Und das habe ich im Originalton in sehr einfachen und klaren Worten in den vergangenen Monaten immer wieder gehört.

Zurück nach Deutschland

In diesem Herbst steht Deutschland vor einer folgenschweren Entscheidung. Werden die Regierenden aus Anlass des Klimawandels ihre Hochpreis-Politik auf CO2-Emissionen (durch Besteuerung oder Emissionshandel) verschärfen und damit den Weg einschlagen, der in Frankreich eine so große Verbitterung ausgelöst hat und das Land nachhaltig gespalten hat? Werden sie das Geld zur Scheidelinie zwischen dem ökologisch „Guten“ und „Bösen“ machen? Werden sie damit das Geld auch in einem ganz neuen Maße zum obersten Richter über das Verkehrs- und Siedlungssystem machen? Und zum Scharfrichter über Sein oder Nichtsein von Existenzen und Lebensformen? Man hat hierzulande ja schon reichlich Normen- und Kosten-Erhöhungen in dieser Richtung beschlossen, aber jetzt würde man wirklich eine Spaltung des Landes herbeiführen, eine Spaltung der Republik. Nein, das ist keine Übertreibung, denn man muss bedenken, dass es bei dieser Politik nicht um die Antwort auf ein kleineres Problem geht. Die Regierenden haben ja praktisch einen „Klima-Notstand“ ausgerufen und dies Anliegen zum Dreh- und Angelpunkt der gesamten deutschen Politik erklärt. Und dieser Notstand soll jetzt so eingerichtet werden, dass die einen sich freikaufen können, während die anderen ihre ganze bisherige Existenz nicht mehr halten können.

Es wird vielleicht noch ein bisschen dauern, bis Deutschland gewahr wird, wie übel es da zugerichtet wird von einer politischen Klasse, die immer mehr ein Alles-oder-Nichts-Spiel treibt. So hat sich in Frankreich die Macron-Mehrheit auch aufgeführt – bis zum November 2018, als die Gelben Westen ihr den Schneid abkauften…