Mein Monat – November/Dezember 2020

20. Dezember 2020

An diesem Jahresende 2020 ist Deutschland durch einen umfassenden Lockdown weitgehend stillgestellt, und dies könnte, wenn es nach dem Kanzleramt geht, bis in den März 2021 dauern. Wer hätte sich vor einem Jahr vorstellen können, das wir in so eine Lage geraten? Wäre hätte im weiteren Verlauf des Jahres gedacht, dass die Regierenden die Dinge bis zu einem Dauer-Lockdown treiben würden. Dabei ist eigentlich klar, dass Stilllegungen das Virus nicht aus der Welt schaffen können. Die Politik setzt im Grunde darauf, dass von irgendwo her ein rettendes Element auftauchen wird. Vielleicht ist es dieser metaphysische Zug der Politik, der die Menschen wie gebannt warten lässt, was nun geschieht. Dabei schwingt immer schon die Ahnung mit, dass es „eigentlich“ so nicht weitergehen kann. Ein Leitartikel von Jasper von Altenbockum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1.Dezember) bringt diese „Eigentlich-Nicht-Zustimmung“ zur Lockdown-Politik gut zum Ausdruck:
„Das alles mag angebracht sein, aber eigentlich geht es so nicht weiter. Man stelle sich nur vor, es gäbe keinen Impfstoff. Das Kanzlerwort vom `Ultimo´ gewönne eine ganz neue Bedeutung. Gemeint war die Belastungsgrenze des Bundes. Aber auch den Ländern stehen die Mittel nicht unendlich zur Verfügung. Armin Laschet hat als erster Ministerpräsident das Tabu gebrochen. Der Staat, sagte er, gehe unter dieser Last kaputt. Gemeint sind Bund und Länder gleichermaßen.“
Und das gilt natürlich ebenso und in einem noch viel größeren Maßstab für die Gesellschaft. „Eigentlich“ handelt es sich bei der Corona-Politik um eine abenteuerliche Wette – mit dem ganzen Land als Wetteinsatz.

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Ändert die Aussicht auf einen Impfstoff daran etwas? Kann eine Massenimpfung die „große Lösung“ sein, die das Virus definitiv besiegt und aus der Welt schafft? Lässt sich durch diese Aussicht auch der Lockdown aushalten? Darauf scheinen die Regierenden zu spekulieren, aber es ist nur eine sehr theoretische Möglichkeit. Praktisch ist es fraglich, ob im Corona-Fall die Impfung wirklich so einen glatten Sieg bringen wird. Und ob der Sieg sich so schnell einstellt, dass die Lockdown-Schäden nicht schon irreversibel sind.
Erst recht fragwürdig wird die Impflösung, wenn man bedenkt, dass immer wieder neue Viren auftauchen werden, eventuell sogar zukünftig in schnellerer Folge. Wird dann die Impflösung immer erfolgreich sein? Auf jeden Fall wird immer wieder neu die Situation auftreten, dass die Menschen über Monate oder Jahre mit einem komplizierten Infektionsgeschehen konfrontiert sind. Dann kann man nicht jedes Mal die gesamte Gesellschaft stilllegen. Drei solche heillosen Krisen wie jetzt hintereinander? Unvorstellbar! Die Wertschöpfung der Wirtschaft, die Kultureinrichtungen, das öffentliche Leben, eine Welt verantwortungsfähiger Staaten – alles wäre ruiniert. Im Grunde denken auch viele Anhänger der jetzigen Corona-Politik, dass sie sich nicht wiederholen darf.

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Damit aber rückt eine andere Pandemie-Strategie in den Fokus: Sie geht von einer Unterscheidung aus – der Unterscheidung zwischen den am stärksten gefährdeten Gruppen und Orten einerseits und den minderschweren Gefahren für die Allgemeinheit. Und das bedeutet auch eine Differenzierung bei den Abwehrmitteln gegen das Virus – zwischen harten Schutzmaßnahmen dort, wo schwere und tödliche Krankheitsverläufe drohen, und einer Tolerierung kleinerer Gefahren auf der anderen Seite. Dadurch würden die Beschädigungen und Zerstörungen im wirtschaftlichen, kulturellen, gesellschaftlichen Leben geringer gehalten, ohne dass dies mit höheren Todeszahlen erkauft werden müsste. Wenn man bedenkt, wie stark sich gegenwärtig, mitten in der pauschalen Lockdown-Politik, die Todeszahlen erhöht haben, weil den Alten- und Pflegeheimen nicht die notwendige Aufmerksamkeit zu Teil wurde, wird der Vorteil einer gezielteren Strategie deutlich. Das sieht inzwischen ein beträchtlicher Teil der Fachleute und Berufstätigen im Gesundheits- und Pflegebereich so.  

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Dann lese ich (in der FAZ vom 17.Dezember), dass auch die Bundeskanzlerin zwischen zwei Alternativen unterscheidet. Aber wie stellt sie den Unterschied dar? Im Leitartikel unter der Überschrift „Merkels Schule“ ist zu lesen:
„Mit einer erstaunlichen Gegenüberstellung hat die Bundeskanzlerin in dieser Woche ihre Politik verteidigt. Es gebe zwei `Schulen´ in der Bekämpfung der Corona-Pandemie, sagte sie gegenüber Studierenden: Die eine wolle besonders gefährdete Gruppen `wegsperren´, damit der Rest der Gesellschaft unbeschwert seinen Einkaufsbummel machen könne; die andere Schule wolle alles tun, um die Infektionszahlen zu senken – besonders die in `vulnerablen´ Gruppen. Keine Frage, zu welcher Schule sich Angela Merkel rechnet. Keine Frage aber auch, dass sie die konkurrierende Schule ausgesprochen verzerrt darstellte. Den Befürwortern einer besonderen Beachtung von Alten- und Pflegeheimen und von ambulanten Pflegediensten geht es nicht darum, Risikogruppen `wegzusperren´, sondern darum, sie besser vor Infektionen zu schützen, als das bislang der Fall ist.“
Und um was geht es der Kanzlerin? Ganz offensichtlich darum, von ihrer politischen Verantwortung für den nachlässigen Schutz von Alten- und Pflegeheimen abzulenken, und die Todesfälle jenen anzuhängen, die die großen Volksinfizierer sind, weil sie weiterhin einkaufen, zur Arbeit gehen und S-Bahn fahren, und die es mit ihrer beruflichen Existenz bezahlen müssen, wenn die Stilllegung immer weiter geht. Und Merkel geht tatsächlich so weit, dass sie die Corona-Toten und die Leute beim „Einkaufsbummel“ gegenüberstellt. Was für eine Demagogie, die so tut, als ständen sich in diesem Land jetzt Leid und Luxus gegenüber. Was für ein gehässiger Versuch, mitten in der Pandemie das Leid von Menschen in Hass auf andere Menschen umzumünzen. Dieser Versuch wird Angela Merkel noch hässlich nachklingen, weit über das Ende ihrer Kanzlerschaft hinaus.

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Aber nicht das darf jetzt das Wichtigste sein, sondern die Frage, welche Strategie angesichts von Corona (und späteren neuen Pandemien) wirksam und tragbar ist. Die beiden Texte, die diese Ausgabe von „Mein Monat“ enthält, versuchen die Richtung zu präzisieren, in der eine Alternative zur gegenwärtigen Corona-Politik zu suchen ist – ohne einfach die Pandemie-Gefahr zu verharmlosen.