Über die erstaunlich leichtsinnige Verabschiedung der pluralistischen Staatenwelt im Namen der Einheitswelt des „globalen Klimas“.

Das Klima als politisches Ordnungsproblem

Jürgen Kaube hat in der FAZ-Sonntagszeitung vom 13.12.2015 versucht, im Anschluss an einen Vortrag des Ökonomen William Nordhaus, die Vernunft einer globalen Klimapolitik ganz prinzipiell zu begründen. Er schreibt:

Die Ökonomie des Klimawandels ist die Ökonomie der Trittbrettfahrerei. Ein Trittbrettfahrer ist jemand, der andere die Kosten seines Handelns übernehmen lässt… Der Ökonom William Nordhaus von der Yale University in den Vereinigten Staaten…hat in seiner diesjährigen Rede als Präsident der `American Economic Association´ darauf hingewiesen, dass das Klima als globales öffentliches Gut besonders anfällig für diese Art der Schädigung aller ist. Denn die üblichen Techniken zur Bekämpfung von Trittbrettfahrerei – Verbote, Steuern, Marktregulierungen – sind von einem staatlichen Akteur abhängig und stehen unter transnationalen Bedingungen nicht zur Verfügung. Nordhaus spricht vom `Westfälischen Dilemma´, womit er die Folge des Westfälischen Friedens von 1648 meint, Staaten als souverän, ausgestattet mit gleichen Rechten und dazu berechtigt zu begreifen, Interventionen von außen abzuwehren. Alle internationalen Verabredungen sind jedoch freiwillig. Die Kosten einer Klimapolitik fallen national an, die Erträge streichen alle ein. Und also gibt es Trittbrettfahrer.

Wieso sind beispielsweise militärische Bündnisse stabil, aber Klimakonventionen nicht? Ökonomisch betrachtet, sind militärische Allianzen Klubs…In Klubs wird ein Gut unter seinen Mitgliedern geteilt und durch Beiträge finanziert. Nur wer sich an diese Finanzierungsregeln und andere hält, kommt in den Genuss der Produktion. Für die Mitglieder ist die produzierte Leistung ein öffentliches Gut, für alle Nichtmitglieder ein privates, von dem sie ausgeschlossen werden…Analog dazu wäre ein Klima-Klub also ein Vertrag zwischen Nationalstaaten, der die Mitglieder des Klubs auf Emissionsreduktionen verpflichten würde, etwa durch einen festgelegten Mindestpreis der entsprechenden Kohlenstoff-Substanzen…Wichtig wäre zunächst vor allem, dass es sich um wenige Mitglieder handelt, weil nach Auskunft der ökonomischen Theorie nur Koalitionen mit wenigen Teilnehmern stabil sind…Wie kann man also eine Koalition bilden, die stabil ist und gleichzeitig viele Mitglieder hat?

Der Schlüssel zum Erfolg eines Klima-Klubs, schreibt Nordhaus, läge in seiner Fähigkeit, Nationen, die ihm nicht beitreten, zu bestrafen…Nordhaus schlägt deshalb vor, dass die Klubmitglieder besondere Zölle auf die Exportgüter derjenigen Nationen erheben, die sich an der Emissionsreduktion nicht beteiligen…

Die Argumentation von Kaube enthält zwei Elemente: Zum einen wird das „Weltklima“ als öffentliches Gut bezeichnet, dass konsequenterweise einer übergreifenden, ordnenden Hand bedürfe. Zum anderen wird die Schwierigkeit unterstrichen, eine Nichtteilnahme am kollektiven „Klimaschutz“ zu sanktionieren. In dieser kurzen Gedankenskizze geht es zunächst um die Frage, ob sich aus einem übergreifenden Problem zwingend die Notwendigkeit einer übergreifenden politischen Instanz ergibt. Danach soll auf die Frage eingegangen werden, ob die Begriffe „öffentliches Gut“ und „Trittbrettfahrer“ bei dem Konglomerat „Weltklima“ sinnvoll angewendet werden kann.

Immanuel Kants Überlegungen zum Weltfrieden

An dieser Stelle macht es Sinn, sich daran zu erinnern, dass ein ähnlich globales Thema – der Weltfrieden – schon einmal vor gut zwei Jahrhunderten einmal sehr grundlegend erörtert wurde: von dem Philosophen Immanuel Kant. Er folgt der Schlussfolgerung „globales Problem – globale Regierung“ nicht, sondern kommt zu einer pluralistischen Lösung: Auf Grund des fundamentalen Eigeninteresses jedes einzelnen Staates, die Opfer eines Krieges zu vermeiden, neigen sie von sich aus zur Friedenserhaltung. Eine wichtige Bedingung ist allerdings, nach Kant, dass die Staaten Republiken sein müssen und damit diejenigen, die die Kriegsfolgen tragen müssen, auch die sind, die über Krieg oder Frieden entscheiden. Weil er von einem inneren Interesse solcher Staaten ausgeht, kommt er auch bei einem so globalen Thema wie dem Weltfrieden ohne die äußere Macht einer höheren Hand (ohne Weltpolizisten) aus. Er kommt also auch ohne eine „Friedens-Kartell“ aus, wie es (als „Klima-Kartell“) von William Nordhaus vorgeschlagen wird. Er sieht kein prinzipielles „westfälisches Dilemma“ bei der Erhaltung des Weltfriedens.

Aber hören wir Kant einfach mal zu. Kant schreibt über die natürliche innere Scheu einer Republik zum Eingehen von Kriegen (Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. In: Werkausgabe Bd. XI, S.205f, Frankfurt/M. 1996):

Wenn (wie es in dieser Verfassung nicht anders sein kann) die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, `ob Krieg sein solle oder nicht´, so ist nichts natürlicher, als dass, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müssten (als da sind: selbst zu fechten; die Kosten des Krieges aus ihrer eigenen Habe beizugeben; die Verwüstung, die er hinter sich lässt, kümmerlich zu verbessern; zum Übermaße des Übels endlich noch eine, den Frieden selbst verbitternde, nie (wegen naher immer neuer Kriege) zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen), sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen.

Da hingegen in einer Verfassung, wo der Untertan nicht Staatsbürger (ist), die also nicht republikanisch ist, es die unbedenklichste Sache von der Welt ist, weil das Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigentümer ist, an seinen Tafeln, Jagden, Lustschlössern, Hoffesten u.d.gl. durch den Krieg nicht das Mindeste einbüßte, diesen also wie eine Art Lustpartie aus unbedeutenden Ursachen beschließen, und der Anständigkeit wegen dem dazu allzeit fertigen diplomatischen Korps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann.

Das ist eine interessante Veränderung der Problemstellung: Ein öffentliches Gut (hier: der Frieden) besteht nur soweit, wie die Bürger vom Krieg direkt betroffen sind und daher nur im äußersten Notfall in ihn einwilligen. Demnach klappt es also mit der Westfälischen Ordnung (dem Staatenpluralismus), wenn die Staaten innerlich so geordnet sind, dass die vom Krieg potentiell Betroffenen Einfluss auf die Beschlüsse haben. Es bedarf dann gar keiner übergeordneten weltpolitischen Instanz, die die Staaten in ihrer Freiheit einschränkt und von außen in die Pflicht nimmt.

Ein irriges Problemkonstrukt: Das „Weltklima“ und seine „Trittbrettfahrer“

Angesichts des notorischen Scheiterns einer Weltklima-Politik wäre daher zu fragen, ob die These vom Klima als „globalem öffentlichen Gut“ überhaupt stimmt. Ist das globale Klima überhaupt als „Gut“ definierbar? Und wenn tatsächlich einmal globale Wetterereignisse eintreten würden, dann würde nach Kant der Anteil, den ein jeder Staat von einem solchen Ereignis erleiden würde, dazu reichen, dass er Maßnahmen ergreift. Nachweislich funktioniert dies System der Eigenverantwortung beim Küstenschutz oder beim Hochwasserschutz an Flussläufen mit mehreren Anrainern.

Ist das Problem mit der Weltklima-Politik eventuell gar kein „Trittbrettfahrer“-Problem? Liegen die Schwierigkeiten, zu Maßnahmen zu kommen, nicht vielleicht daran, dass „Weltklima“ eine viel zu komplexe Größe ist? Und ihre Reduktion auf eine Temperatur-Höhe und auf Maßnahmen gegen die CO2-Emissionen viel zu abstrakt und mechanisch sind? Der Unterschied zwischen denen, die CO2-Emissionen reduzieren wollen, und denen, die es nicht wollen, ist nicht der zwischen egoistischen Trittbrettfahrern und „global verantwortlichen“ Weltbürgern, sondern zwischen denen, die es sich ohne große Verluste leisten können, und denen, die es nicht können.

Deutschland als „Mustermitglied“ im Klimaclub hat viele energieintensive Teile seiner Produktion in andere Länder ausgelagert. Und es hat sich – durch den Atomausstieg – einen Schritt erlaubt, der mit allen möglichen Technologie-Ängsten zu tun hatte, aber nicht mit der CO2-Reduktion. Mit dem Atomausstieg wurde sogar eine Verschlechterung der CO2-Bilanz hingenommen. Das spricht für die These, dass bei den Anhängern einer Weltklima-Politik eine Kartell-Logik am Werk ist, mit der die Entwicklung von Konkurrenten gehemmt werden soll. Nordhaus will die Teilnahme bestimmter Länder am internationalen Handel erschweren.

 

 

(Gerd Held,15.1.2017, unveröffentlicht)