Die Staatsschulden erreichen Weltkriegs-Dimensionen und eine Wende ist nicht in Sicht. Es regiert der Glaube, das Land könne außerhalb jeder Bilanzpflicht einfach weiterleben und überall hehre Ziele verkünden.
Der unersetzliche Maßstab des Geldes
15. Februar 2024
Die kritische Schuldendiskussion, die in Deutschland im Anschluss an das BVerfG-Urteil vom 15.11.2023 kurz aufflammte, ist schon wieder zu Ende. Eine reelle Auseinandersetzung mit der rasanten Schuldenentwicklung wäre ja bald an den Punkt gekommen, wo die teuren und selbstzerstörerischen „großen Rettungen“ – Klima, Migration, Ukraine – in Frage gestellt worden wären. Es ist diese Rettungspolitik, die die Geldausgaben des Staates immer weiter steigert und die auch die Wertschöpfung des Landes schwer belastet. Doch die Frage, ob das Ziel einer „große Transformation“ dieses Landes noch haltbar ist, ist weiterhin tabu. Die Generaldebatte zum Bundeshaushalt 2024 am 30. Januar zeigte, dass die Regierung die noch bestehenden Verschuldungsgrenzen (die sogenannte „Schuldenbremse“) durchlöchern will. Und die Kritik der CDU/CSU-Opposition stand insofern auf tönernen Füßen, als sie das ruinöse Transformations-Ziel gar nicht in Frage stellte.
So hatte die Debatte in großen Teilen etwas Gespenstisches. Als Haushaltsdebatte hätte sie sich ja um Bilanzen drehen müssen. Aber das geschah nicht. Man nimmt das immer größere Missverhältnis zwischen den Staatsausgaben und der Wertschöpfung im Lande gar nicht ernst, sondern dreht nur an der Interpretation der Tatsachen. Man fasst das Missverhältnis in neue Worte, und – oh Wunder – die roten Zahlen verwandeln sich in eine Brücke in die Zukunft. So erklärte der Finanzminister Lindner (FDP): „Diese Koalition hat einen Gestaltungsehrgeiz. Ich spreche daher nicht von einem Sparhaushalt, sondern von einem Gestaltungshaushalt.“. Der Finanzminister erklärt also nicht, aus welcher zusätzlichen Wertschöpfung die zusätzlichen Schulden bedient und abgetragen werden sollen, sondern er bietet stattdessen ein Wort an: „Gestaltung“. Ein Wort! Es klingt bedeutsam, ist aber völlig leer: Auf die Knappheiten dieser Welt ist „Gestaltung“ gar keine Antwort. Sie ist nur ein gewichtig tönendes Gerede – so wie es die Rede von den „Zukunftsinvestitionen“ ist.
Hier werden nicht nur wichtige Grundsätze einer guten Finanzverwaltung verletzt, sondern hier findet eine fundamentale Veränderung der Sphäre der Politik statt: Geld-Verhältnisse werden durch Wort-Konstrukte ersetzt. So verliert die Sphäre der Politik ihre Bindungen an die Realität. Ihre Entscheidungen sind so einer Messung an belegbaren und berechenbaren Wirkungen entzogen. Die Politik bewegt sich im spekulativen Bereich von Ängsten und Hoffnungen. Die politischen Akteure entledigen sich so jeglicher Erfolgskontrolle und Verantwortlichkeit.
Das muss man sich vor Augen führen, wenn in diesen Tagen unaufhörlich „der Schutz der Demokratie“ beschworen wird – beschworen von Leuten, die den Maßstab demokratischer Legitimation einfach umdefiniert haben. Zur Erinnerung: Das BVerfG-Urteil hatte Parlament und Regierung in die Pflicht genommen, auch in Notlagen die „Geeignetheit“ von zusätzlichen Schulden nachzuweisen. Doch nun wird so getan, als gehöre diese Nachweis-Pflicht nicht zur Rechtslage im Lande. Als wäre sie nur irgendein Redebeitrag.
Über das Geldwesen (I)
Umso wichtiger ist es, positiv die Bedeutung des Geldwesens als unersetzlicher Maßstab für die Lage und die Möglichkeit eines gegebenen Landes herauszuarbeiten. Das Geldwesen ist eigentlich ein recht präziser Indikator, ob die Verhältnismäßigkeit im Einsatz der Mittel von Staat und Wirtschaft gewahrt ist. So kann auch kritisch geprüft werden, ob ein Land nicht schon längere Zeit über seine Verhältnisse lebt. Diese Prüfung ist in unserer Zeit dringlicher denn je. In der Politik ist es inzwischen gängige Münze geworden, bei allen möglichen Problemen zwei- oder dreistellige Milliarden-Beträge in Aussicht zu stellen. Zur Erinnerung: Eine Milliarde sind 1000 Millionen, zweihundert Milliarden sind 200.000 Millionen. Welche Anstrengungen, Mühen, Entbehrungen sind nötig, um solche Summen zu erwirtschaften! Wie lange dauert es, bis solche Kapitale gebildet sind – eine Generation reicht dazu nicht. Doch in unserer Zeit genügen schon einzelne Ereignisse – Wetterextreme, Kriege, Migrationsbewegungen – um Ausgaben zu veranlassen, die eine Volkswirtschaft und ein ganzes Land in eine Überschuldung und damit in eine Schuld-Knechtschaft drücken.
Dabei ist eine Präzisierung wichtig: Es geht hier nicht allein um die absolute Höhe der Schulden. Erst wenn diese Höhe ins Verhältnis zu der Produktivität eines Landes gesetzt wird, ist wirklich feststellbar, ob eine Überschuldung vorliegt oder nicht. Eine hohe Verschuldung kann beherrschbar sein, wenn es eine entsprechend starke Entwicklung der Produktivität gibt. Aber die Produktivität muss real sein, also beobachtbar und messbar an der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Es kommt also auf die Schuldenquote an: auf das Verhältnis zwischen Verschuldung und Bruttoinlandsprodukt. Und auf die Entwicklung dieses Verhältnisses.
Über das Geldwesen (II)
Ein vielzitierter Satz des österreichischen Ökonomen Joseph A. Schumpeter lautet:
„Im Geldwesen eines Volkes spiegelt sich alles, was dieses Volk will, tut, erleidet, ist; und zugleich geht vom Geldwesen eines Volkes ein wesentlicher Einfluss auf sein Wirken und auf sein Schicksal überhaupt aus.“
Aus diesem Zitat spricht ein guter Ernst in Bezug auf das Geldwesen. Schumpeter geht davon aus, dass das Geldwesen die Knappheiten dieser Welt und auch die Anstrengungen der Menschen abbilden kann. Es ist vom „Wirken“ der Menschen und auch von den objektiven Schwierigkeiten dieses Wirkens die Rede, also von einer Ebene, in der rein sprachliche Geltungsansprüche – pessimistische oder optimistische „Erzählungen“ – wenig ausrichten können. Sie können allenfalls (vorübergehend) beeindrucken.
Schumpeters Betonung des Einflusses, den das Geldwesen hat, könnte man eventuell als Einladung zu einer Ankurbelung der Wirtschaft durch „deficit spending“ verstehen, wie sie John Maynard Keynes vertrat. Aber das ist keineswegs der Fall. Das zeigt Schumpeters Sicht der Weltwirtschaftskrise 1929. Als Erklärung für diese Krise sah er übertriebene Gewinnerwartungen während der zweiten industriellen Revolution in den 1920er Jahren. Diese Gewinnerwartungen hätten die allgemeine Risikobereitschaft so gesteigert, dass viele Investments auf großen Schulden basierten. Schumpeter weist also auf die Bedeutung einer realistischen Einschätzung von technologischen Entwicklungen hin. Im Geldwesen spiegelt sich mehr als nur eine „Geldpolitik“, wie ein verbreiteter Management-Glaube vermutet. Um zu beurteilen, ob eine Verschuldung tragbar ist oder in eine Schuldknechtschaft führt, muss man die Entwicklung der Produktivität der Betriebe und der Tragfähigkeit der Infrastrukturen berücksichtigen. Diese ist nicht geldpolitisch „machbar“, sondern hat ihre eigenen geschichtlichen Rhythmen. Ein Land braucht daher eine realistische Einschätzung der in einer Zeitperiode möglichen Entwicklung. Man muss dem Geldwesen, das gerade in seinen nüchtern-knappen Zahlenverhältnissen mehr ist als eine Sprache, einen eigenen hohen Rang mit starken institutionellen Sicherungen einräumen. Und man kann grundlegende technische, kulturelle, soziale Entwicklungen entdecken, wenn man sie im Licht der Schuldengeschichte eines Landes betrachtet.
Die USA im Lichte ihrer Schuldengeschichte
Die folgende Graphik stellt die Entwicklung der Schuldenquote (Staatsschulden in Relation zum Bruttoinlandsprodukt) in den USA seit dem 2. Weltkrieg dar:
Die Graphik zeigt zunächst (auf der linken Seite) eine steil ansteigende Schuldenquote, die gegen Ende der 1940er Jahre ihren Höhepunkt erreicht – also am Ende des 2. Weltkriegs (einschließlich des pazifischen Kriegsschauplatzes). Diese hohe Verschuldungsquote wird dann relativ rasch wieder abgebaut und beträgt Ende der 1960erJahre nur ein Drittel des Spitzenwerts. Das ist ein bemerkenswertes historisches Beispiel von Schuldenabbau durch Produktivitätswachstum. Doch gegen Ende der 1970er Jahre beginnt ein neuer Anstieg der Schuldenquote, der Mitte der 1990er Jahre ein beträchtliches Niveau erreicht und auf dieser Stufe bis Ende der 2000er Jahre verharrt. Und dann kommt es nicht wieder zu einem Rückgang, sondern zu einem zweiten Anstieg, der Anfang der 2020er einen Höhepunkt erreicht, der sogar über der Schuldenquote der USA am Ende des 2. Weltkriegs liegt. Und das ist nicht nur ein kurzer Höhepunkt, sondern der Beginn einer neuen Stufe. Zunächst deutet sich zwar ein gewisses Sinken der Schuldenquote an (ganz rechts auf der Graphik), aber inzwischen steigt sie wieder. Eine Prognose sieht für das Jahr 2028 einen Anstieg auf 137,50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts voraus. Das bedeutet, dass die Schuldenquote der USA jetzt dauerhaft über der Schuldenquote nach dem 2. Weltkrieg liegt.
Eine historisch neue, dramatische Situation
Wir haben also im Führungsland des globalen Westens eine Schuldenquote von historischen Ausmaßen. Aber es gibt keinen großen Krieg. Auch die Rüstungsausgaben der USA sind nicht der Haupttreiber der zunehmenden Verschuldung. Und die Verschuldungsquote kann offenbar nicht mehr durch Produktivitätsgewinne zurückgeführt werden, wie es in den 30 Jahren nach dem 2. Weltkrieg geschah. Vielmehr gibt es einen stufenweisen Anstieg der Verschuldung, bei dem kein Ende oder gar Rückbau abzusehen ist. Das ist zwar Anlass für mahnende Worte, aber in der nationalen und internationalen Wahrnehmung erscheint er offenbar nicht als so bedrohlich, dass er zu einer Zahlungskrise oder einem drastischen Politikwechsel führt. Was ist da geschehen? Welcher Wandel spiegelt sich nun im Geldwesen? Oder hat das Geldwesen vielleicht überhaupt an Bedeutung verloren? Ist das Geldwesen durch ein ganz anderes Medium der Stabilisierung ersetzt worden? Aber hat dieser Ersatz nicht eventuell fundamentale eigene Schwächen und ist nur ein Scheinersatz, der nicht hält, was er verspricht?
Die Schuldengeschichte bildet tiefgreifende Veränderungen ab
Die hier gestellten Fragen gehen weiter als die Frage nach der „richtigen Geldpolitik“. Sie lassen sich auch nicht damit beantworten, dass ein paar „Reiche und Mächtige“ die Finanzen dieser Welt zu ihrem Vorteil manipulieren. Es ist wahr, dass das heutige Geldwesen sich stark von dem Geldwesen, wie es Schumpeter sah, unterscheidet. Aber wer mag im Ernst glauben, dass der harte Maßstab des Geldes ersetzt wird durch eine personale Herrschaft über die ganze Welt? Wann und wo hätte diese kolossale Machtergreifung stattgefunden? Viel plausibler ist, dass die historisch neue Schuldenquote und der dabei herrschende Leichtsinn mit tiefergehenden, strukturellen Verschiebungen in Verbindung steht – mit gesellschaftlichen Verschiebungen, mit materiell-technischen Verschiebungen, mit kulturellen Verschiebungen.
Nur so wird auch die hier abgebildete Schuldengeschichte der USA verständlich. Sie zeigt einen längeren Prozess mit verschiedenen Stufen und Perioden. Jede Stufe und Periode ist mit einer bestimmten gesellschaftlichen, materiell-technischen und kulturellen Realität verbunden. Und das gilt auch für viele andere Länder der westlichen Welt. Es gibt überall ein ähnliches Grundmuster, aber es gibt auch erhebliche Unterschiede bei der Höhe der Verschuldungs-Stufen und bei der Dauer der Perioden. So wies Deutschland lange Zeit eine relativ niedrige Schuldenquote auf, die aber im Laufe der vergangenen 10 Jahre in einen immer schnelleren Schuldenzuwachs umgeschlagen ist. Parteipolitisch ist dieser Zuwachs nicht zuzurechnen, denn sowohl CDU/CSU noch SPD haben daran mitgewirkt. Und sie haben sich – im Verhältnis zu dem, was sie in den ersten dreißig Jahren Bundesrepublik waren – fundamental gewandelt.
Ein stabiles Geldwesen ist ein Schlüssel der Veränderung
Es ist wichtig, diese Verschiebungen zu begreifen. Das bedeutet nicht irgendein leeres und letztlich hilfloses Wissen. Ganz im Gegenteil: Wenn wir die heutige Überschuldung tiefer verstehen, können wir Möglichkeiten und Hebel einer Änderung entdecken. Gegenwärtig erleben wir, wie diejenigen, die die rasante Verschlechterung der Schuldenquote zu verantworten haben, jetzt behaupten, sie allein ständen für „die Zukunft“ dieses Landes. Oder gar für „die Demokratie“. Umso wichtiger ist es, nicht nur das Zerstörerische und Bösartige dieses Alleinvertretungs-Anspruchs zu zeigen, sondern auch seine strukturelle Schwäche. Denn was haben diese Leute als Ersatz für ein unstabil gewordenes Geldwesen zu bieten? Erzählungen, Zeichen-Setzen, Kommunikation. Damit ist ein beträchtlicher Sektor im Lande beschäftigt, aber es ist letztlich doch nur ein Wortwesen.
(Erschienen am 26.2.204 im Rahmen meiner Kolumne bei „Tichys Einblick online“)