In der Landwirtschaft zeigt sich besonders krass, wie wenig die technologischen Perspektiven unserer Gegenwart und die Politik des billigen Geldes gegen die Knappheiten der Realität ausrichten können.
Urbane Utopien und zerstörte Bauernexistenzen
16. Dezember 2019
Am 28. November, zwei Tage nach der Bauern-Demonstration in Berlin, veröffentlichte die Landwirtschaftsministerin Klöckner einen Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Der Beitrag trägt einen kolossalen Titel: „Die Landwirtschaft der Zukunft“. Das ist für eine Ministerin, die weder in der Agrarpraxis noch in der Agrarwissenschaft irgendwelche Leistungen vorzuweisen hat, eine ziemliche Anmaßung. Aber offenbar nehmen unsere Regierenden seherische Fähigkeiten für sich in Anspruch. Der Text ist offenbar auch nicht an die Bauern adressiert, sondern an die mediale Öffentlichkeit. Der Schlüsselsatz ist folgender:
„Meine Antworten speisen sich aus großer Hoffnung darauf, dass technische Entwicklungen Zielkonflikte lösen werden, dass Ernten gesichert werden können, aber auf umweltschonende Weise. Ich sehe großes Potential in der präziseren Düngung und Spritzung durch sensorgestützte Landtechnik, in der automatisierten Bedarfsanalyse durch Sensoren und Drohnen. Ich setze auch auf mehr Offenheit und Fortschritte in der Pflanzenzucht für klima- und schädlingsresistente Pflanzen durch Gen-Scheren wie Crispr-Cas und eine differenziertere, liberalere Handhabung der Zulassung durch den europäischen Gesetzgeber und die europäischen Gerichte.“
An anderer Stelle des Textes ist von Investitionen in die „digitale Präzisionslandschaft, in der ich die Zukunft sehe“ die Rede. Julia Klöckner stellt also alles Mögliche in eine Vitrine namens „Zukunft“. Sie setzt auf das Prinzip „Hoffnung“. Aber sie kann nichts vorweisen, was die Ertragsprobleme der Landwirtschaft lösen würde, wenn man die über lange Zeiträume entwickelten, konventionellen Anbaumethoden nicht abbricht. Sie erwartet von den Bauern hohe Investitionen und große Anstrengungen in eine ganz neue Landwirtschaft, aber sie kann nichts vorweisen, dass die Rentabilität dieser Investitionen und Anstrengungen belegt. Sie ersetzt belastbare Garantien durch den Appell an Haltungen.
Ein technologisches Utopia
Vor allem fällt auf, dass die Lösungen, die sie erwähnt, gar nicht zielgenau die Probleme treffen, vor denen die Bauern heute stehen. Wieso kann „Präzision“ die Lücke füllen, die die erzwungene Reduzierung der Düngung in die Erträge reißt? Die Landwirtschaft bekommt hier ja kein Präzisionsproblem, sondern ein stoffliches Qualitätsproblem bei den Böden. Die EU-Verbote, die diese Ministerin ja vertritt und jetzt zur Anwendung bringen will, sind gerade nicht präzise, sondern pauschal. Das gilt auch für die Pestizide, denn das Glyphosat-Verbot ist ein generelles Verbot (das bisher nur auf einem vagen Anfangsverdacht und viel Medienwirbel beruht).
Auch die neuen gentechnischen Verfahren auf Molekularbasis, von denen sie spricht, sind keine Antwort auf die akuten Probleme der Landwirtschaft. Denn sie sind gegenwärtig nicht verfügbar. Es stehen noch langjährige Erprobungen bevor, bevor Flora und Fauna auf neue Weise resistent sind. Wer die langsamen Rhythmen der Technikgeschichte (und ihre häufigen Rückschläge) kennt, kann über diesen Text, der keinerlei Angaben über den Stand von Technik und Wissenschaft in der Landwirtschaft enthält, nur den Kopf schütteln.
Die dunkle Kehrseite der Utopie
– An dieser Stelle wird die schäbige Seite der neuen Agrarpolitik sichtbar: Sie ist eine Negativpolitik, die die gewachsenen, erprobten Strukturen zerstört – ohne dass Ersatz zur Verfügung steht. Sie vollzieht schon Zwangsmaßnahmen einer Wende, bevor irgendetwas Solides, irgendein echtes Neuland in Sicht wäre. Das ist keine Realpolitik, sondern eine polit-strategisches Projekt, das auf eine schwarz-grüne Allianz abzielt. Hier wird eine „Agrarwende“ entworfen, die die traditionellen Bindungen der CDU/CSU an die bäuerliche Landwirtschaft kappt und stattdessen an den Politikstil einer leichtfüßigen, urbanen Dienstleistungs-Schickeria appelliert. Ein Milieu, das keine Höfe kennt, sondern nur kleine, hübsche Projekte, die aber mit umso größeren Zukunfts-Erzählungen aufgeblasen werden. Und dann sagt diese Ministerin in Richtung Bauern, sie sollten „jetzt nicht den kühlen Kopf zu verlieren“ (das steht wirklich wörtlich in dem Brief). Dabei verlangt sie von den Bauern nicht weniger, als dass sie sich überschulden und kaputtarbeiten. Sie verlangt, ihr über Generationen aufgebautes Erbe aufs Spiel zu setzen.
„Entstofflichung“ und leerer Liberalismus
Dem Milieu, das in der Agrarwende federführend ist, ist die Materialität der Landarbeit nicht nur fremd, sondern sie will von dieser Materialität auch nichts mehr wissen. Sie hält diesen ganzen, schwergewichtigen Komplex für veraltet. Für dies Milieu ist die „Entstofflichung“ der generelle Zukunftstrend. Am 4. Dezember beschrieb Michael Theurer, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag, im Wirtschaftsteil der FAZ seine Deutschland-Vision folgendermaßen:
„Wir sollten das Land werden, das die Grundwerte der pluralistischen liberalen Demokratie westlicher Prägung…in die digitale Welt übertragen hat. Wir werden durch die weltbeste Bildung in einer Gesellschaft glücklicher, interessierter, neugieriger und produktiver Menschen leben. Wir werden Digitalisierung mit industrieller Wertschöpfung verknüpft haben und als Entwicklungszentrum der Welt einen substantiellen Beitrag zum Fortschritt der Menschheit leisten. Das Klimaproblem werden wir durch konsequente Anwendung des technologischen Fortschritts gelöst haben. So weit meine Vision.“
Deutschland als digitalisiertes Entwicklungszentrum der Welt – die Arbeit tun die Anderen, könnte man mit Helmut Schelsky hinzufügen. Dieser Liberalismus unterschreibt gläubig die Mär von der ultimativen Klimakrise und stellt dabei einfach eine leichte Lösung in Aussicht. Die Übereinstimmungen mit der „Präzisions-Landwirtschaft“ von Frau Köckner sind frappierend. „Bürgerlichkeit“ ist per Tastendruck zu haben, und der Liberalismus kennt nur noch eine reibungslose Freiheit mit gefügigen Dingen.
Weder Bio-Zukunft noch Großfabrik-Zukunft
Umso wichtiger ist es, ein realistisches Bild von den Grenzen des technologischen Fortschritts im Bereich der Landwirtschaft wiederzugewinnen. Das technologische Bio-Sozial-Utopia, das alle Härten aus der Welt schafft und das bessere Produkte, eine unbelastete Umwelt, eine leichtere Arbeit und bezahlbare Preise miteinander verbindet, gibt es nicht. In der Bio-Abteilung ist eher eine Ernüchterung absehbar, so sehr politisch-medial auch ein ganz anderes Bild gemalt wird. Zugleich ist auch die verbreitete Annahme falsch, dass die konventionelle Landwirtschaft nur zur riesenhaften Agrarfabrik tendiert. Die Skaleneffekte sind in diesem Sektor bei weitem nicht so groß wie in der Automobil- oder Chemieindustrie. Klein- und Mittelbetriebe haben deshalb durchaus eine Zukunft, je nach den Gegebenheiten des Bodens und der Produkte. Die Maschinen und Betriebsanlagen müssen kein Riesensysteme sein, der Traktor bleibt ein durchaus typisches Merkmal der modernen Landwirtschaft. Viel stärker als die Technik drückt der bürokratische Aufwand einschließlich der rechtlichen Absicherung in Richtung Großbetrieb. Von der technischen Seite her ist eine vielgliedrige, produktive Betriebslandschaft durchaus möglich, aber bei der Produktivität wird es keine großen Sprünge geben. Die fundamentale Knappheit an der Ernährungsfront wird bleiben.
Die Utopie des ewigen billigen Geldes
Aber es gibt noch eine andere Antwort auf die Knappheiten im Zusammenhang von Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt, die ebenfalls eine leichte Lösung suggeriert. Sie wird gegenwärtig sogar mit politischem Großeinsatz extrem gesteigert. Es geht um den sogenannten „grünen New Deal“: Im Zuge der „Klima-Rettung“, die von der Politik in Deutschland und etlichen anderen Ländern zur obersten Priorität dieses Jahrhunderts erklärt wurde, sollen gigantische Finanzmittel – die Rede ist von 3 Billionen Euro in den nächsten Jahren – in verschiedene Bereiche fließen, darunter auch in die Landwirtschaft. Gewonnen werden soll diese gigantische Kapitalmasse nicht durch die produzierten Überschüsse der Realwirtschaft, sondern durch Schulden, unterlegt mit einer nochmaligen Steigerung der Politik des billigen Geldes durch die Europäische Zentralbank.
So taucht hier eine Art „monetäres Utopia“ auf, das sich von jeglichen Gesetzen der Wertschöpfung und Produktivität entkoppelt hat – so jedenfalls ist die spekulative Annahme. Man kann scheinbar grenzenlos Subventionen in die Landwirtschaft fließen lassen, die es erlaubt, produktive konventionelle Anlagen (sofern sie Umweltlasten bei Boden, Wasser oder Klima bedeuten) stillzulegen und zugleich Bio-Produkte zu moderaten Preisen für die Verbraucher zur Verfügung zu stellen.
Ein solcher „grüner New Deal“ erscheint sehr verlockend. Aber noch größer ist die Gefahr, die mit dieser monetären Utopie verbunden ist. Das scheinbar leicht verfügbare Geld kann dazu veranlassen, dass man die bestehende konventionelle Landwirtschaft (und andere Industrien) leichtfertig aufgibt und Höfe, Traktoren, Berufliche Qualifikationen und Arbeitskulturen nachhaltig zerstört. Aber Geld kann man nicht essen. So müssen sich irgendwo Betriebe, Menschen, Orte oder andere Länder finden, die Nahrungsmittel herstellen und bereit sind, sie gegen Geld abzugeben. Das ist ein hübsches Paradox: Man will das Natürliche retten, indem man die willkürlichste Fiktion, die man sich vorstellen kann, einsetzt: Geld aus der Druckmaschine.
Auch diese zweite Version einer leichten Lösung ist auf die Dauer unhaltbar. Wer würde noch irgendwelche mühselige Arbeit machen, wenn überall Geld ohne Gegenleistung in Umlauf gebracht wird. Wir sehen ja schon heute, nach etlichen Jahren der Politik des billigen Geldes, wo überall die Arbeit liegen bleibt.
Eine Schlussbilanz
Ein leichter Ausweg aus den Knappheiten des Zusammenhangs von Ernährung, Umwelt und Landwirtschaft ist nicht in Sicht. Es wird nur sehr langsame, begrenzte Fortschritte im Bereich der konventionellen Landwirtschaft geben. Es wird keine Lösung geben, die ganz ohne Umweltbelastung, ganz ohne anstrengende Landarbeit und ganz ohne gewisse Preiserhöhungen bei Nahrungsmitteln auskommt. Aber vor allem ist in dieser Lage jede zusätzliche, willkürliche Extrabelastung – also jede „Agrarwende“ – verheerend und ein wirklicher Irrsinn.
(noch unveröffentlicht)