Der Sender N24 und die Belagerer

8. Juli 2017

Es ist Donnerstag, der 6.Juli. In Hamburg beginnt der G20-Gipfel und dem Sender N24 ist es offenbar ein besonderes Anliegen, den ganzen Tag über von den Aktionen der Gipfel-Gegner zu berichten. Reporter sind in der Stadt verteilt und die Redaktion hat Graphiken vorbereitet, um die Strategie der Blockierer zu begleiten. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass Straßenblockaden und das Eindringen in die Schutzzone Rechtsbrüche und Angriffe auf die Freiheit anderer Menschen darstellt. Auf den Graphiken der N24-Redaktion sind die Anfahrtsrouten der Gipfel-Teilnehmer markiert. Und auch ein Punkt mit der Bezeichnung „Trump-Villa“ wird mehrfach gezeigt. Hat der US-Präsident eine Villa in Hamburg? Und wozu eigentlich, wird ein solcher Punkt hervorgehoben? Wird hier ein Ziel markiert? Sichtlich dominiert bei den Journalisten die Frage, ob die Gipfelgegner wohl zum Erfolg kommen. Teilweise ist die Sympathie unüberhörbar, teilweise scheint man das Ganze als ein spannendes Duell zu sehen, das aufregende Bilder verspricht.

Ein zweiter Sendeort von N24 ist an einer der Zufahrtsrouten zum Gipfel eingerichtet. Man sieht knapp hundert Gipfelgegner bei der Straßenblockade. Sie sind eher zivil gekleidet und nicht vermummt, aber offensichtlich vorbereitet auf „passiven“ Widerstand gegen eine Räumung durch Polizeibeamte und Wasserwerfer. Man sieht Polizeieinheiten und Wasserwerfer im Hintergrund – Reporter und Kameramann stehen bei den Gipfelgegnern. Und auch ihr Berichtsinteresse liegt bei den Gipfelgegnern. Der Reporter macht sich Gedanken, was sie wohl tun könnten und welcher Erfolg eventuell in Aussicht steht. Einer der Demonstranten darf etwas ins Mikrophon sagen. Man hört, um es milde zu formulieren, sehr allgemeine Worte: Auf dem Gipfel gehe es „nur ums Geld“. In Afrika hätten die Menschen „kein Brot“ und „kein Wasser“. Man sei „antikapitalistisch“. Und wie aus Stichwort skandiert die ganze Gruppe „anticapitalista! anticapitalista!“ und so weiter. Das macht nicht den Eindruck, als wollten die Gipfelgegner irgendjemand mit Gründen überzeugen. Vielleicht soll die lateinamerikanische Wendung des Slogans ein globales Flair ausdrücken, es will aber nicht recht zur Beschwörung der afrikanischen Not passen.

Und derjenige, der da ins Mikrophon spricht, passt weder zum einen noch zum anderen. Er ist vielleicht Mitte 30, gut genährt und gekleidet. Er hat sich bestimmt längere Zeit im deutschen Bildungssystem aufgehalten und man würde, wenn man sich nach seinem Beruf erkundigt, vielleicht eine Überraschung erleben. Aber der N24 Reporter erkundigt sich nicht. Er fragt überhaupt nicht, woher die Leute kommen, wie sie Zeit und Geld für die Aktionstage aufbringen und welches soziale Milieu hier eigentlich spricht. Der Interviewte unterstreicht mehrfach, wie wichtig es ist, dass ihre Aktion in den Medien erscheint. Auf dieser Basis sind beide Seiten sich einig.

(unveröffentlicht)