Wie das ZDF die Dresdener Demonstranten missachtet
Bettina Schausten und die „Angstbürger“
Diesmal waren es also 15000 in Dresden, mindestens. Nach den 10000 Demonstranten in der Woche vorher war ein mediales Trommelfeuer auf die Menschen heruntergeprasselt, um ihnen die Straße auszureden. Es hat offenbar nicht funktioniert.
Die Vorgehensweise der öffentlichen Meinungsbildner war dabei durchaus raffiniert. Man behauptete nicht, dass die Menschen auf der Straße alle gewalttätige Neonazis sind. Man sagte Ihnen „Wir haben Euch verstanden, Ihr habt halt Angst“. Am vergangenen Sonntagabend in der Sendung „Berlin direkt“ hat Bettina Schausten, Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, diese Wortstrategie offiziell gemacht: In Dresden sollen die „Angstbürger“ unterwegs sein.
Worte legen Gedankenwege fest. Wer als „Angstbürger“ bezeichnet wird, dem wird damit der Titel des mündigen Bürgers aberkannt. Der Angstbürger ist ein irrational Getriebener, und deshalb automatisch anfällig für rechtsradikale Propaganda. Was er selber zu sagen hat, interessiert eigentlich gar nicht. Man muss ihm nicht zuhören, denn man weiß ja schon alles: Er hat Angst.
Dabei enthält das Wort des „Angstbürgers“ noch ein perfides Element. Es unterstellt dem Bürger egoistische Motive. Er soll Angst haben um seinen Arbeitsplatz, um sein Geld, um seinen sozialen Rang oder um seine Nachtruhe. Demgegenüber können sich dann alle jene, denen bei Migration nur „mehr Vielfalt“ einfällt, als die Vertreter des Gemeinwohls aufführen.
Nun gab es am Montagabend eine interessante Diskussion im MDR. Sie war durchaus unterschiedlich zusammengesetzt, aber man kam ohne das große Pro oder Contra aus. Stattdessen kamen einige praktische Dinge auf den Tisch: Was wird aus einem Ort mit 150 Einwohnern, wenn dort 50 Migranten hineingesetzt werden? (Es wurde ein Plakat eingeblendet, auf dem Einwohner geschrieben hatten „10 Flüchtlinge ja, 50 Flüchtlinge nein“). Will man Leute ohne jede deutsche Sprachkenntnis in eine Klasse neben andere Schüler setzen, weil man keine Lehrer für zusätzliche Klassen hat? Wer soll überhaupt die Betreuung übernehmen, wenn die Flüchtlinge in einem Flächenland auf hunderte von Orten verstreut werden? Wer beobachtet, wie sie sich entwickeln und ob sich eventuell einzelne von ihnen radikalisieren, Straftaten begehen oder Banden bilden? Und warum gibt es keine verlässlichen Prognosen über die Migrantenzahl der kommenden Monate? Warum gibt es zahlenmäßige Zusagen für einzelne Notgebiete (Syrien), aber keine festgelegte Gesamtzahl wie in der Schweiz?
Sind solche Fragen dumme Fragen? Merkwürdigerweise konnte sie keiner der Verantwortlichen an diesem Abend konkret und glaubhaft beantworten.
Berichtet wurde auch, dass es viele Menschen gibt, die durchaus eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen wollen, die aber bei jungen, alleinstehenden Männern Gefahren sehen. Sind solche
Bedenken ein Zeichen der Unwissenheit, die den Bürgern im Osten der Republik ja oft in Sachen Einwanderung unterstellt wird? Im Gegenteil, sie scheinen das Problem der Bindungslosigkeit von Migranten und die Zahlen der Schul- und Kriminalitätsstatistik besser zu kennen als andere.
Und aus keinem dieser Anliegen spricht nur Egoismus, sondern sehr deutlich die Besorgnis um das Gemeinwohl: um einen Ort, um eine Schule, um eine Stadt, um das ganze Land.
So findet in diesen Wochen in Dresden etwas in der jüngeren deutschen Geschichte Ungewohntes statt – ein konservatives Thema findet auf die Straße. Konservativ heißt hier nicht, dass mit Ressentiments gegenüber anderen Nationalitäten und Religionen jegliche Veränderung abgelehnt wird. Aber es wird verlangt, dass Deutschland das Recht hat, seine eigenen Errungenschaften und Maßstäbe gegenüber denjenigen geltend zu machen, die hier leben wollen. Und dass es das Recht hat, die Zahl der Zuwanderer so zu begrenzen, dass sie zur begrenzten Größe der Republik im Verhältnis steht. Laut Umfragen sind heute zwei Drittel der Deutschen der Auffassung, dass die Migration außer Kontrolle geraten ist. Die Forderung nach Herstellung eines gesetzlichen und auf Dauer haltbaren Zustands ist da legitim. Das Volk macht sein Recht geltend, in einem Land mit einer bestimmten Charakteristik zu leben und seine Geschichte weiterzuschreiben. Die Losung „Wir sind das Volk“ sagt jetzt deutlicher ein „dies“: „Wir sind dies Volk“. Wir leben in diesem Land – und nicht im Irgendwo und jeden Tag mit neuer Besetzung.
Das könnte man für eine Selbstverständlichkeit halten. Aber offensichtlich ist es das nicht, wie die hysterische Reaktion der öffentlichen Diskurslenker zeigt. Auf einmal wird deutlich, dass hier ein geheimes Tabu berührt ist. In Deutschland macht sich verdächtig, wer über Deutschland nachdenken will und sich des eigenen Landes vergewissern will. Wer nicht nur global denken will, sondern das sucht, was dies Land im globalen Konzert darstellt und dauerhaft darstellen kann.
Für einen solchen Konservativismus sind die Dresdener Demonstrationen ein Weckruf – nicht zuletzt, weil sie ohne Lenkung durch eine Partei, ohne dominante Führer und ohne vorgedruckte Transparente auskommen. Gerade das wenig Organisierte macht die Versammlungen beeindruckend. Insofern ist auch das Label „Pegida“ nur provisorisch. Hier ist mehr als ein organisierter Verband auf der Straße und damit ähneln die Versammlungen durchaus früheren wichtigen Demonstrationen, die das lange Ungesagte endlich aussprachen.
Gewiss wird die Mär von den „Angstbürgern“ noch unzählige Male erzählt werden. Das sollte kein Grund zur Sorge sein. Je penetranter die Meinungslenker auftreten, umso mehr wecken sie den Eigensinn der Menschen. Es ist inzwischen zu einer Frage der geistigen Selbstachtung der Bürger geworden, bei der Migrationskrise ihre eigenen Fragen zu stellen. Und diese Krise lässt sich auch nicht in der gleichen Weise aufschieben, wie es mit der Schuldenkrise geschieht. Jede Woche wird unerbittlich neue Zahlen und neuen Handlungsdruck liefern. Da bekommt auch Bettina Schausten am Sonntagabend nicht mehr den Deckel drauf.
(erschienen am 16.12.2014 auf der Internetplattform „Die Achse des Guten“)