06.05.2016

Das deutsche Maut-Projekt ist gerecht, weil es eine bestehende Schieflage zwischen inländischen und ausländischen Autobahn-Nutzern beseitigt. Doch die EU- Kommission lehnt das ab. Sie tut so, als wäre das deutsche Fernstraßennetz schon europäisches Kollektiveigentum. 

Die deutsche Maut – eine EU-Affäre

Eigentlich sollte sie schon seit dem 1.1.2016 in Kraft sein: die generelle Maut für alle PKW auf deutschen Autobahnen bei gleichzeitiger Reduzierung der KfZ-Steuer für alle in Deutschland angemeldeten PKW. Doch hat die EU-Kommission die Umsetzung der schon beschlossenen Gesetzesmaßnamen bisher erfolgreich blockiert. Vor kurzem hat sie verkündet, man gewähre der Bundesregierung eine Frist von zwei Monaten, um ihr Mautprojekt zu verändern. Wären die Änderungen nicht zufriedenstellend, würde man den Europäischen Gerichtshof (EuGH) einschalten. Die Rechtsauslegungen dieses Richtergremiums sind bekanntlich recht eigenwillig – man denke nur an seine Urteile über die Befugnisse der Europäischen Zentralbank.

Natürlich gibt es bei Maut-Projekten immer den Verdacht, man wolle den Autofahrern nur mehr Geld aus der Tasche ziehen. Aber in Deutschland sollte die Reduzierung der KfZ-Steuer eine Zusatzbelastung verhindern. Im Ergebnis sorgt das deutsche Maut-Projekt für einen neuen Mix zwischen Steuern und Gebühren bei der Infrastrukturfinanzierung. Und für eine gerechtere Verteilung zwischen inländischen und ausländischen PKW-Haltern. Doch die EU-Kommission will von dieser Gerechtigkeit nichts wissen. Ihre ablehnende Haltung richtet sich nicht gegen die Maut, sondern die Entlastung der der deutschen KfZ-Steuerzahler – weil diese Entlastung nicht für alle PKW-Halter in der EU gilt. Diese angebliche „Ausländerfeindlichkeit“ hat hierzulande nicht wenige Politiker und manchen Pressekommentator dazu veranlasst, sich auf den Brüsseler Standpunkt zu stellen. Alexander Kohnen schreibt in der „Berliner Morgenpost“ (28.4.16): „In Sachen PKW-Maut hat Brüssel aber einfach recht: So, wie sie derzeit konzipiert ist, würden Ausländer unfair behandelt, also: diskriminiert. Denn Dobrindts Konzept sieht vor: Deutsche und Ausländer zahlen die Maut – die Deutschen bekommen den Betrag jedoch über eine niedrigere Kfz-Steuer wieder.“ Das soll also der ganze Sachverhalt sein? Darüber, dass es in zahlreichen anderen EU-Ländern die unterschiedlichsten Formen von Maut längst gibt (und die Finanzierung durch die dortigen Steuerzahler entsprechend geringer ist), wird kein Wort verloren. Und genau da liegt das Problem: Man ignoriert die Ausgangssituation.

Diskriminierung oder Korrektur einer Diskriminierung?

Die gegenwärtige Situation der Straßenfinanzierung ist ungerecht. Sie benachteiligt den deutschen Steuerzahler – insbesondere den steuerzahlenden deutschen Autofahrer, der öfters in Europa unterwegs ist. Denn der deutsche Steuerzahler muss die deutschen Autobahnen bezahlen, ohne durch Straßengebühren der ausländischen PKW-Fahrer, die diese Autobahnen benutzen, entlastet zu werden. Währenddessen wird der Steuerzahler der Maut-Länder entlastet, unter anderem durch die Mautzahlungen der deutschen Autofahrer, die dort unterwegs sind. So etwas nennt man eine diskriminierende Situation. Wie will man diese Tatsachen wegreden? Sie sind heute europäische Realität, Tag für Tag. In diese Realität sollte die deutsche Maut – eigentlich schon seit dem 1.1.2016 – korrigierend eingreifen. Wieso verstößt eine solche Korrektur gegen das Diskriminierungsverbot? Sie korrigiert eine bestehende Diskriminierung. Ein deutsches Nachziehen bei der Maut ist geradezu ein Gebot, wenn man die bestehende Ungerechtigkeit nicht hinnehmen will. Wenn Deutschland bei der Zahlungspflicht für Autobahnbenutzung gegenüber den Ländern, die diese Zahlungspflicht schon kennen, nachzieht, ist das legitim. Wenn es gleichzeitig bei den Inlandszahlungspflichten eine Reduktion vornimmt, ist das vollkommen logisch. Es gehört zum Lastenausgleich bei grenzüberschreitend verursachten Kosten. In welcher Form die Zahlungslast der Inländer vorgenommen wird, gehört zur Steuerhoheit des deutschen Gesetzgebers. Wenn die EU-Kommission die zeitgleiche Einführung dieser beiden Maßnahmen verbieten will, maßt sie sich ein Urteil darüber an, welcher Mix von Steuern und Gebühren im Verkehrswesen der Richtige ist. Sie müsste von einem Einheitsmodell für ganz Europa ausgehen. Hat sie je ein solches Modell vorgelegt und daran alle Länder gemessen? Natürlich nicht.

Der Rechtsanwalt Bernhard Müller aus Wien berichtet (in einem Artikel in der FAZ am 25.6.2015) folgendes: „Die seit 1988 bestehende `Pendlerpauschale´ wurde 1996, also wirkungsgleich mit der Einführung der Mautvignette, signifikant erhöht. Praktisch gleichzeitig mit der Erhöhung der Pendlerpauschale wurde wurden die österreichischen Schnellstraßen und Autobahnen in die Asfinag eingebracht und diese zur Erhebung einer Maut ermächtigt. 2013 wurde überdies der `Pendlereuro´ eingeführt, wonach Pendler einmal jährlich zwei Euro pro Kilometer der einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte direkt von der Lohnsteuer in Abzug bringen können. Zusätzlich gibt es Förderprograme der österreichischen Bundesländer. Zuletzt stehen jedem Arbeitnehmer in Österreich, unabhängig, ob er eine Pendlerpauschale bekommt, der sogenannte `Verkehrsabsetzbetrag´ zu. Für die `Sondermautstrecken´, das sind jene Strecken (wie z.B. der Arlbergtunnel), auf denen zusätzlich zur Autobahnvignette eine weitere Maut zu entrichten ist, gibt es weitere Begünstigungen für österreichische Pendler: Österreicher erhalten beispielsweise eine gänzliche Befreiung von der 100 Euro teuren Jahreskarte für den Arlbergtunnel, wenn sie eine Autobahnvignette erworben haben.“ Der Autor kommt zu dem Schluss, dass Österreich bei der Einführung seiner Maut eindeutig Kompensationen eingeführt hat, die nur österreichischen Mautzahlern zugutekommen – also genau das, was die EU-Kommission beim deutschen Mautprojekt für illegal erklärt. Es ist nicht bekannt, dass die Kommission seinerzeit gegen Österreich vorgegangen ist und das österreichische Mautmodell vor ein europäisches Gericht gebracht hat.

Um hier eindeutig zu sein: Es ist das gute Recht des österreichischen Staates, solche einseitigen Regelungen zu beschließen. Das gehört zum Recht auf souveräne politische Gestaltung der eigenen Infrastrukturen. Und genau dies Recht hat auch Deutschland.

Der Brüsseler Zentralisierungshebel: Freizügigkeit plus Gleichbehandlungsgebot

Nikolas Busse schreibt (am 29.April in der FAZ) folgendes: „Eine deutsche Maut, die de facto nur ausländische Autofahrer belasten würde, verstößt nun einmal gegen das Gleichbehandlungsgebot des EU-Binnenmarktes.“ So einfach soll der Sachverhalt sein. Und der Autor möchte auch gleich juristisch den Sack zumachen: „Es fällt schwer zu glauben, dass das im Verkehrsministerium oder im Deutschen Bundestag niemandem aufgefallen sein soll, wo vermutlich auch der eine oder andere Jurist mit Prädikatsexamen beschäftigt ist“. Wer wagt da noch zu widersprechen? Doch das sollte man gerade hier tun. Denn hier nähern wir uns dem zentralen Hebel des Brüsseler Machtkomplexes. Da ist zum einen das Gleichbehandlungsgebot. Es ist eine Selbstverständlichkeit für das Verwaltungshandeln in einem Staatswesen. Aber es ist keineswegs die oberste Maxime für die Führung eines Staatswesens, also für die Tätigkeit des Gesetzgebers. Denn eine solche Maxime würde die Gestaltungsmacht des politischen Handelns im ihrem Kern treffen. Man stelle sich vor, einem Staat würden nur noch Gesetzesmaßnahmen gestattet, die keinerlei einseitige Veränderung enthalten. Das Diskriminierungsverbot betrachtet ja jede Maßnahme isoliert. Diese wird „für sich“ genommen und bewertet, ohne Rücksicht auf die Ausgangslage, von der sie ausgeht. Damit wäre jede Korrektur von unfairen Verhältnissen unmöglich – weil deren Korrektur ja immer Gesetze mit „einseitigen“ Veränderungen erfordert. Hier liegt ein entscheidender Unterschied des politischen Handelns gegenüber dem Verwaltungshandeln. Politik muss gestalten, Prioritäten setzen, Hierarchien der Wichtigkeit setzen. Politik muss einseitig sein.

Das wird dann deutlich, wenn man noch eine zweite Maxime hinzufügt: die Freizügigkeit. Mit der Freizügigkeit ist die Möglichkeit verbunden, sich Zugang zu günstigen Bedingungen zu verschaffen, die in bestimmten Standorten, Regionen oder Ländern bestehen. Und die oft auf längeren historischen Entwicklungen beruhen, die langfristige Investitionen und kontinuierliche Bauanstrengungen erfordern. Wenn man also die Freizügigkeit mit der Gleichbehandlung verbindet, dann würde der Zugewanderte sofort die gleichen Vorteile für sich beanspruchen, die der Einheimische durch langfristige Anstrengungen erarbeitet hat. Das Beispiel der Sozialleistungen liegt hier natürlich auf der Hand und ist in der Europäischen Union auch hochaktuell: Ein wesentlicher Grund für die britische EU-Austrittsbewegung ist die Erfahrung, dass die EU zu einem Gebilde geworden ist, in dem ein Land nicht mehr den Zugang von Bürgern anderer EU-Länder zu den Sozialsystemen in eigener Souveränität begrenzen kann. Durch die Verbindung der beiden Prinzipien „Gleichbehandlung“ und „Freizügigkeit“ ist die EU hier de facto zu einem Einheitsstaat geworden. Zu einem informellen, nie deklarierten und nie von den Bürgern durch eine Verfassung begründeten Einheitsstaat. Bei den Sozialleistungen sieht sich nun auch die deutsche Bundesministerin für Arbeit und Soziales veranlasst, ein Gesetzesvorhaben anzukündigen, das den Zugang von EU-Bürgern zu deutschen Sozialleistungen begrenzt. Hier zeigt sich, wie problematisch es ist, das „Gleichbehandlungsgebot“ zum Oberbegriff der europäischen Politik zu erklären.

Der Fall des deutschen Maut-Projekts bildet hier eine Parallele. Er führt in einen zweiten großen Konfliktbereich in der EU: die technischen Infrastrukturen. Denn auch hier gibt es das Problem ungleicher Vorleistungen, die durch Freizügigkeit faktisch gleichgemacht werden. Der Unterschied zwischen inländischen Nutzern, die zugleich Träger des Aufbaus der Infrastruktur sind, und ausländischen Nutzern, die dies nicht sind, wird eingeebnet. Ohne Lastenausgleich zwischen beiden Seiten werden die ausländischen Nutzer zu Gratis-Nutzern, zu „Schwarzfahrern“. Es fände also eine Enteignung statt.

Das Gegenmittel: Subsidiarität und Lastenausgleich

Man könnte nun auf den Gedanken kommen, das Problem dadurch zu lösen, dass man ein gesamteuropäisches Einheitssystem bei den Verkehrsträgern einführt. Ein großes, europaweites Gemeineigentum also. Dazu hat bisher noch niemand etwas auf den Tisch gelegt. Das ist kein Wunder, denn gerade im Bereich der Verkehrssysteme und überhaupt der technischen Infrastrukturen gibt es große Unterschiede des Entwicklungsstandes und der Entwicklungswege. Vor allem gibt es auch sehr hohe Vorleistungen und lange Investitionsrhythmen. Eine „Europäisierung“ müsste sehr ungleiche Situationen gleich behandeln.

Die real existierenden Systeme sind ganz wesentlich von den Nationalgeschichten des Verkehrswesens und des gesamten Steuersystems geprägt, vom Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern, zwischen Steuern und Gebühren, zwischen privatem und öffentlichem Autobahnbetrieb und nicht zuletzt von den Unterschieden der Geographie und ihrer Prägewirkung auf das Verkehrssystem. Wer hier an einer Stelle mit einer Einheitsnorm eingreift, setzt eine ganze Kettenreaktion neuer Ungleichheiten und Korrekturen in Bewegung.

An dieser Stelle gibt es nun ein drittes großes Rechtsgebot, das auch in den europäischen Verträgen steht: das Subsidiaritätsprinzip. Das Prinzip betrifft den Ordnungsrahmen von politischen Aufgaben. Es besagt, dass die Dinge, die in einem kleineren Rahmen geregelt werden können, zwingend in diesem Rahmen geregelt werden müssen. Dass sie also ausschließlich und zwingend in der Zuständigkeit der entsprechenden, kleineren territorialen Einheiten gestaltet werden müssen. Im Fall des Baus, des Unterhalts und der Finanzierungsformen der Fernstraßen sind das im ganz überwiegenden Teil die Nationalstaaten.

Die Tatsache, dass der Nutzerkreis auch international ist, ändert daran nichts. Wie bei den Sozialsystemen kann bei den Verkehrssystemen von dem großen Einzugsgebiet der Mobilität nicht auf ein ebenso großes Gebiet der politischen Trägerschaft und Verantwortung geschlossen werden. Hier wird das Subsidiaritätsgebot wichtig. Es regelt die Trägerschaft der Sozialsysteme ebenso wie die Trägerschaft der Infrastrukturen. Es bildet eine wesentliche und originäre Rechtsquelle in der Mautfrage. Es steht nicht unter den Geboten von Freizügigkeit und Gleichstellung, sondern gleichrangig neben ihnen. Die Verkehrsinfrastruktur in Europa ist ein Testfall für das Subsidiaritäts-Gebot. Da diese Struktur technisch und finanziell weitgehend länderspezifisch ist, muss die Gestaltungsmacht in der Hauptsache bei den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU liegen – und nicht bei der EU-Kommission.

Das widerspricht nicht der Tatsache großer und wachsender internationaler Verkehrsströme. Wo nationale Verkehrs- und Finanzsysteme und hohe internationale Mobilität zusammenkommen (das gilt für Deutschland in besonderem Maß), ist ein angemessener Lastenausgleich wichtig. Eine Lösungsformel, die sowohl der Freizügigkeit, der Gleichbehandlung und der Subsidiarität gerecht wird, muss diesen Lastenausgleich einschließen. Der Lastenausgleich muss auch immer wieder einzelne Neujustierungen ermöglichen, ohne gleich das gesamte EU-System umkrempeln zu müssen. Im Grundsatz gilt: Die grenzüberschreitende Mobilität in Europa darf nur in dem Maße wachsen, wie es eine Beteiligung der Fremdverkehre an den Infrastrukturkosten der einzelnen Staaten gibt. Keine internationale Mobilität ohne internationalen Kostenausgleich – das wäre ein Partnerschaftsmodell und anpassungsfähig für einen Sektor in ständiger Veränderung. Das deutsche Maut-Projekt liegt auf dieser Linie.

Wenn Europäisierung zur Enteignung wird

Die „europäische“ Position, die die EU-Kommission für sich in Anspruch nimmt, ist ein Bluff. Denn sie repräsentiert weder sachlich noch rechtlich die europäische Realität. Die ablehnende Stellungnahme der Kommission gegen das deutsche Mautprojekt versucht, die Angelegenheit einfach mit Verweis auf das Gleichbehandlungsgebot abzuwickeln. Das Subsidiaritätsgebot spielt keine Rolle. Man macht sich gar nicht erst die Mühe, die Ausgangslage in Europa und ihre Weiterentwicklung darzustellen. Offenbar geht davon aus, dass man von Deutschland nicht mit einem wirklichen Ausfechten des Streits rechnen muss.

Nun droht die EU-Kommission damit, das deutsche Maut-Projekt vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu bringen. Damit wird der Bluff noch größer. Sollte sich das Straßburger Richtergremium den Standpunkt der EU-Kommission zu Eigen machen, würde es sich außerhalb des Rahmens bewegen, den die europäischen Verträge setzen. Es würde ein für Europa zentrales Rechtsgebot – die Subsidiarität – ignorieren. Ein solches Urteil gegen das deutsche Mautprojekt könnten der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung ihrerseits mit Recht ignorieren.

Bei einem Verfahren vor dem EuGH steht auch für die Straßburger Richter einiges auf dem Spiel. Es könnte sich nämlich zeigen, dass ihr Status als „Europäischer Gerichtshof“ durchaus etwas Zweideutiges hat. Es ist kein Verfassungsgericht (denn es gibt keine europäische Verfassung) und es beansprucht doch eine übergeordnete Kompetenz. Seine Urteile sollen Urteile „in letzter Instanz“ sein. Es vertritt einen europäischen Geltungsanspruch, zu dem es gar keine entsprechende gesetzgebende Gewalt gibt (Der ehemalige Bundesverfassungs-Richter Dieter Grimm hat dies detailliert in seinem Buch „Die Zukunft der Verfassung“ (Band II) erläutert). Je weiter sich das Straßburger Richtergremium vorwagt, umso mehr könnte offenbar werden, dass es in einsamer Höhe jenseits jeder Gewaltenteilung thront.

Sowieso ist es nicht einzusehen, warum die Bundesregierung die für den 1.1.2016 beschlossenen Gesetzesmaßnahmen (Maut und KfZ-Steuer-Reduzierung) nicht in eigener souveräner Zuständigkeit in Kraft gesetzt hat. In anderen Fällen sind Mitgliedsländer der EU so verfahren und haben den Brüsseler Papiertiger einfach brüllen lassen.

Man muss sich also fragen, warum Deutschland auf den Bluff der EU – der offensichtlich von eigenen Machtinteressen motiviert ist – so unterwürfig reagiert. Viele deutsche Politiker halten sich bei der Sachfrage gar nicht länger auf, sondern scheinen nur die Sorge zu haben, dass die deutsche Maut ein „euroskeptisches“ Werk sein könnte. Das ist auch die Tonlage im Mainstream der Medien. Der bereits zitierte Nikolas Busse schreibt: „Man startet ein Projekt, das erkennbar nicht im Einklang mit dem EU-Recht steht, und beschwert sich dann über die EU, wenn sie es verbietet.“ Und dann wird der Kommentator zum Geschichten-Erzähler: „Das Mautprojekt der CSU, entstanden in grauer Vorzeit aus Ärger über das österreichische `Pickerl´, war von Anfang an so konzipiert, dass es in Brüssel scheitern musste.“ Und auf einmal sind wir nur noch bei der CSU und den „Spielchen“, die man ihr in der FAZ gerne unterstellt: „Immerhin, für die CSU kommt der Einspruch der Kommission gerade zur rechten Zeit. Das Flüchtlingsthema ist so unvermittelt in den (medialen) Hintergrund getreten, dass der kleinste Koalitionspartner wieder politisches Graubrot kauen muss. Dobrindt hat ja schon angekündigt, dass er das Spielchen bis zum bitteren Ende treiben wird.“

Solche Zeilen zeigen, wie weit manche Leute geistig schon außerhalb des Landes leben. Sie haben offenbar gar kein Problem mit der täglichen unentgeldlichen Nutzung deutscher Fernstraßen durch ausländische PKW. Rechnen sie die Autobahnen schon gar nicht mehr zur Bundesrepublik? Haben sie sie schon in europäisches Gemeineigentum überführt? Hier bekommt das Wort vom „europäischen Deutschland“ auf einmal einen ganz neuen Beiklang, eine Konkretisierung sozusagen. Wenn es nach der EU-Kommission geht, gehören die Autobahnen zu einem besonderen Territorium. Für dies Territorium ist es dem deutschen Gesetzgeber strikt untersagt, bei der Einführung einer allgemeinen Autobahnmaut inländische Steuerzahler kompensierend zu entlasten. Jede Neujustierung der Zahlungspflichten zwischen Inländern und Ausländern ist ausgeschlossen, weil die Autobahnen im Grunde schon europäisiert sind. Wenn es nach den Europa-Deutschen geht, darf der hiesige Steuerzahler auch hier wieder ein Sonderopfer für den europäischen Weg bringen.

Eine merkwürdige EU-Kommissarin

Setzt sich Brüssel gegen die deutsche Maut durch, wächst schlagartig die Macht des EU-Verkehrskommissars. Dieser Kommissar ist gegenwärtig Frau Violeta Bulc, gebürtig aus Slowenien – pikanterweise ein Land, das Mautgebühren erhebt. Frau Bulc ist nicht auf Grund besonderer Vorkenntnisse und Führungserfahrungen im Bereich Verkehr und Infrastruktur zur EU-Kommissarin geworden. Generell werden die EU-Kommissare nach dem Prinzip „pro Mitgliedsland ein Kommissar“ ausgewählt. Es sind also Quotenkommissare. Unter solchen Umständen ist es ein Zufallstreffer, wenn ein Fachpolitiker von europäischem Format auf die richtige Position gerät.

Es wäre übertrieben, Frau Bulc als einen solchen Glücksfall zu bezeichnen. Sie kam als Ersatzkandidatin in die Kommission, nachdem die ursprüngliche Kandidatin, die slowenische Ex-Regierungschefin Alenka Bratusek, in der Anhörung vor dem Europa-Parlament durchgefallen war. Dem Vernehmen nach machte Frau Bulc einen recht taffen Eindruck, wobei ihr eventuell zugutekam, dass sie ein Unternehmen gegründet hatte – ein Unternehmen zur Unternehmensberatung, ein Meta-Unternehmen also, das sich „Vibacom – House for Business Solutions“ nannte und dessen Webside den Leser ein bisschen ratlos lässt, worin die „solutions“ denn bestehen könnten. Wie dem auch sei, sie wurde akzeptiert – nicht zuletzt, weil die unter dem neuen Vorsitzenden Juncker gebildete Kommission endlich ins Amt kommen sollte (wie „Spiegel Online“ am 16.10.2014 berichtete). Eine Hintergrundinformation lässt allerdings doch aufhorchen. Frau Bulc gilt als Anhängerin von Esoterik und New Age. „Kritiker stürzten sich nach ihrer Nominierung rasch auf Onlinevideos, in denen die Slowenin erläuterte, Strukturen hätten `ihre eigenen Leidenschaften´“, heißt es in dem Spiegel-Bericht. Und weiter: „Blogger sezierten Bulcs eigenen Blog, auf dem sie einen Lauf über glühende Kohlen beschrieben und von der kosmischen Erfahrung schwärmte. Andere tauften sie `Schamanin´, weil Frau Bulc eine entsprechende Ausbildung vorweisen kann“. Das liegt denn doch ziemlich weitab vom europäischen Erbe der Aufklärung und der modernen Fachverwaltung.

 

(erschienen am 7.5. in Rahmen meiner Kolumne bei „Tichys Einblick“ und am 18.5. auf der „Achse des Guten“)