Massendemonstrationen und eine zunehmende Unternehmensflucht zeigen die Grenzen des katalanischen Separatismus (Verteidigt Spanien, Teil III)
Spanien – Die „Nation der Nationalitäten“ lebt
19. Oktober 2017
Es war eine so verführerische Geschichte, die die katalanischen Separatisten präsentiert hatten: Ein kleines Volk kämpft um seine Selbstbestimmung gegen den spanischen Überstaat. Auf der einen Seite „die Menschen“ mit ihrem Herzen, ihrem Engagement, ihren Rufen, ihrer Verletzlichkeit; auf der anderen Seite eine herzlose „Maschine“, gewalttätige Polizisten ohne Gesicht, papierene Gesetzesparagraphen. Auf der einen Seite „die Jugend“ – offen, gebildet und natürlich „vernetzt“, auf der anderen Seite die „ewig Gestrigen“ und eine lange Geschichte der Unterdrückung. Und dazu noch die Wirtschaft: Auf der einen Seite eine fleißige, produktive Region, auf der anderen Seite ein passives, arrogantes, korruptes Nichtstuer-Spanien. Gewiss gab es schon Berichte, die gegen diese Katalonien-Erzählung sprachen, aber es blieben doch einzelne Stimmen. In der Öffentlichkeit bestimmten die Separatisten das Bild. Zwar hatten sie nirgendwo eine demokratisch zählbare Mehrheit, aber sie hatten die Initiative und die Diskussionshoheit. Die Mehrheit schien bloß eine „schweigende“ Mehrheit zu sein, die den Lauf der Dinge hinnahm. Auch die Wirtschaft schien sich mit dem Separatismus arrangiert zu haben.
So waren die Verhältnisse, bis der Oktober begann. Auch der 1. Oktober, der Tag des „Referendums“, schien noch die Erzählung vom unterdrückten Katalonien zu bestätigen. Die Separatisten konnten Bilder zeigen, wie einige „Wahllokale“, die die Separatisten eingerichtet hatten (durch Besetzung öffentlicher Gebäude), gewaltsam geräumt wurden. Das Stimm-Ergebnis war allerdings mager. Die von den Separatisten genannten und nicht überprüfbaren Ja-Stimmen betrugen etwa 39% der in Katalonien Stimmberechtigten. Doch noch wähnten sich die Anhänger der Abspaltung auf der Siegerstraße. Sie behaupteten, das Stimmergebnis sei ein eindeutiger Auftrag zur Erklärung der Unabhängigkeit, und riefen einen Generalstreik für den 3. Oktober aus. Viele Beobachter hielten den Atem an: Würde es zu einer Massenbewegung kommen, vielleicht aus Wut gegen die Polizeigewalt? Aber die Separatisten gewannen keine neuen Kräfte.
Doch dann geschah etwas Neues. Es gingen Menschen auf die Straße, die man als Bürger schon gar nicht mehr mitgezählt hatte. Der 8. Oktober 2017 könnte in die Geschichte des demokratischen Spanien eingehen. An diesem Tag, einem Sonntag, gingen in Katalonien und in anderen Landesteilen Hunderttausende auf die Straße. Knapp eine halbe Million waren es allein in Barcelona. Mitten in der angeblichen „Hauptstadt des unabhängigen Katalonien“ wurde ausdrücklich für die Zugehörigkeit zu Spanien demonstriert. „Eine historische Demonstration gegen den Separatismus und für die Verfassung“ titelte die Tageszeitung „El Pais“ am Montag. Plötzlich und ganz unverhofft waren die Menschen auf die Straße gegangen. Mit einem Schlag wurde deutlich, wie sehr die Erzählung vom „Volk, das sich aus der spanischen Knechtschaft befreien will“ eine Lügengeschichte war. Und wie sehr diese Erzählung Menschen in ihren Zugehörigkeits-Gefühlen verletzte. Nun war klar, das dem katalanischen Separatismus nicht nur eine „Staatsmaschine“ gegenübersteht, sondern Menschen mit Fleiß, Liebe und Leidenschaft. Die Zugehörigkeit Kataloniens zu Spanien ist eine gelebte, alltägliche Wirklichkeit in Politik, Wirtschaft und Kultur. So wurde den Separatisten, die sich im Alleinbesitz von Moral und Herz glaubten, genau in dem Moment der Schneid abgekauft, wo sie sich kurz vor dem Ziel wähnten.
Zwei Flaggen: Über die Zweistufigkeit der spanischen Verfassung
– Wenn man die Bilder der Demonstrationen am 8.Oktober aufmerksam betrachtet, fällt auf, dass neben den spanischen Flaggen viele katalanische Flaggen („La Senyera“ genannt) gezeigt wurden. Jorge Marirrodriga schreibt dazu (in „El Pais“ am 10.Oktober):
„Einer der erstaunlichsten Erscheinungen des 8. Oktober ist, dass Millionen Katalanen, die Spanier bleiben wollten, die Senyera für sich beanspruchten. Und noch erstaunlicher war, das Millionen Spanier, die diese Katalanen unterstützten, auch die Senyera zeigten… In dem fast perfekten Marketing der Separatisten hatte wohl niemand damit gerechnet, dass die Flagge Kataloniens zur spanischen Flagge hinzugefügt und begrüßt wurde – von Menschen außerhalb Kataloniens, die diese Flagge als die ihre betrachteten, weil sie ihre Mitbürger repräsentierte. Dass die Policia Nacional (die in den Regionen stationierte gesamtspanische Polizei, GH) die Senyera zusammen mit der spanischen Flagge an ihren Einsatzwagen anbrachte, und dass Bürger aus Andalusien oder aus Murcia beide Flaggen gleichermaßen flattern ließen, weil sie sie als die ihren ansahen, das hätten sich die Separatisten nicht in ihren finstersten Alpträumen vorstellen können.“
So haben die Demonstrationen nicht nur die Verbundenheit von Hunderttausenden mit der Nation Spanien gezeigt, sondern sie haben auch die Formel „Nation der Nationalitäten“, die die Grundlage des spanischen Verfassungsmodells ist, mit neuem Leben gefüllt.
Artikel 2 der spanischen Verfassung lautet: „Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier, und anerkennt und gewährleistet das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, die Bestandteil der Nation sind, und die Solidarität zwischen ihnen.“ Damit beruht die Verfassung auf einer Differenzierung und Zweistufigkeit nationaler Zugehörigkeit. Es gibt die eine, unteilbare spanische „Nation“ und es gibt einen Pluralismus von „Nationalitäten“ innerhalb dieser Nation. So können Einheit und Pluralismus zusammengefügt werden. Man kann Spanier sein, ohne seine regionale Nationalität abstreifen zu müssen. Dabei geht es nicht nur um Katalonien, sondern auch um Galizien, das Baskenland, Andalusien, Kastilien – im Prinzip haben alle spanischen Regionen, mehr oder weniger stark, solche Identitäten. Das, was wir als „spanisch“ sehen – spanische Wirtschaft, spanische Politik, spanische Kultur – funktioniert insgesamt nur durch die Zweistufigkeit nationaler Zugehörigkeiten. Die Herausbildung einer spanischen Nation als eines übergreifenden und zugleich lebendigen Zusammenhalts ist eine große historische Leistung, die immer wieder bedroht war und die in der Verfassung von 1978 zu ihrer bisher klarsten und demokratischsten Form gefunden hat.
Der katalanische Separatismus ist ein Rückfall
Die Separatisten wollen „Spanien“ zum Ausland erklären. Wenn sie das tun, müssen sie das Innenleben und die Geschichte Kataloniens von allen spanischen Elementen säubern. Dabei stammt mindestens die Hälfte der Katalanen aus anderen spanischen Regionen. Die Wirtschaft Kataloniens ist besonders stark auf den spanischen Binnenmarkt ausgerichtet. Auch die Vorstellung, das demokratische Katalonien sei unabhängig von Spanien entstanden, ist historisch falsch. Der friedliche Übergang zur Demokratie nach dem Tod Francos (die Transicion) war ein gesamtspanischer Prozess. Diesem Prozess verdankt auch Katalonien seine weitgehenden Autonomierechte. Die Zivilgesellschaft, die den politischen Übergang mittrug und eine befriedende Wirkung auf die alten Feindschaften aus dem spanischen Bürgerkrieg hatte, war eine in ganz Spanien gewachsene Macht. Sie war keine katalanische Sonderentwicklung.
Stellen wir uns für einen Moment vor, wie ein Separatstaat „Katalonien“ mit den anderen Nationalitäten Spaniens umgehen würde. Würde er den Minderheiten von Kastiliern, Andalusiern, Basken oder Galiziern eigene Autonomiegebiete in Katalonien zuzugestehen? Würde er also eine ähnliche Zweistufigkeit wie Spanien schaffen? Das würden die Separatisten weit von sich weisen, denn sie werben ja mit einer von einer einzigen Identität geprägten, „katalanistischen“ Staatsidee. Eine Bildung von Subterritorien in Katalonien wäre auch unsinnig, denn diese wären gar nicht autonomiefähig. Obendrein gäbe es dort dann wieder neue Minderheiten, die Autonomie-Ansprüche stellen könnten. Mit anderen Worten: Wer das Recht auf Selbstbestimmung absolut setzt, kommt in Teufels Küche. Dieser Weg kann nicht beliebig in immer kleinere territoriale Einheiten verlängert werden. Würde Katalonien zum eigenen Staat werden, könnte er sein Heil also nur in einer Durchkatalanisierung suchen. Das würde eine viel engere Homogenität erzeugen, als die Nation Spanien sie heute bietet. Viele Bewohner Kataloniens beklagen sich schon jetzt über den kleinlichen Geist, den die Katalanisten im öffentlichen Leben und in Bildungs- und Kultureinrichtungen verbreiten.
Über eine Verdrehung des Völkerrechts
Es wurde in der Katalonien-Affäre der Eindruck erweckt, das Völkerrecht sei auf Seiten der Separatisten. Das Völkerrecht wird hier gleichgesetzt mit einem einzigen Recht: der Selbstbestimmung. Unterschlagen wird, dass zum Völkerrecht ebenso das Recht auf territoriale Integrität gehört. Diese Integrität darf nur in Extremfällen (wie der drohenden Vernichtung von Volksgruppen) hintangestellt werden. Was passiert, wenn ein einzelnes Recht als „das“ Völkerrecht oder „das“ Menschenrecht absolut gesetzt wird, erleben wir in Deutschland gegenwärtig mit dem angeblichen „Menschenrecht auf Migration“.
Ein Putsch auf Raten?
Der katalanische Separatismus hat inzwischen ein Stadium erreicht, wo er nicht mehr mit Argumenten überzeugen will, sondern die Sache durchdrücken will. Die Zeitung „El Pais“ berichtet in ihrer Ausgabe vom 10. Oktober von einem Strategiepapier, das der Polizei schon am 20. September bei einer Durchsuchung der Wohnung von Josep Maria Jove, dem Vizesekretär des stellvertretenden katalanischen Regionalpräsidenten Oriol Junqueras, in die Hände fiel. Dort werden Aktionen vorgeschlagen, „die zu einem demokratischen Konflikt mit breiter Bürgerunterstützung“ führen sollen, mit dem Ziel, „politische und wirtschaftliche Instabilität zu erzeugen, die den (spanischen) Staat dazu zwingen, Verhandlungen über die Separation (Kataloniens) zu akzeptieren.“ Eine Art Zermürbungskrieg wird da entworfen. Eine schleichende Machtergreifung, ein Putsch auf Raten. Aber nicht ein paar Generäle ergreifen über Nacht die Macht, sondern an den verschiedensten Stellen, insbesondere im öffentlichen Dienst, werden „katalanische Regeln“ durchgesetzt. Bei der Vorbereitung des „Referendums“ wurde sichtbar, wie zahlreiche Bildungseinrichtungen, Kultureinrichtungen, Sozialbehörden, Regionalsender und regionale Polizeieinheiten zu kleineren oder größeren Gesetzesbrüchen bereit waren. „El Pais“ zitiert aus einem Bericht der Guardia Civil, dass abgehörte Telefongespräche ergeben hätten, dass die politische und polizeiliche Führung der Mossos d´Esquadra (der regionalen Polizeitruppe) „vollständig in den Separationsprozess verwickelt ist“. Ebenso wurden häufig Telefongespräche in codierter Form durchgeführt, um die Kollaboration mit den Separatisten zu verdecken.
Und die politische Spitze der Separatisten? Bisher hatte Carles Puigdemont, der Präsident der Regionalregierung, den Eindruck erweckt, es gebe einen unaufhaltsamen „Separations-Prozess“, in dem man sicher mitfahren könne (und müsse). Würde also dieser Puigdemont nun seinen Worten Taten folgen lassen und die Unabhängigkeit erklären? Nein, er bekam kalte Füße. Gerade hatte er noch angeprangert, welch unerträglicher Unterdrückung „sein Volk“ ausgesetzt sei, und dann war das alles doch nicht so dringend. Zwei Tage nach der Massendemonstration gegen die Abspaltung Kataloniens gab er vor dem Parlament eine Erklärung ab, die im Wesentlichen zwei Sätze enthielt: „Ich übernehme das Mandat des Volkes, dass Katalonien sich in einen unabhängigen Staat in Form einer Republik verwandelt.“ Und dann: „Ich schlage vor, dass das Parlament das Effektiv-Werden der Unabhängigkeitserklärung aufschiebt, damit wir in den nächsten Wochen den Dialog unternehmen.“ Was für eine Wort-Pirouette. Die Unabhängigkeit wird erklärt… und gleich wieder zurückgenommen. Das Parlament soll erst gar nicht darüber abstimmen, ob es sich dem angeblichen „Mandat des Volkes“ anschließt oder nicht. Stattdessen ermächtigt sich Puigdemont, einen „Dialog mit dem spanischen Staat“ zu führen – ohne dass Katalonien in eine eigene Staatlichkeit eingesetzt wäre. Puigdemont handelt wie ein Autokrat. Zugleich überführt er das Referendum in eine bloß symbolische Übung und wäscht seine Hände in Unschuld. Düpiert sind diejenigen, die dafür in den letzten Wochen Gesetze gebrochen und ihre berufliche Existenz aufs Spiel gesetzt haben.
Ein wirtschaftlicher Exodus hat begonnen
Wenn der Separatismus innerhalb weniger Tage so deutlich an Schlagkraft verloren hat, so liegt das nicht nur daran, dass ihm Hunderttausende auf der Straße widersprochen haben. Es gibt noch eine zweite Bewegung: Die in Katalonien ansässigen Unternehmen, die bisher geschwiegen hatten, gehen nun gegen den Separatismus in Stellung. Und etliche haben gleich Tatsachen geschaffen und in den vergangenen Tagen ihren Firmensitz aus Katalonien in andere spanische Regionen verlagert. Im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16.Oktober findet sich eine Statistik der verlagerten Firmensitze seit dem 1.Oktober (dem Tag des „Referendums“). Am 3.10. ging das erste Unternehmen, am 5.10. folgten zwei weitere, am 6.10. vier weitere. Dann begann die Welle: Bis zum 9.10. gingen weitere 212 Unternehmen, am 10.10. folgten 177 und am 11.10. dann 144. Insgesamt verließen in diesen 10 Tagen 540 Unternehmen Katalonien. Das ist ein wahrer Exodus – vor allem, weil darunter 30 der 40 wichtigsten Unternehmen der Region sind. Die Möglichkeit, dass eine Abspaltung Kataloniens wirklich vollzogen werden könnte, „hat bewirkt, dass Unternehmen, die sich bisher niemals politisch positioniert haben, sich nun, angesichts der Instabilität der Märkte, dazu veranlasst sahen“, schreibt Lluis Pellecer in der Zeitung „El Pais“ vom 10. Oktober.
Dieser Exodus ist nicht ein vordergründiges politisches Statement, sondern hat tiefere wirtschaftliche Gründe. Die Wirtschaft Kataloniens ist sehr stark auf den spanischen Binnenmarkt ausgerichtet. Während in manchem Pressebericht der Eindruck erweckt wird, Katalonien sei besonders stark auf dem europäischen Markt (und könne deshalb gut ohne „Rest-Spanien“ überleben), funktioniert das katalanische Geschäftsmodell in Wirklichkeit anders: Die Region hat ein Handelsdefizit mit Europa und erzielt Überschüsse auf dem spanischen Binnenmarkt. Die Unternehmen in Katalonien sind also existenziell mit der spanischen Wirtschaft verknüpft. Das gilt übrigens auch für die starke Präsenz deutscher Unternehmen in Katalonien. Für sie ist dieser Standort nur als Brücke auf die iberische Halbinsel interessant. Eine Lostrennung Kataloniens von Spanien ist also wirtschaftlich ein kompletter Widersinn. Man sägt an dem Ast, auf dem man sitzt.
An dieser Stelle wird deutlich, wie wirtschaftsfern der „neue“ katalanische Separatismus ist. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass Katalonien die spanische Region mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung ist (und sich in der Schuldenkrise unter den Schutz des gesamtspanischen Rettungsfonds begeben musste), ergibt sich ein Verdacht: Besteht ein wesentliches Motiv des neuen, besonders stark im regionalen Staatsdienst verankerten Separatismus vielleicht darin, dass er die Sanierung der regionalen Misswirtschaft umgehen will?
Spanien muss Katalonien vor der separatistischen Selbstzerstörung schützen
Katalonien kann sich keine längere Phase der institutionellen Unsicherheit leisten. Die Strategie der „politischen und wirtschaftlichen Instabilität“, wie sie in dem Geheimpapier der Separatisten umrissen wird, wäre verheerend. Solange die Zugehörigkeit Kataloniens nicht eindeutig klargestellt ist, wird der Exodus der Unternehmen weitergehen. Er wird noch stärker auf die Produktionsstätten, auf die Investitionen, auf die Arbeitsplätze und auf die öffentlichen Finanzen durchschlagen. Es käme zu einem historischen Substanzverlust, zu einer völlig sinnlosen, dauerhaften Beschädigung Kataloniens. In dieser Situation fällt der spanischen Regierung eine doppelte Aufgabe zu: Sie muss die Einheit Gesamtspaniens wahren, aber sie muss auch Katalonien vor der eigenen separatistischen Regierung schützen. Sie kann nicht der Selbstzerstörung Kataloniens gleichgültig zusehen. Deshalb wäre es auch ganz falsch, einen „Dialog“ über das Separationsprojekt zu beginnen. Ein solcher Dialog hätte keine Grundlage. Er würde nur die Unsicherheit vergrößern, die die Region schon jetzt lähmt und ausbluten lässt. Es wäre auch ganz falsch, Katalonien ein Privileg gegenüber anderen Regionen einzuräumen und damit das ganze Verfassungsgebäude der „Nation der Nationalitäten“ aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Wenn die Katalanische Regierung ihre Aufgaben nicht erfüllt und ihre Verfassungs-Pflichten verletzt, muss sie nach § 155 der spanischen Verfassung unter Aufsicht gestellt werden. Diese Aufsicht kann die Zentralregierung organisieren – mit Augenmaß. Sie muss nicht alle Dinge an sich ziehen und eine kleinliche Vormundschaft errichten. Sie kann gelassen handeln, weil die Vernunft und die Zeit auf ihrer Seite sind. Aber es wird wohl in den nächsten Tagen und Wochen zu einigen harten Auseinandersetzungen und bösen Bildern kommen. Da wird es wichtig sein, dem Vorurteil zu begegnen, dass es um einen Machtkampf „Spanien gegen Katalonien“ geht. Es geht um die Existenz von Spanien und Katalonien, die nur im Modell der „Nation der Nationalitäten“ zusammengefügt werden können.
Dabei gibt es, neben der allmählichen Rückkehr zur Normalität in Katalonien, noch ein zweites wichtiges Lösungselement: Die gesamtspanische Verfassung kann durchaus einige Reformen vertragen. Eine sture Verteidigung des Status Quo wäre zu wenig. Wie man hört, haben sich die beiden spanischen Volksparteien PP und PSOE darüber verständigt, einen Ausschuss des Parlaments einzusetzen, der in den nächsten Monaten Reformvorschläge erarbeiten soll. Diesem Ausschuss würden auch Abgeordnete der katalanischen Regierungspartei angehören, die im spanischen Parlament ebenso vertreten ist wie die baskische National-Partei. Man wird sehen, welche Spielräume bestehen, um das Modell der „Nation der Nationalitäten“ weiterzuentwickeln.