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In der Behandlung des Sports erweist sich, ob es den Regierenden in der Corona-Krise darum geht, die Abwehrkräfte der Gesellschaft zu stärken, oder darum, die Gesellschaft möglichst passiv und abhängig zu halten.

Der Sport als Prüfstein

28. April 2021

Im Sportteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. April ist ein bemerkenswerter Artikel erschienen. Er stammt von Michael Reinsch und trägt die Überschrift „Geringschätzung per Gesetz“. Ich möchte ihn hier ausführlich zitieren und ihn auch zur Gänze zur Lektüre empfehlen. Er handelt davon, wie die „Bundes-Notbremse“ die Sporttreibenden und ihre Vereine zur Verzweiflung treibt. Sie merken jetzt, wie fremd und gleichgültig den Regierenden der Sport ist. Wie lästig er ihnen im Grunde ist. Das hängt damit zusammen, dass die Regierenden ihre Corona-Politik mit einem Welt- und Gesellschaftsbild begründen, dass nur „Systemnotwendiges“ oder „Freizeitbeschäftigung“ kennt. Eine Politik, die so unterteilt, macht das Land in Krisen eng und spaltet es. Und es macht auch jeden einzelnen Menschen klein und spaltet ihn. Sie erklärt vieles, was ihm Lebenskraft und Würde gibt, zum bloßen „Vergnügen“. In dies Schema fügt sich der Sport nicht ein. Er gehört zu dem weiten Feld unserer modernen Zivilisation, das sich einer Zweiteilung in „notwendige Zeit“ und „Freizeit“ entzieht. Der Sport ist physisch und mental fordernd und zugleich ein Stück Emanzipation und Souveränität. Er stärkt die Fähigkeit der Menschen, sich auf widrige Bedingungen einzulassen, und erweitert ihre Reichweite.
Das schreibe ich hier auch vor dem Hintergrund meiner Biographie, in der der Sport (vor allem Leichtathletik) als Jugendlicher und junger Mann einen Mittelpunkt meines Lebens bildete. Das hat mir später geholfen, schwierige Phasen meines Lebens zu überstehen. Wie wichtig war es also, dass es damals im rechten Moment ein Sport-Angebot gab, von einem guten Verein, der Training, Wettkampf und Fahrten organisierte.

Wenn der Sport nicht in das Regierungsraster passt

Doch jetzt ist vom Sport kaum die Rede. Die Regierenden machen nicht die geringsten Anstalten, um den Sport schnell aus dem Stillstand zu befreien – obwohl es keinen Nachweis gibt, dass er ein Infektionstreiber ist. Viele Formen des Sports können jetzt sogar die Abwehrkräfte der Menschen stärken. Alles spricht also in diesem Bereich gegen eine pauschale Lockdown-Politik und für eine sofortige Wiederaufnahme des Sportbetriebs in Selbstorganisation der Vereine, Verbände, Schulen, Familien und Nachbarschaften. Doch die sogenannte „Bundes-Notbremse“ bedeutet das glatte Gegenteil. Es wird ein Lockdown-Automat installiert, der bei bestimmten Inzidenzzahlen Aktivitäten automatisch stilllegt – ohne Ansehen der konkreten Realität. Und im Bereich des Sports – insbesondere des Breitensports – sind die Festlegungen der „Notbremse“ ein Wirrwarr und sichtlich ohne Sachkompetenz und Sachinteresse zusammengestoppelt. Michael Reinsch schreibt in seinem FAZ-Artikel:
„Verwirrung und Chaos, Enttäuschung, Ärger und Bitternis – der Sport, seine Vereine und Verbände sind bei der Formulierung des neuen Infektionsschutzgesetzes böse unter die Räder geraten. „Die Formulierungen sind zum großen Teil unklar, fallen einerseits hinter in einigen Bundesländern ohnehin schon geltende Verbote zurück und gehen an anderer Stelle darüber hinaus“, klagt Christoph Niessen, Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes (LSB) Nordrhein-Westfalen, mit knapp fünf Millionen Sportlerinnen und Sportlern in 18000 Vereinen der größte in Deutschland. „Sie sind erkennbar zusammengestoppelt und offensichtlich ohne sportfachliche Kompetenz zustande gekommen.“
Diesem Urteil pflichten auch Vertreter anderer Landesportbünde bei, die in dem Bericht von Michael Reinsch zitiert werden:
„Die Vorschriften sind grundsätzlich und im Detail ungeklärt“, ärgert sich Andreas Klages, Hauptgeschäftsführer des Landessportbundes Hessen. Seit einem Jahr ringen er und seine Kollegen mit Politik und Verwaltung darum, Kindern und Jugendlichen, Männern und Frauen, Senioren und Athleten, Teams und Einzelkämpfern zu ermöglichen, ihrem Bewegungsdrang auszuleben, einander zu begegnen, sich fit zu halten. „Die Erfahrungen des Vereinssports, die Regelungen und Verfahren, die sich bewährt haben“, muss er nach dem Votum von Bundestag und Bundesrat in der vergangenen Woche feststellen, „sind im politischen Berlin nicht präsent.“
Man kann es auch drastischer sagen: Es zeigt sich, wie weitgehend hierzulande die Sesselfurzer die Vorherrschaft erobert haben.

„Bundeseinheitliches“ Wirrwarr aus dem Kanzleramt

So kann man nun auf den Sportseiten einer Zeitung nachlesen, wie der Zustand der Politik in Deutschland ist. Das Gesetz „verblüfft schon durch seine Wortwahl“, heißt es in dem FAZ-Artikel:
„Da wird die Schließung von Badeanstalten vorgeschrieben, da werden zertifizierte Tests von Anleitepersonen erwartet. Man muss nicht von Weltfremdheit sprechen, doch große Distanz vom Gegenstand seiner Beschäftigung macht da jemand deutlich. Nun wird gerätselt: Sind Badeanstalten, wie man früher Einrichtungen zur Körperhygiene nannte, dasselbe wie Schwimmbäder? Warum werden Spaßbäder und Hotelbäder genannt, nicht aber die Becken von Frei- und Hallenbädern? Ist es ein Versehen oder Absicht, Sport- und Tennishallen nicht aufzuzählen unter den Einrichtungen, die geschlossen werden müssen?“
„Warum allerdings schreibt der Gesetzgeber vor, dass in dieser Konstellation ausschließlich Individualsport und dieser kontaktlos erlaubt ist? Tennis und Badminton, schon gar Einzel, bleiben erlaubt, drinnen wie draußen, Gymnastik ebenso. Volleyball am Strand aber ist, weil Mannschaftssport, selbst Familien unter sich verboten. Tanz, weil Kontaktsport, ist, selbst an der frischen Luft, nicht einmal denen erlaubt, die Tisch und Bett teilen.“
Man hat den Eindruck, dass es denen, die dies Gesetz formuliert haben, eigentlich darum ging, das Sporttreiben möglichst so kompliziert und schwierig zu machen, dass die Menschen es lieber ganz lassen. Und die Kompliziertheit liegt hier nicht an einem Egoismus der Bundesländer, sondern sie wird vom Kanzleramt veranstaltet mitten im „einheitlichen“ Bundesgesetz. Das gilt auch bei den neuen Festlegungen für die Anleitungspersonen:
„Diesen Anleitungspersonen wird ein tagesfrischer, negativer und anerkannter Test abverlangt – vor jedem einzelnen Training. Bei der Vorstellung, die Trainer und Übungsleiter müssten sich täglich in die Warteschlange einer Teststelle einreihen, prophezeit Thomas Härtel, der Präsident des DSB Berlin, kämen Amateur- und Breitensport zum Erliegen. Er verlangt, ihnen wie Lehrern Selbsttests zu ermöglichen: Man muss Trainern trauen“.
Ja, die Grundlage dieses Gesetzes ist das Misstrauen, insbesondere gegenüber allen Ansätzen zur Selbstorganisation – und der Sport ist ein Bereich, in dem die Selbstorganisation mit den konkreten Möglichkeiten vor Ort Trumpf ist. Und das ist in Deutschland mit seinem Vereinswesen auch stark entwickelt. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es fünf Millionen Sporttreibende in 18000 Vereinen. Doch diese Selbstorganisation wird von den Regierenden offenbar als störende Kraft empfunden. Gesundheits- und Umweltauflagen waren schon vor Corona ein beliebtes Mittel, um immer stärker in den Sport hinein zu „regulieren“.

Die Macht des Sports

Hier werden die Sachfragen zu institutionellen Fragen. Wer bestimmt wo die Rechte und Pflichten? Im FAZ-Artikel wird Andreas Klages vom hessischen Landessportbund (LSB) zitiert: „Sport ist ein so vielfältiges Handlungsfeld, dass man dessen Regelung in Sprache und Systematik aus ihm heraus denken muss.“ Und sein Berliner Kollege Härtel sagt: „Der Sport erhält in seiner gesundheitlichen Wirkung und seiner gesellschaftlichen Bedeutung nicht die angemessene Anerkennung. Er bekommt nicht die Chance, als Teil der Lösung wahrgenommen zu werden. Das ist sehr, sehr bitter.“ Christoph Niessen vom nordrhein-westfälischen LSB deutet eine Möglichkeit an, wie das anders werden könnte: „Wir brauchen keine ständigen Kassandrarufe, sondern ein gezieltes Einwirken auf die Bundespolitik mit konkreten Formulierungsvorschlägen für entsprechende Vereinbarungen auf der Arbeitsebene…“
Der Hinweis auf die Arbeitsebene ist wichtig. Wie und wo kann die die gewaltige Kraft der Sportbewegung nicht zur Geltung kommen? Offensichtlich reicht es nicht aus, wenn man nur Protestschilder hochhält. Aber es gibt vielfältige Möglichkeiten, mit Sportaktivitäten vor Ort schon zu beginnen und die Autorität des Lockdown-Automaten zu unterminieren. In der medialen Öffentlichkeit kann man leicht den Eindruck erwecken, die Ablehnung des Lockdowns wäre eine Sache von „Partyvolk“ oder „Schickeria“. Aber auf den Plätzen des Sports, insbesondere auch denen des Breitensports, gelingt diese Demagogie nicht. Denn wo immer jetzt Sport getrieben wird, wird er sofort als positive Alternative zur Negativ-Politik des Stilllegens sichtbar. Hier gibt es nicht rhetorische Warnungen oder Versprechungen, reale Lebendigkeit und Engagement mit Herzblut. Wie heißt es so schön: Die Wahrheit ist auf dem Platz.

(erschienen bei „Die Achse des Guten“ am 4.5.2021)