15.07.2016
Unter dem Vorzeichen „Integration“ wird Deutschland nun erst wirklich der Masseneinwanderung unterworfen
Der zweite Dammbruch
Das „Integrationsgesetz“ ist beschlossen, ebenso ein Bund-Länder-Abkommen über Finanzierungsfragen. Um jeden Preis soll der Eindruck erweckt werden, die Sache sei nun nachhaltig im Griff. Doch eigentlich geschieht etwas anderes. Die großen Massenkolonnen, die über die Grenze drängen, stehen nicht mehr im Mittelpunkt. Die Migration wird überführt in unzählige Einzelbewegungen und –schauplätze. Die Millionenzahl, die innerhalb eines Jahres nach Deutschland gekommen ist, wird in Kleingruppen aufgegliedert und erscheint nicht mehr in ihrem ganzen Ausmaß. Doch zugleich geht die Migrationskrise weiter. Sie geht jetzt sogar erst richtig in die Tiefe. Sie greift über in den Normalbetrieb des Landes, sie nistet sich in Wohngebäuden, Schulen, Betrieben, Freizeiteinrichtungen und vielen anderen Stellen ein. So ist in der neuen Unübersichtlichkeit der Migrationswelle eine ganz neue Qualität enthalten. Bisher war das einseitige, willkürliche und damit illegale Einwandern nach Deutschland offiziell noch ein Provisorium. Es wurde als Ausnahme in einer Notlage dargestellt und sollte durch Überprüfung und gegebenenfalls begrenztem Schutzaufenthalt reguliert werden. Doch nun ist von Überprüfung und zeitlich begrenztem Aufenthalt nicht mehr die Rede. Das nach wie vor ungelöste Problem der Ausweisung von Schein-Flüchtlingen ist kein Thema mehr. Jetzt regiert auf einmal ein anderer Oberbegriff: Die „Integration“ hat das „Retten“ ersetzt. Auf einmal wird behauptet, dass Deutschland die Aufgabe hätte, die Hineindrängenden möglichst schnell einzubürgern. Auf einmal werden die „Flüchtlinge“ behandelt wie „Arbeitsmigranten“ – merkwürdige Arbeitsmigranten, die wir uns gar nicht als Kollegen ausgesucht haben und die niemand nach der anstehenden Arbeit in Deutschland ausgewählt hat. So erklärt man ihre Einbürgerung einfach zur „demographischen“ (also biologischen und damit alternativlosen) Notwendigkeit. Von wegen einfach: Die Integration dieser Demographie-Migranten muss als eine riesige finanzielle und kulturelle Vorleistung erbracht werden, die die Vorleistung beim „Retten“ um ein Vielfaches übertrifft.
Natürlich ist dies Umschalten auf Integration schon seit längerem im Gange. Schon vor Monaten erklärte der niedersächsische Ministerpräsident Weil (mal eben so in ein Interview eingestreut), dass sowieso klar sei, dass die Migranten-Million von 2015 insgesamt in Deutschland bleiben würde. Damit war eine Erweiterung der Migrationspolitik zum Ausdruck gebracht, die in ihren gesellschaftsverändernden Konsequenzen die Grenzöffnung vom September 2015 noch übertraf. Niemand – weder Wahlvolk noch Parlament – hat die Regierenden zu einer solchen Bleibeerklärung ermächtigt. Man behalf sich damit, dass man „Integration“ einfach mit der Abarbeitung der Flüchtlingswelle gleichsetzte und damit zur Selbstverständlichkeit erklärte.
Doch allmählich wird deutlich, um welch außerordentliche Anstrengung es geht. Deutschland wird einer Integrationsagenda unterworfen, die in ihren Dimensionen die Schröder-Agenda 2010 weit übertrifft. Aber es ist keine Sanierungsagenda, sondern eine Agenda sozialpolitischer und kultureller Vorleistungen, die einem Personenkreis gewährt wird, bei dem zum größten Teil noch nicht einmal die Anerkennung als Asylant gegeben ist. Solche Leistungen werden sogar Personen gewährt, deren Identität nicht geklärt ist, weil sie ohne gültige Papiere oder mit gefälschten Papieren eingereist sind.
Mit anderen Worten: In Deutschland findet ein zweiter Dammbruch statt. Der Dammbruch an den inneren Grenzen unserer Gemeingüter, unserer Arbeits- und Wohnungsmärkte. Ein Dammbruch bei den kleineren Betrieben und Hauseigentümern, ein Dammbruch bei den Kommunen. Ein Dammbruch mitten im Land. Er findet, wohlgemerkt, nicht in einem großen Knall statt, sondern in tausenden kleinen Durchbrüchen, als Sickerprozess. So ist dieser zweite Dammbruch viel weniger sichtbar als der erste. Er setzt sich aus lauter einzelnen Ereignissen zusammen, mitten in der Normalität von Lehrwerkstätten, Wohnhäusern, Buslinien, Klassenräumen. Auch in unzähligen Geldzuwendungen – oft aus Finanzierungstöpfen, die gar nicht gesondert als Integrationskosten ausgewiesen sind. So können auch die größten Fehlentwicklungen immer nur als Einzelfälle wahrgenommen werden. Und wenn die Agenda längst gescheitert ist, so wird man es nicht feststellen können.
„Integration“ als Umkehr der Bringschuld
In den vergangenen Tagen ist es vor der Jahnsporthalle zu Protesten von Migranten gekommen, die nicht in die Hangars des ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof verlegt werden wollten. Die Verlegung war notwendig, damit in der Halle wieder Sport getrieben werden konnte. Die Migranten waren zum Umzug nur bereit, wenn es in kleinere oder private Wohneinheiten ging. „No Lager – gegen die Unterbringung in Massenunterkünften“ war die Losung. Es gibt inzwischen an vielen Orten in Deutschland solche Szenen. Migranten sind nicht mehr damit zufrieden, dass sie gerettet wurden. Sie fordern Wohnungen, wie sie ein Berliner im Niedriglohnsektor vielleicht nach langen Jahren bekommt. Die Migranten betrachten eine solche Wohnung als ihr Recht, das ihnen auch ohne vorherige Arbeit, und sogar ohne anerkannten Asylstatus zusteht. Der Fall zeigt, wie schnell die Willkommenskultur in hässlichste Undankbarkeit umschlagen kann. Es ist wohl ein Zufall, dass einige Tage vorher in der FAZ (8.7.2016) ein Artikel von Heike Schmoll stand, der sich die Kritik an der Unterkunft Tempelhof – eine der größten in Deutschland – zu eigen machte: „Viele Flüchtlinge wohnen hier schon zehn Monate und länger, und aus Studien mit Langzeitarbeitslosen ist bekannt, dass es nur mit höchstem Aufwand gelingt, Menschen nach so langem Nichtstun wieder zu aktivieren. Durch Unterlassen entstünden viel höhere Kosten als durch rechtzeitige Intervention, geben die Sozialarbeiter zu bedenken. Nach der Aufbruchsstimmung der Flüchtlinge unmittelbar nach ihrer Ankunft hat sich in den Hallen ohnehin Niedergeschlagenheit ausgebreitet. Viele finden trotz einer Aufenthaltsgestattung keine Wohnung auf dem freien Markt, weil sie nicht mit einheimischen Familien konkurrieren können; das zermürbt sie.“
Hier findet ein erstaunlicher Perspektivwechsel statt: Die „Flüchtlinge“ erscheinen als die Aktiven („Aufbruchsstimmung“), die innerhalb von „zehn Monaten“ durch die Umstände in Deutschland passiv gemacht würden. Als wären die Migranten vorher aus einer intakten Arbeits- und Ausbildungssituation in ihren Herkunftsländern herausgerissen worden. Auf dieser Basis wird nun eine Umkehr der Bringschuld vorgenommen. Die Berliner Behörden, die mit erheblicher Mühe Nothilfe leisteten, sind nun auf einmal verantwortlich für das Nichtstun in der Unterkunft. Es ist ihre Unterlassung (und die Unterlassung der Berliner Wirtschaft und Bürgerschaft insgesamt), wenn die Migranten unzufrieden sind. Zum Imperativ des Rettens ist nun ein neuer moralischer Imperativ gekommen: die Versorgung mit einer Wohnung, mit einem bezahlten „Posten“, mit Bildungsdienstleistungen usw.. Hier wird eine neue Vorleistung des Gastlandes gefordert, ohne dass auch nur die mindeste Gegenleistung vorläge oder in näherer Zukunft zu erwarten wäre.
Einseitige Vorleistungen
Nach einer Umfrage verfügten die deutschen Städte und Gemeinden (über 10000 Einwohner) im September 2015 über Kapazitäten zur Aufnahme von einer halben Millionen Migranten; bis April 2016 wurden Kapazitäten für weitere 340000 Migranten hinzugebaut. Im Laufe des Jahres werden weitere 300000 Plätze benötigt (vgl. FAZ vom 8.7.2016). Für Aufnahme, Unterbringung und Betreuung müssen dieses Jahr zusätzliche Schulden in Höhe von 1,1. Milliarden Euro gemacht werden, im kommenden Jahr noch einmal 670 Millionen. Diese Zahlen würden sich sofort drastisch erhöhen, wenn man zu kleineren Wohneinheiten mit höheren Baustandards übergeht. Außerdem gibt es keinerlei Schätzung über die Dunkelziffer unregistrierter Migranten im Lande, die überraschend „auftauchen“ und sich nachträglich als Asylbewerber (besonders in den Metropolregionen) präsentieren könnten. Ebenso gibt es gegenwärtig keine verlässlichen Angaben, wie groß der „kleinteilige“ Grenzübertritt (per PKW) über süd- und osteuropäische Routen ist. Leere Erstaufnahmelager an der Grenze bedeuten keineswegs, dass die Zuwanderung von außen (der „erste Dammbruch“) gestoppt ist. 72% der Städte und Kommunen beklagen die fehlende Prognose der Migrantenzahlen.
Auf einer Konferenz des IFO-Instituts wurden ernüchternde Zahlen zur Qualifikation und Berufsfähigkeit der Migranten bekannt. Zwei Drittel aller Migranten aus Syrien haben keine professionelle Qualifikation. Nach Schätzung des IFO-Präsidenten Clemens Fuest sind einmalige Kosten in Höhe von 5-8% des deutschen Bruttoinlandsprodukts zu erwarten – und in der Gesamtbilanz kein positiver Beitrag zum deutschen Steuer- und Transfersystem (Bericht in der FAZ vom 2.7.2016). Das Problem liegt dabei noch tiefer als es der Ausdruck „niedrige Qualifikation“ besagt. Wenn es nur darum ginge, fehlende Qualifikationen nachzuholen, wäre die Vorleistung von Schulen und Betrieben noch kalkulierbar. Aber es fehlt etwas Grundlegenderes: eine Lernmotivation, die die Migranten überhaupt zum Nachholen bringt. Qualifikation ist keine Dienstleistung, die an den Auszubilden verrichtet wird wie ein Haarschnitt. Nach Angaben der Handwerkskammer München und Oberbayern haben 70% der Syrer, Iraker und Afghanen, die vor zwei Jahren eine Berufsausbildung begonnen haben, diese inzwischen abgebrochen. Das passt zu einer Erfahrung, die inzwischen aus vielen Bildungsstatistiken hervorgeht: Unter den jugendlichen Migranten aus dem arabisch-türkisch-islamischen Kulturkreis gibt es eine weit überdurchschnittliche Quote des Scheiterns.
Man hat bei dem kürzlich verabschiedeten Integrationsgesetz den Eindruck erweckt, hier würde ein Ausgleich von Leistung und Gegenleistung („Fordern und Fördern“) hergestellt. So hat man Asylbewerbern (nicht nur anerkannten Asylanten) ein Bleiberecht für die Dauer eines Ausbildungsverhältnisses eingeräumt. Ursprünglich sollte das im strikten Sinn gelten: Wird das Ausbildungsverhältnis abgebrochen fällt der Schutz weg. Doch dann wurde nachträglich genau diese Striktheit von Leistung und Gegenleistung aufgehoben: Wenn der Migrant, der eine Ausbildung abbricht, innerhalb von 6 Monaten eine Ersatzlehrstelle antritt, gilt sein Schutz weiter. Damit ist dem kurzatmigen Lehrstellen-Probieren und dem schnellen Aufgeben bei Widrigkeiten Tür und Tor geöffnet. Als Begründung hört man folgenden Satz: Die Neuregelung soll den Asylbewerber davor schützen, „dass ihr Betrieb sie mit einer drohenden Abschiebung unter Druck setzen kann“ (FAZ, 7.7.2016). Man beachte, wer hier unter den Verdacht einer möglichen Fehlhandlung gestellt wird: der deutsche Betrieb, der den Ausbildungsplatz zur Verfügung stellt.
Am 5.7.2016 berichtet die FAZ von einem Plan des Bundesinnenministers, die Einrichtung eines Bankkontos auch Personen zu ermöglichen, die ihre Identität nicht durch richtige Ausweispapiere belegen können. Anlass ist die große Zahl von Migranten, die ohne Ausweispapiere nach Deutschland gelangt sind. Sie können meistens nur Behelfsdokumente vorlegen, die die Ausländerbehörde ausgestellt hat – auf Grundlage der Angaben, die der jeweilige Migrant selber gemacht hat und die nicht weiter überprüft werden können. Das war den Banken bisher strikt untersagt, mit Hinweis auf die Möglichkeit von Geldwäsche und Terrorfinanzierung. Banken, die dagegen verstießen, drohten scharfe Sanktionen, auch im Ausland (vor allem den USA). Nun soll es anders sein: Ankunftsnachweis und Duldungsbescheinigung sollen genügen. Dort figurieren zwar ein Foto und ein Fingerabdruck, aber Name, Geburtsdatum, Wohnort beruhen einzig auf den Angaben der jeweiligen Person.
Ein halbes Jahr nach der Massengewalt gegen Frauen durch einen Migrantenmob in der Kölner Silvesternacht liegen erste Erfahrungen mit der Ahndung durch die Gerichte vor. Sie stehen in krassem Gegensatz zu den Versprechungen der Regierenden, die der Bildung dieses Gewaltmilieus über Jahre duldsam zugesehen hatten. Ein Großteil der Taten ist nicht zu belegen, die Täter sind nicht zu identifizieren. Und doch, in einem Fall konnte die Tat nachgewiesen und ein Schuldiger identifiziert werden. Was tat das Gericht? Es setzte die Strafe zur Bewährung aus. Zur Bewährung? Das heißt, der Richter stellte dem Täter jenen öffentlichen Raum auf neue zur Verfügung, den er schon einmal auf das Dreckigste missbraucht hat. Die Bürger, insbesondere die weiblichen Bürger, haben sich nun für die Bewährung des Täters zur Verfügung zu stellen. Nicht der Täter muss in Vorleistung treten, auch nicht der Richter, sondern die Frauen.
Erst waren alle „Flüchtlinge“, nun sollen sie alle „Arbeitsmigranten“ sein
Es ist erstaunlich, mit welcher Penetranz noch immer der Oberbegriff des „Flüchtlings“ gebraucht wird. Denn das Großprogramm, das zur Integration aufgelegt wird, hat mit Flüchtlings-Nothilfe nichts zu tun. Das Programm ist im Grunde ein tägliches Dementi der Flüchtlingskrise, denn es passt eher zu einer Großanwerbung von Arbeitsmigranten. Nur wenn Migranten in Fähigkeiten, Erwartungen und Moral in die Entwicklung des Einwanderungslandes passen, haben die Vorleistungen bei Wohnung, Ausbildung und Arbeitsförderung ein Ziel und ein kalkulierbares Ende. Doch für die große Mehrzahl derjenigen, die bei uns ins Land gedrängt sind, ist die Bezeichnung „Arbeitsmigrant“ völlig unpassend. In Deutschland gibt es längst eine herbe Enttäuschung darüber, wie wenig diese jungen Männer an Arbeitskraft, Neugier und Leistungswillen mitbringen. Wie schnell sie sich benachteiligt und beleidigt fühlen – und wie sie aus dem guten Willen des wohlhabenden Gastlandes Kapital („Migrationsrenten“) zu schlagen versuchen. Sie sind Migranten ohne Gepäck, ohne Eigenschaft, ohne Bindung, innerlich vagabundierend zwischen überall und nirgends. Dieser Ziellosigkeit öffnet die Integrationsagenda 2016 Tür und Tor.
(erschienen in meiner Kolumne bei „Tichys Einblick“ am 16.7.2016)