Warum Europa nicht die ideale Kaffeemaschine findet, warum man bei der EU-Kritik zwischen Populisten und Institutionalisten unterscheiden muss und warum die Bundeszentrale für Politische Bildung nicht versuchen sollte, die Wähler zu erziehen.
Aus dem Notizbuch
In diesen Wochen vor den „Europawahlen“ (ein großes Wort) wird der Eindruck erweckt, es gehe schon allein deshalb um besonders bedeutende Fragen, weil die Zahl der Stimmberechtigten groß und die geographische Gesamtfläche aller beteiligten Länder beträchtlich ist. Doch besagt diese Summen-Rechnung nichts darüber, welche Art von Entscheidungen das Gebilde mit dem Namen eines Erdteils treffen kann. Und müssen nicht letztlich doch die einzelnen Staaten und der dortige Volkssouverän die Haftung übernehmen? Aber werden bei diesen Wahlen den Stimmberechtigten wirklich größere Richtungsfragen zur Entscheidung vorgelegt? Es sind die ersten Wahlen, die nach den Rettungsaktionen in der europäischen Schuldenkrise stattfinden. Sie waren umstritten, weil in ihnen internationale finanzielle Verpflichtungen übernommen wurden, die den finanziellen Rahmen der Nationalstaaten, auch so großer wie Deutschland, im Ernstfall sprengen würden. Damit ist eigentlich die Frage der Staatlichkeit der EU, die bisher in einem „Dazwischen“ zwischen Staatenbund und Bundesstaat gehalten wurden, mit neuer Brisanz aufgeworfen. Doch dieses Thema wird umgangen. Stattdessen wird vieles versprochen, ohne dass überhaupt klar ist, inwiefern die Stimmabgabe zur Realisierung der Versprechungen beitragen kann. Aber auch mancher heftige Angriff auf die Brüsseler „Bürokratie“ erweckt den Eindruck, dass Änderungen eigentlich leicht sind und auf der Hand liegen. Die Möglichkeit, dass die Europäische Union Teil einer Politikverflechtung ist, an der die Mitgliedstaaten aktiv mitwirken und dabei ihre Staatlichkeit zur Disposition stellen, gerät so aus dem Blick. Die folgenden Notizen sind nicht auf der Suche schneller Effekte und Affekte pro/contra Europäische Union, sondern betrachten sie aus einer institutionellen Perspektive.
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Patrick Bahners schildert (in der FAZ v. 7.5.2014) einen Vortrag von Jürgen Habermas an der Universität Princeton, in der dieser seine Vorstellungen für eine Reform der Institutionen der Europäischen Union vorstellt (ein Zwei-Kammersystem nach dem Vorbild der USA), und berichtet von der anschließen Diskussion. Ein Satz von Bahners lässt aufhorchen: „Die Herstellung größerer und immer größerer Einheiten ist in seiner (Habermas) Schilderung der naturwüchsige Weltprozess.“ In dieser Einbahnstraße sieht Habermas offenbar auch die Staatenwelt. Sein Vorschlag einer zweiten Kammer mit Vertretern der bestehenden Territorialstaaten ist ein sicherndes, defensives Element. Doch was hier nur im Nebensatz anklingt, ist die eigentliche Streitfrage: Warum eigentlich soll die Moderne auf die Herstellung immer größerer staatlicher Einheiten hinauslaufen? Wegen der „economies of scale“? Diese würden nur dann den Ausschlag geben, wenn die Voraussetzungen von Staat und Wirtschaft überall gleich oder frei verschiebbar wären. Die Erde müsste eine Scheibe sein oder eine glatte Kugel oder ein Schrumpfkügelchen. Tatsächlich gibt es ja die These von der „flat world“ und die These von der dreipoligen „Triade“-Weltregierung. Aber solche Thesen fußen nicht auf einer Beobachtung der realwirtschaftlichen und realstaatlichen Entwicklungen, sondern auf Teilphänomenen, die extrapoliert werden – insbesondere auf der Beobachtung von Kommunikationsbewegungen. Wo alles „digital“ aus einem Punkt heraus verfügbar ist, können Subsidiarität und Staatenvielfalt allenfalls noch als Restbestände empfunden werden; man sieht der Weltregierung – mit Vorfreude und Furcht zugleich – entgegen. Einstweilen jedoch zeigt sich gerade in Europa eine andere Tendenz: unterschiedliche Voraussetzungen der verschiedenen europäischen Länder drücken sich in unterschiedlichen Bilanzen und Niveaus aus. Sie sind durch noch so große Transfers von Geld oder Migranten nicht auszugleichen. Dass die Hauptsache nur in einem Nebensatz vorkommt, sollte man gar nicht besonders Jürgen Habermas ankreiden. Es ist nur ein Symptom für eine schiefe Diskussionslage, bei der der Hauptstreitpunkt schon abgehakt ist, bevor er überhaupt einmal ernsthaft erörtert wurde.
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„Die EU reguliert jetzt Kaffeemaschinen“ ist ein Artikel der FAZ (15.4.) überschrieben. Das riecht nach einem typischen Brüsseler Bürokratie-Auswuchs, aber die FAZ legt mit wohltuender Präzision und Vollständigkeit den Fall dar: Die Kaffeemaschinen gehören zu einer langen Liste von Geräten, für die EU im Rahmen der sog. „Ökodesign-Richtlinie“ europaweite Vorgaben erarbeitet hat oder noch erarbeitet. Die Kaffeemaschinen-Verordnung wurde am 23.8.2013 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Sie legt unter anderem fest, dass (ab 2015) sich „die Warmhaltefunktion bei allen Filterkaffeemaschinen – zumindest ab Werk voreingestellt – nach fünf Minuten ausschalten muss, um Strom zu sparen“ berichtet die FAZ und fährt fort: „Das gilt allerdings nur für Maschinen mit einem isolierten Kaffeebehälter. Für Filtermaschinen, bei denen der Kaffee in einem nicht isolierten Behälter aufbewahrt wird, gilt eine Wartezeit von 40 Minuten nach Abschluss des letzten Brühzyklus. Für Kapselmaschinen und Vollautomaten wiederum gilt unter anderem eine Wartezeit von 30 Minuten nach Abschluss des letzten Brühzyklus, von 30 Minuten nach Aktivierung des Heizelements und von 60 Minuten nach Aktivierung der Tassenvorwärmfunktion.“ Diese kleine Kostprobe verrät, wohin man gelangt, wenn man technische Alltagsgeräte per Erlass optimieren will und jegliches Vertrauen verloren hat, dass der Markt die unterschiedlichen Qualitäten und Kosten über die Verkauf/Kauf-Entscheidung zwischen Herstellern und Verbrauchern sortiert und weiterentwickelt. Und es geht nicht nur um Kaffeemaschinen. Das Arbeitsprogramm der Ökodesign-Richtlinie umfasst 45 Gerätegruppen auf der unter anderem auch Staubsaugern, Duschköpfe, Pumpen, Werkzeugmaschinen, Herde (Haushalt bzw. Gewerbe) firmieren. Obendrein erfährt man, dass sogar beabsichtigt ist, die Regulierung noch weiter ins Detail voranzutreiben (nach japanischem Vorbild). An dieser Stelle nimmt der Artikel der FAZ nun eine merkwürdige Wendung: Er weist daraufhin, dass es sich nicht um eine „Brüsseler Eigenmächtigkeit“ handelt, sondern das Europaparlament und die EU-Staaten, allen voran die Bundesregierung, die Ökodesign-Richtlinie befürwortet und mit vorangetrieben haben. Die noch weitergehende „japanische“ Detailregulierung steht im Koalitionsvertrag der Großen Koalition in Deutschland. Auch unterstreichen die Autoren, dass die Staaten und die Hersteller in die Erarbeitung der Vorgaben „eingebunden“ waren und im Fall der Kaffeemaschinen „die Branche“ einverstanden war. Wird die Regelung deshalb legitimer, weil es sich nicht um einen autoritären Alleingang „von oben“ handelt? Mitnichten. Es gehört ja gerade zum System der europäischen Politikverflechtung, dass es keine eindeutigen, alleinigen Verantwortlichkeiten kennt, sondern alles durch viele Hände und Voten gehen lässt, bis zum Schluss alle bei allem eingebunden sind. An der Absurdität des Resultats, einer erdteilweiten Detailvorschrift, ändert das nichts. Wichtiger wäre also, sich mit der Frage zu befassen, was hier mit der Sachbegründung nicht stimmt. Das Problem liegt offenbar in der Anmaßung, aus einem vagen Globalziel (Ökologie, Klimaschutz, Stromverbrauch) eine einzige beste Detaillösung herausdestillieren zu können. Dabei macht die angeblich optimale Lösung die Geräte nicht etwa einfacher und billiger, sondern erhöht die Mindeststandards und den technischen Aufwand – was die Zustimmung mancher Hersteller-Kartelle erklärt, die bestimmte Anbieter vom Markt schieben können (nach dem Motto „rising neighbours cost“). Die Ökodesign-Blindheit ist von den Elektromobilen und den besonders wärmegedämmten Häusern bekannt: Eine Technik mit hohem fixen Kapital und geringerem Verbrauch hat ihre Vorteile. Eine Technik mit weniger fixem Kapital hat, auch wenn der laufende Verbrauch höher ist, andere Vorteile. Ein Markt, der die Akzentuierung unterschiedlicher Vorzüge (Materialaufwand, einfache Konstruktion und Bedienung, Sicherheit, Strom-Verbrauch,…) nebeneinander erlaubt und differenzierend wirkt, ist durch keine noch so allwissende Regelung, ersetzbar. Wenn sich das Regime der Allwissenden aber auf gesamteuropäischer Ebene etabliert und dabei unterschiedliche volkswirtschaftliche Niveaus (Deutschland verglichen mit Portugal oder Rumänien) ihrer Einheitsregel unterwirft, ist das EU-System tatsächlich ein Übel. Das Differential der einzelnen Volkswirtschaften für Detailregulierungen ist ausgeschaltet.
Wenn also die Europawahlkämpfer ihre Losung „Mehr Europa im Großen, weniger im Kleinen“ ernst meinten, so könnten sie es beweisen, indem sie die Rücknahme der Ökodesign-Richtlinie auf die Tagesordnung setzen.
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Eine Pressemittelung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 15.2.2013 meldet erfreut: „EU fördert Neubau der B 96n auf Rügen mit 49 Millionen Euro“. Es geht um einen 13 km langen Bundesstraßen-Abschnitt von der Anschlussstelle Altefär bis Samtens. Der Leser wird wahrscheinlich nicht stutzen, denn er hat sich daran gewöhnt, auf allen möglichen Baustellen das Schild mit der EU-Flagge und dem Hinweis auf EU-Förderung zu lesen. Und doch ist die Angelegenheit fragwürdig. Wie kommt es, dass aus einem EU-Fonds (dem Regionalfonds EFRE) Geld für eine Straße ausgegeben wird, die als Bundesstraße qualifiziert ist und somit der Infrastrukturplanung Deutschlands unterliegt. Die B 96n liegt zwar in einer Grenzregion, aber hat direkt keine grenzüberschreitende Funktion. Die Pressemittelung spricht von „Hinterlandanbindung“. Nicht, dass die Straße überflüssig wäre. Sie ist sinnvoll, aber sie ist es im Interesse des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern und des bundesdeutschen Interesses an einer Entwicklung seiner Küstenregionen. Die EU-Ebene muss über die Sinnhaftigkeit dieser Baumaßnahme nicht befinden. Sie hat auch nicht die Sachkenntnis, sondern muss sich auf die Kenntnisse der innerdeutschen Verkehrsplanung beziehen. Honoriert sie vielleicht eine besondere Dringlichkeit im europäischen Maßstab? Aber sie ist gar nicht in der Lage, einen Vergleich aller Straßenbauvorhaben in Europa auf ähnlicher Planungsebene durchzuführen. Die Zahl der möglichen Hinterlandanbindungen entlang der langen europäischen Küsten mag an die 1000 gehen. So fällt die Bewilligung zwangsläufig willkürlich aus. Der Proporz zwischen den EU-Mitgliedsstaaten spielt eine wichtige Rolle; ein „Umverteilungsfaktor“, der die soziale Komponente bedient; ein „Sichtbarkeitsfaktor“, der die Nähe zu tatsächlichen europäischen Achsen honoriert, oder die Prominenz eines Küstengebiets; auch wird eine gute Lobbyarbeit oder schlicht der Zufall eine Rolle spielen. Gewiss könnte man einwenden, dass es doch gut ist, dass „Geld aus Brüssel“ kommt und man einfach nehmen soll, was angeboten wird. Doch ein solcher Pragmatismus vergisst, woher das Geld kommt. Denn es wird vorher von den Steuerzahlern der einzelnen europäischen Länder eingesammelt. Der Verweis auf die einzelnen Förderungen dient als Legitimation für eine Steuergeld-Umleitung auf höhere Ebene. Es ist ein Finanzierungsumweg, denn es gibt keinen sachlichen Grund, eine solche Bundesstraße „über Brüssel“ begutachten und finanzieren. Es schafft nur komplexe Mischstrukturen, eine komplizierte Doppel- und Triple-Verwaltung. Die Rationalität des modernen Staates, der Ebenen der Zuständigkeit (und Größenklassen von Straßen) trennt, wird dadurch konterkariert.
Das Beispiel zeigt, dass das Problem der EU-„Bürokratie“ nicht allein bei den offensichtlichen Fehlinvestitionen und skandalösen Bauruinen liegt, sondern in der Grundanlage der Zuständigkeiten der EU und seiner Fonds. Das Beispiel der B 96n ist ein Beispiel, das den gesamten EFRE-Fonds (Fonds für regionale Entwicklung) fragwürdig macht und auch die Arbeitsweise des Sozialfonds ESF betrifft. Solange diese Budget-Teile keine klare Zuständigkeitsabgrenzung haben, fehlen ihnen die Mindestanforderungen staatlicher Legitimität. Sie bewegen sich in einer Projekt-Willkür, die gewisse Parallelen zu der vormodernen fürstlichen Bewilligungspraxis hat. Aber im EU-System entsteht die Willkür nicht aus einer Alleinherrschaft, sondern aus einer Vielherrschaft und einer unübersichtlichen Politikverflechtung.
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Ein Bericht im Berliner „Tagesspiegel“ (von Anfang 2010) gibt Einblick in eine Nahtstelle der Politikverflechtung. Er handelt von der Arbeit der Berliner EU-Vertretung in Brüssel. Solche ständigen Vertretungen oder mobile Delegationen verschiedenster privater oder öffentlicher Provenienz, die um Zuwendungen aus dem großen EU-Topf am Versailler, pardon, Brüsseler „Hof“ werben, gibt es hier zu Tausenden. Für Berlin beträgt das Gesamtvolumen aller Förderungen ca. eine Milliarde Euro. Es muss in einem ständigen Werben immer wieder erneuert werden. Das ganze Arrangement verrät, dass das Finanzgebaren auf europäischer Ebene sehr wenig mit einer normaler staatlichen Haushaltsführung (und auch sehr wenig mit der Sachgebundenheit einer Bürokratie im Sinne Max Webers) zu tun hat. Was die Autoren berichten, klingt nach einer durch und durch personalisierten Politik: „Damit das Geld fließt, muss Berlin Kommissionsmitglieder und andere EU-Beamte von seinen Projekten überzeugen. Zehn Mitarbeiter unter Leitung von Volker Löwe organisieren die Arbeit in Brüssel, veranstalten Empfänge, Fachtreffen und Kulturabende.“ Als Beispiel führen sie ein Expertengespräch zum Thema Optik und Photonik an: … sind die Leiter der wichtigen Berliner Forschungsinstitute angereist, Experten aus Unternehmensnetzwerken, Firmenchefs, Mitarbeiter des Technologieparks Adlershof und der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Berlin Partner. Sie sollen die Entwicklung der Photonik-Branche im Rahmen der Berlin-Brandenburger Innovationsstrategie vorstellen.“ Der Leiter der Berlin-Vertretung wird mit dem Satz zitiert: „Wir fliegen die Leute ein zu diesen Veranstaltungen, weil sie hier sein müssen, um die Brüsseler Denke zu verstehen.“ Die auf solchen Treffen ausgetauschten Botschaften scheinen eher klischeehaft zu sein. Der Chef eines Unternehmensnetzwerks wird mit dem Satz „Photonik ist ein Innovationstreiber“ zitiert; der Vertreter einer der beteiligten EU-Generaldirektionen sagt „Die mittleren und kleinen Firmen sind der Innovationsmotor“. Worauf der Netzwerker wiederum antwortet, die kleineren Unternehmen brauchten besonders viel Unterstützung, „weil sie nicht so gut vernetzt sind wie die Großen“. Solche Sätze stimmen eher bedenklich. Man bekommt den Verdacht, dass es hier weniger um Photonik als vielmehr um Organisationsideologie geht. Die große EU als Partner der Kleinen, das klingt publikumswirksam. Es bleibt eine Privilegierung bestimmter Unternehmensgrößen, die in Konkurrenz zu den offenbar schon funktionierenden größeren Akteuren aufgebaut werden soll. Was ist in der Sache gewonnen? Oder handelt es sich um ein Sozialprogramm? Überhaupt erscheint es fraglich, ob durch solche Präsentationen mit kurzfristig eingeflogenem Personal eine belastbare Information über die Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit der „Projekte“, die sich um Förderung bewerben, geliefert werden kann. Man kennt die Schwierigkeiten einer sachgerechten Wirtschaftsförderung auf kommunaler Ebene. Wie viel schwieriger ist da eine Förderung, die die unternehmerische Umsetzung eines recht großen Themas (die Photonik) an einem konkreten Standort irgendwo in Europa leisten will. Jedenfalls ist nicht klar, warum Leute aus einer Brüsseler Direktion diese Dinge fachlich kompetenter beurteilen könnten als Leute aus einem nationalstaatlichen Ministerium. Es geht also nicht darum, den Vertretern der EU-Verwaltungsstäbe besondere Unfähigkeit oder finstere Absichten zu unterstellen. Sie sind schlicht überfordert. Nicht, weil sie Bürokraten sind, sondern weil sie die Mindestanforderungen einer Bürokratie – auf der Höhe der Sachentscheidungen zu sein – nicht erfüllen können.
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Die europäische Unternehmensgeschichte des Flugzeugbauers EADS-Airbus, der es auf Augenhöhe mit dem US-Konzern Boeing geschafft hat, gilt als Vorbild für manche EU-Aufbruchsträume in anderen Branchen. Nur hat diese Geschichte fast gar nichts mit EU-Förderung zu tun und sehr viel mit der Kooperation verschiedener, jeweils schon im nationalen Rahmen groß gewordener Flugzeugunternehmen. Demgegenüber haben die Forschungs- und Produktionsstrukturen, die vor allem von EU-Programmen ins Leben gerufen wurden, etwas Künstliches. Oft erlöschen solche Initiativen, wenn das Fördergeld weniger wird oder ganz ausbleibt. Das politische Sprechen von „Innovationen“ neigt dazu, so zu tun, als könne man sich Innovationen als solche zum Ziel setzen. Meistens kommen dann nur irgendwelche Prinzipien (gern auch „Ansätze“ genannt) heraus, die sich in der Realität dann als umständlich, monströs oder einfach als Nullnummer erweisen. Echte Neuentwicklungen schließen sich meistens graduell an bisherige Entwicklungsschritte an, weshalb Industrienähe ein gutes Förderprinzip ist.
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Ein Artikel in der Tageszeitung „Die Welt“ (vom 3.2.2013) führt eine Reihe von fehlgegangenen Subventionen an. Es sind skurrile Projekte: Höhentraining in Mecklenburg-Vorpommern, das bekanntlich keine Berge hat; Ein Hafen ohne Schiffe auf Sizilien, den keine Schiffe anlaufen; eine 240m lange Abfahrts-Skipiste im flachen Dänemark; einen Fernreit- und Kutschweg zwischen Berlin und Usedom an der Ostseeküste usw. usw. Die Autoren haben mit zwei Mitgliedern des Haushaltskontrollausschusses im Europaparlament gesprochen und es ist davon auszugehen, dass der Kontrollausschuss auf diese Fälle selber gestoßen ist. Doch das Gespräch muss dann eine merkwürdige Wendung genommen haben. Jedenfalls nimmt der Artikel folgende Wendung: Er sortiert die Fälle unter „Steuergeldverschwendung“, erwähnt die Möglichkeit, der EU-Kommission die Entlastung zu verweigern („ein scharfe Waffe, die mit Bedacht gewählt werden muss“, sagt der SPD-Vertreter) und landet bei der Tatsache, dass etwa 80% der europäischen Fördergelder auf gemeinsamen Entscheidungen von EU und Mitgliederstaaten (bzw. Regionen) beruhen. Damit ist nicht nur die Frage vermieden, ob eine Europäische Kommission überhaupt regionale Projekte seriös kontrollieren kann, sondern es sind nun auch irgendwie alle schuld – denn sie haben ja zugestimmt. Es folgt die Kritik, dass Deutschland unterm Strich wohl mehr zahlt, als es herausbekommt, womit wir bei einer Verteilungsungleichheit angelangt sind. Am Ende hinterlässt der Artikel nach anfänglicher Empörung jenen Missmut, der sich immer dann einstellt, wenn man das hilflose Gefühl hat, irgendwie ins Leere zu greifen. Das liegt daran, dass eine Frage nicht gestellt wird (und für Mitglieder des Haushaltskontrollausschusses des Europaparlaments einem Offenbarungseid gleich käme): die Frage, warum die EU überhaupt Förderfonds für Sachverhalte aufgebaut hat, die für eine seriöse Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben (nachvollziehbare Auswahl bei der Gewährung/Nichtgewährung von Mitteln, Fähigkeit zur Überprüfung der Umsetzung durch eigene Inspektion) auf EU-Ebene gar nicht möglich ist.
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Die beiden großen Parteifamilien, die in der Vergangenheit so etwas wie eine Große Koalition auf europäischer Ebene gebildet haben und deren wichtigstes gemeinsames Projekt darin bestand, die Befugnisse und Eingriffsrechte des Europäischen Parlaments zu erweitern, erklären nun, dass sie für „mehr Demokratie“, „mehr Subsidiarität“ oder „mehr Bürgernähe“ eintreten. Man fragt sich erstaunt, ob hier eine ganz neue Politiker-Generation antritt, die eine Abwendung von den bisherigen Beschlüssen und Praktiken vorschlägt. Aber die beiden Spitzenkandidaten (Martin Schulz und Claude Juncker) sind gerade die prominentesten Vertreter des über Jahrzehnte gewachsenen EU-Milieus. Deshalb bleibt ihr Versprechen eines europäischen Neustarts ohne irgendeinen strukturellen Reformvorschlag. Welche Zuständigkeit wollen sie ändern bzw. eindeutiger regeln? Welchen Kofinanzierungs-Fonds wollen sie auflösen? Sie versprechen nur, das „Europa“ sich künftig irgendwie besser verhält. Das bedeutet, dass sie dem Wähler ein reines Vertrauensvotum abnötigen wollen. Das passt exakt zu dem Politik-Schema, das in dem weiträumigen, von niemand undurchschaubaren EU-Haus regiert. Wo so sehr an „Vertrauen“ appelliert wird, ist man gleichzeitig besonders empfindlich gegen Kritik und ist es schnell dabei, sie als unmoralischen Anschlag zu werten. In keinem Wahlkampf ist so viel moralische Tabuisierung im Spiel wie hier. Würde es eine konsolidierte staatspolitische Bilanz geben, könnten die Europakandidaten gelassen die Dinge richtig stellen. Stattdessen hört man kuriose Sätze – wie jene Problemdiagnose, die Martin Schulz in einem Interview in der FAZ vom 23.4. stellte: „Das liegt daran, dass wir in der Mentalität keine rechte Vertrautheit mit der EU entwickelt haben. Das EU-Parlament wirkt sehr fern; was dort beschlossen wird, empfinden viele Menschen als nicht maßgeblich. Dabei stimmt das nicht.“ Da erklärt also der Präsident des Europaparlaments, das „wir“ (wer ist das?) keine Vertrautheit mit der EU entwickelt haben (hätten wir das müssen?). Dann erklärt er, das es das EU-Parlament ist, das „sehr fern“ wirkt, weil „viele Menschen“ (nicht mehr „wir“?) das dort Beschlossene als „nicht maßgeblich“ empfinden. Tatsächlich empfinden viele es oft als illegitime Einmischung, also als zu sehr maßgeblich). Aber der Spitzenkandidat will auf einen Wählerirrtum hinaus: „Dabei stimmt das nicht“. Fazit der Europa-Diagnose: Das Problem liegt beim Wähler, der in europäischen Dingen eine ordentliche Nachhilfestunde braucht. Soviel zum Thema „Mehr Demokratie“.
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Das Gefühl der illegitimen Einmischung, das viele Bürger bei der EU haben, trügt nicht. Aber es ist nicht ganz präzise. Denn die Fehlentwicklungen kommen nicht allein „von oben“, von einer einsam in Brüssel thronende Macht, sondern aus einer komplizierten Verflechtung von Macht. Die Einmischung ist eine Vermischung. Allmächtig ist dabei der Glauben an die grenzenlosen Möglichkeiten von kommunikativem Handeln. Die Politikverflechtung, bei der von der gesamteuropäischen Ebene bis zur lokalen Ebene „gemeinsam durchregiert“ werden soll, unterstellt ja, dass es für die Kooperation zwischen verschiedenen Ebenen der Politik keine Grenzen gibt. Weder Informations- noch Motivationsgrenzen. Die klassische Staatswissenschaft (von der das Subsidiaritätsprinzip rührt) sah das Problem des begrenzten Wissens und der begrenzten Moral der Akteure. Sie kam zu dem Schluss, dass man in den übergeordneten, großen Einheiten nur wenige Parameter wissen und verbessern kann, und dort, wo man der krummen Vielfalt des Lebens und der Einzelfälle näher ist, man nur kleinere Einheiten bilden kann. Beides ist wichtig, aber man kann die Vorzüge beider Seiten nicht einfach kommunikativ zu einer gemeinsamen Verantwortung verbinden. Man muss die Verantwortung für Entscheidungen getrennt halten. Das gilt auch für die Finanzen. Einnahmen und Ausgaben können nicht beliebig zwischen den Ebenen kombiniert werden. Fehlinvestitionen müssen auf den Verursacher zurückfallen. So kam die klassische Staatswissenschaft nicht aus blindem Autoritätsglauben sondern aus Vernunftgründen zu ihrer Skepsis gegen jede Form der Mischverwaltung und Mischfinanzierung.
Die neuere Politik setzt nun – oft ohne ausdrückliche Auseinandersetzung mit den klassischen staatswissenschaftlichen Argumenten – auf das im 20. Jahrhundert erstarkte Paradigma der Kommunikation und auf ihre neuen technischen Mittel. Das bedeutet die Grundannahme (sie wird selten explizit reflektiert), dass das kommunikative Handeln (das Kernelement der vielbemühten „Kooperation“) trotz aller Unvollkommenheiten tendenziell in der Lage ist, vollständige Information herzustellen und eine gegenseitige partnerschaftliche Bindung herzustellen. Auch das Brüsseler Allgemeinwissen und das regionale Sonderwissen sollen sich so zum einem gemeinsamen Politikprozess vereinigen können. Doch der Glaube an die gute Macht der Kommunikation übersieht die Gefahren: Die Bedeutung einer Information ist für den Betroffenen eine andere als für denjenigen, dem sie nur mitgeteilt wird. Die Allgemeinverbindlichkeit von politischen Entscheidungen wird zur Schein-Allgemeinheit. Eine regionale Maßnahme schmückt sich mit europäischer Bedeutung (und Geldmitteln), eine europäische Maßnahme schmückt sich mit regionaler Anschaulichkeit und Bürgernähe.
Im Ergebnis wird nicht nur die Zahl der Beziehungen und Sitzungen immens gesteigert, sondern es entsteht auch eine Parallelstruktur: „Brüssel“ wendet sich nicht nur an die Ebene der Mitgliedsstaaten der EU, sondern direkt an die Regionen. Es betreibt eine regionale Förderpolitik mit eigenen Schwerpunkten, die die Förder-Schwerpunkte der Mitgliedsstaaten teilweise konterkariert. Und mehr noch: „Brüssel“ wendet sich direkt an den einzelnen EU-Bürger und macht Politik „für jeden einzelnen Verbraucher“. Natürlich befasst sie sich nicht mit dem ganzen Leben der Menschen, sondern pickt sich bestimmte Themen heraus – Themen, die schnelle und sichtbare Resultate versprechen. Sie sucht „Projekte“, mit denen sie „Zeichen setzen“ und „good practice“ demonstrieren kann. So ist man darauf gekommen, europaweit die Bahnunternehmen zu verpflichten, ihre Kunden selbst dann für Verspätungen und Zugausfälle zu entschädigen, wenn Naturkatastrophen die Ursache sind). Oder man die Bewertung von Gewässergüten an Urlaubsstränden (Blaue Flagge) publikumswirksam zur EU-Sache erklärt. So kann die EU suggerieren, „Europa“ sei näher an den Bedürfnissen der Menschen als die schnöden Nationalstaaten. Diese Staaten sind allerdings für das gesamte Spektrum öffentlicher Dienstleitungen verantwortlich und müssen manche Sparmaßnahme auf Sachgebieten treffen, die die „bürgernahe“ EU von vornherein nicht betritt.
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Nachdenklich stimmt es, dass seriöse Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung sich gegenwärtig offenbar entschieden haben, die Kritik an den Strukturen des europäischen Politiksystems in die Ecke von Unvernunft und Ressentiment zu stellen. Im Hauptkommentar auf der Titelseite der FAZ vom 22.4. schreibt Klaus-Dieter Frankenberger unter dem Titel „Die Europa-Hasser“ folgende Passage: „Diesen und anderen mal mehr populistischen, mal mehr extremen Euro-Skeptikern sagen die Meinungsforscher große Gewinne bei der kommenden Europawahl voraus. Es wird sogar für möglich gehalten, dass diese Gruppen und Parteien, zusammengenommen, fast so groß werden könnten wie jeweils Sozialdemokraten und Christliche Demokraten. Käme es so, wäre das neue Europäische Parlament ein bizarrer parlamentarischer Ort, an dem eine starke Fraktion die Abschaffung der EU, Euro selbstverständlich inklusive, betreiben würde.“ Der Autor konzediert, dass es einen Vertrauensverlust der europäischen Politik gebe, der „teilweise ein Produkt der Politik der vergangenen Jahre“ sei – also eventuell sachlich begründet ist. Allerdings ist ein paar Zeilen weiter von der „Staatsschuldenkrise, die jetzt abklingt“ die Rede – was die EU-Kritik wiederum als sachlich unbegründet erscheinen lässt. Was Frankenberger da schreibt, ist insofern bemerkenswert und erstaunlich, als es alles das dementiert, was die FAZ in ihrer täglichen publizistischen Arbeit an Sachkritik liefert. Das betrifft die Entscheidungen der Großen Koalition in Deutschland (Rentenpaket, Mindestlohn, Energiewende, Migrationspolitik, Doppeljustiz, doppelte Staatsbürgerschaft, Familienpolitik, Schulpolitik). Aber auch das „Abklingen der Schuldenkrise“ in Europa wird mag man nach Lektüre des FAZ-Wirtschaftsteils keinen Glauben schenken. Doch nun bei den Wahlen, wo es darum geht, eine gewisse Gesamtbilanz zu ziehen und wo der Souverän auch im Parteienspektrum Konsequenzen ziehen möchte, rudern die Leitkommentare zurück. Was außerhalb der beiden Parteiblöcke Union und Sozialdemokratie (und deren Ergänzungsparteien FDP und Grüne) geschieht, wird aus der politischen Öffentlichkeit aussortiert.
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Der Begriff der EU-Kritik ist eigentlich nicht präzise, denn er erweckt den Eindruck, es gehe um nur um eine Politikebene – „Brüssel“ – und nicht um die Verflechtung unterschiedlicher Politikebenen, bei der überall die institutionelle Eindeutigkeit, Allgemeinverbindlichkeit und Verantwortlichkeit beschädigt wird. Es müsste also präziser heißen: Kritik am europäischen Politiksystem.
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Man hat versucht, das merkwürdige Arrangement zwischen Mitgliedsstaaten und EU-Institutionen, das weder als Staatenbund noch als Bundesstaat zu bezeichnen ist, sondern sich in einem „Dazwischen“ bewegt, als eine neuartige, zukunftsweisende Erfindung zu adeln. Von einem Staatsgebildet „sui generis“ ist die Rede, um aus der Not eine Tugend zu machen. Man verkennt, dass in diesem Gebilde alles Mögliche Platz findet, aber von Souveränität an keiner Stelle mehr die Rede sein kann. Die staatlichen Einheiten geben die Souveränität, die sie bisher auf ihrer Ebene hatten, ab – aber diese Souveränität wird nicht von einer anderen Stelle übernommen. Sie findet sich nirgendwo wieder, sonst ist auf Nimmer-Wiedersehn verschwunden.
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Die Brüsseler Angelegenheiten sind mit den Angelegenheiten der einzelnen Mitgliedsstaaten wie in einem System kommunizierender Röhren verbunden. Das gibt Gelegenheit zu allen möglichen Versteckspielen. „Brüssel“ ist Kehrseite und Vexierspiegel von „Berlin“ (oder einer anderen Hauptstadt). Es ist ganz natürlich, dass bei den sog. „Europawahlen“ alle möglichen Entscheidungen und Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten beim Wähler eine Rolle spielen. Aber er ist von vornherein der Düpierte, denn im Zweifelsfall heißt es immer, dass es bei den Wahlen „um Europa“ gegangen sei und der Wähler, der nicht für die Regierungsparteien seines Landes gestimmt hat, nur ein „Protestwähler“ sei, der sich in der Adresse geirrt hat.
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Man kann die wachsende „europaskeptische“ Stimmung auch so verstehen: Die ungeklärte institutionelle Situation in Europa, bei der die Entscheidung zwischen Staatenbund und Bundesstaat vermieden wird, ist immer weniger haltbar. Ein beträchtlicher Teil der Wähler will nicht einfach „mehr Zuwendungen“ oder „mehr Demokratie“, sondern eindeutige Zuständigkeiten und Haftbarkeiten. Diese Wähler sind nicht einfach Egoisten, die nur das Eigene durchsetzen wollen. Sie fühlen sich durchaus als Teil eines Millionen zählenden Souveräns. Aber sie wollen für ihr Parlament Zuständigkeiten, die es mit niemand teilen muss und die zu Entscheidungen und Maßnahmen führen. Sie sind durchaus zu Konzessionen bereit, aber es sollen „ihre“ Konzessionen sein. Eine Demokratie im Zuständigkeitsdschungel, das sich beim Wähler die Stimmen für sonnige Versprechen abholt, um sie dann im Nachhinein als „leider nicht durchsetzbar“ zu deklarieren, hat jegliche Souveränität aufgegeben.
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Daher ist es wichtig, zwei Elemente in der gegenwärtigen „europaskeptischen“ Stimmung zu unterscheiden: nämlich ein populistisches Element und ein institutionalistisches Element. Der Populismus hat einfache Feindbilder („Brüssel“) und leichte Lösungen („ohne Ausländer könnten wir unsere Sozialleistungen hoch halten“). Der Populismus hält auf plebiszitäre Veränderungen („Volksabstimmung in Europa“) für wichtiger als die Klärung von Zuständigkeit und die Bildung souveräner staatlicher Ebenen. Diejenigen, die die europaskeptischen Stimmen aus der öffentlichen Diskussion ausschalten möchten, beziehen sich meistens auf das populistische Element. Aber es ist unübersehbar, dass es ein ganz anderes Element in der Europaskepsis gibt: Es argumentiert nicht mit leichten Lösungen, sondern damit, dass das europäische Politiksystem die Mindestanforderungen staatlicher Solidität nicht erfüllt und ein Zustand organisierter Unverantwortung eingetreten ist. Wer die verschiedenen Politikfelder Revue passieren lässt, insbesondere die europäische Ad-hoc-Politik in der Schuldenkrise, und wer auch die deutschen Konfliktthemen der letzten Monate berücksichtigt, insbesondere die Übergriffe auf die Rentenversicherung oder die Gesetzeslücken bei der Einwanderung, wird unschwer erkennen, dass hier institutionelle Argumente im Vordergrund stehen. Allerdings sind beide Elemente noch nicht klar unterschieden und vermischen sich oft. Die Kritik am gegenwärtigen politischen System Europas braucht also selber einen weiteren Klärungsprozess. Dieser hat gerade erst begonnen.
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Die Bundeszentrale für Politische Bildung ist eine Einrichtung öffentlichen Rechts, die weder der Regierung noch einem bestimmten Parteienspektrum (z.B. den gegenwärtig im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien) verpflichtet ist. Diese Bundeszentrale hat nun zur Europawahl unter der Rubrik „Wer steht zur Wahl?“ folgende Sätze zur AfD geschrieben: „Die Einordnung der AfD in das Parteienspektrum ist aufgrund ihrer noch jungen Geschichte schwierig. Dennoch wird die Partei von weiten Teilen der Politikwissenschaft als rechtspopulistisch bezeichnet.“ (zit. n. FAZ v. 7.5.2014). Ein erstaunlicher Satz mit subtiler Wirkung: Der Leser wird vor allem „rechtspopulistisch“ im Gedächtnis behalten und das irgendwie mit „rechtsextrem“ und „demagogisch“ assoziieren. So sind die Konnotationen von „rechtspopulistisch“, die der Autor der Zeilen, der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte, natürlich kennt. Zugleich wird mit dem Ausdruck „von weiten Teilen der Politikwissenschaft“ (meint er eine Mehrzahl von Lehrstuhlinhabern?) der Eindruck erweckt, hier läge ein objektives Urteil vor. Der wertende Charakter der Aussage „rechtspopulistisch“ wird verschleiert. Der Standort, von dem die Bundeszentrale für Politische Bildung ein (Vor-) Urteil über die kandidierenden Parteien fällt, wird unsichtbar gemacht und hinter „der Wissenschaft“ versteckt. Will die Bundeszentrale jede Grundsatzkritik an einer Einheitswährung für Europa als „populistisch“ einstufen und damit den Euro für „alternativlos“ erklären? Will sie die Forderungen „Gesetzliche Kontrolle der Einwanderung“ als „rechtsextrem“ einstufen? So ausdrücklich traut sich das die Leitung der Einrichtung nicht. Deshalb publiziert sie eine Art Charaktereinschätzung über die Partei – so als ob sie Einblick in irgendwelche Hinterzimmer und Seelengründe der AfD hat.
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Das Bundesverfassungsgericht hat Ende Februar 2014 die Drei-Prozent-Hürde, die bei den Europawahlen in Deutschland von einer Bundestagsmehrheit beschlossen wurde, gekippt. In der Zeitung „Das Parlament“ vom 28.4.2014 wird erklärt, dass Union, SPD, FDP und Grünen das BVG-Urteil kritisieren, weil eine „starke Zersplitterung“ der Zusammensetzung des EU-Parlaments drohe und damit eine „anhaltende Blockade der parlamentarischen Willensbildung“ zu befürchten sei. Offenbar ist diesen Parteien eine leichtere Mehrheitsbildung wichtiger als die Repräsentativität des Parlaments. Sie nähmen es in Kauf, wenn ein erheblicher Teil der europäischen Wähler überhaupt nicht vertreten wäre.
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Das Erstaunliche bei solchen fürsorglichen Eingriffen ist das Bild des Wählers, das bei den Demokratie-Regulierern Pate steht. Sie glauben im Ernst, dass der Wähler die erzieherische Absicht nicht merkt und sich folgsam auf den rechten Weg bringen lässt.
Gerd Held, 10.5.2014 (Copyright Gerd Held 2014)