Verbote helfen nichts“ war lange Zeit die Devise im Kampf gegen die Suchtgefahren. Der Görlitzer Park in Berlin zwingt zum Umdenken.

Die Drogenwende ist gescheitert

 

In der deutschen Hauptstadt ist in diesen Tagen der Görlitzer Park das große Thema, genauer gesagt: die weitgehende Übernahme des Parks und der umliegenden Straßen durch Drogenhändler. Der „Görli“ liegt im Stadtbezirk Kreuzberg-Friedrichshain, der von einer grünen Bürgermeisterin regiert wird. Nach der Besetzung des Oranienplatzes und der Gerhard-Hauptmann-Schule ist dies nun der dritte öffentliche Raum im Bezirk, der für die Allgemeinheit zur No-Go-Area geworden ist. Jahrelang ist der Drogenhandel im Park von den Behörden toleriert worden und ist immer weiter gewachsen. Doch nun scheint sich – zumindest in Worten – die Erkenntnis durchzusetzen, dass da irgendetwas mit der Tolerierungspolitik nicht funktioniert. Ein Arbeitskreis aus Vertretern verschiedener Behörden, der sich mutig „Taskforce“ nennt, will eine Zone einrichten, in der schon der Besitz von weniger als 15 Gramm Haschisch strafbar ist.

 

Noch weiß man nicht, was aus solchen guten Absichten am Ende tatsächlich wird, aber dennoch ist die neue Tonlage bemerkenswert. Sie ist es vor allem deshalb, weil noch vor kurzem ein ganz anderer Umgang mit dem Drogenkonsum auf dem Vormarsch war. Der Görlitzer Park im grünen Vorzeigestadtteil Kreuzberg war eine Art Modellprojekt für einen „neuen Umgang mit Drogen“. Die grüne Bürgermeisterin Hermann hatte vorgeschlagen, direkt am Park einen Shop zum legalen Vertrieb von Haschisch und Marihuana einzurichten. „Abschied nehmen von der Verbotspolitik“ war die Devise. Die Legalisierung von Drogen, die man zuvor als „weich“ umdefiniert hat, war in der grünen Partei offenbar mehrheitsfähig. Im August dieses Jahres hatten zwei führende Vertreter der beiden Parteiflügel, Dieter Janecek und Sven Lehman, eine Drogen-Wende gefordert: „Die bisherige Drogenpolitik ist diskriminierend, nicht an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet und bevormundend.“ Die Begründung ist eine Mischung von Resignation („Verbote bringen nichts“) und Aufbruch („neue Daseinserfahrungen“). Diese beiden Formeln begleiten die Drogenpolitik der grünen Partei von Anfang an. Sie gestatten es der Partei, sich mit den wabernden Rauchschwaden ganz neuer Glückserfahrungen zu umgeben und zugleich „pragmatisch“ mit der Abschaffung mühsamer Polizei- und Justizarbeit zu locken. Dabei sollten die Grünen hier eigentlich vorsichtig sein. Sie hatten ja schon einmal einen Abschied von der Verbotspolitik im Programm: beim sexuellen Missbrauch von Kindern, der als Förderung der Sinnlichkeit der Kinder verklärt wurde und die Partei am Ende tief in den Morast der Pädophilie gezogen hat. Sind sie nicht jetzt bei einer Drogenfreigabe im Namen „der Bedürfnisse der Menschen“ auf einer ähnlichen Irrfahrt?

 

Die Befürworter einer Drogenwende reichen allerdings weit über die Grünen hinaus. Im April dieses Jahres erklärte der sogenannte „Schildower Kreis“ – eine Gruppierung aus Juristen, Medizinern, Sozialpädagogen und anderen Akteuren der Suchtpolitik: „Die strafrechtliche Drogenprohibition ist gescheitert, sozialschädlich und unökonomisch“. Gefordert wurde, den Cannabiskonsum in Deutschland zu legalisieren. In der Praxis der Strafverfolgung hat diese Linie sich vielerorts schon durchgesetzt. Wobei es das Geheimnis der Juristen bleibt, wie man einerseits den Drogen eine enthemmende Wirkung zuschreibt (und das bei Verbrechen als strafmindernd in Rechnung stellt) und andererseits den Konsum solcher Drogen doch erleichtern will. Im Ergebnis werden mit dieser Rechts-Schizophrenie bei Verbrechen unter Drogen die Opfer alleingelassen und zugleich die Polizeiarbeit gegen den Drogenbetrieb erschwert.

 

Im Görlitzer Park hat diese Drogenwende nun ihr hässliches Gesicht gezeigt. Schaut auf diesen Park: Hier kann man sehen, wie einzelne Drogen andere Drogen anziehen. Wie der Vertrieb auf die Straßen, Cafés, Kneipen und U-Bahnstationen überspringt. Wie der Handel sich bandenmäßig organisiert, wie der Park in ethnische Reviere aufgeteilt wird und an den Grenzen schwerste Raub- und Gewalttaten geschehen. So zeigt sich, dass mit der Tolerierung kleiner Anfänge eine verheerende Dynamik in Gang gesetzt wird. Nach den Erfahrungen im Görlitzer Park kann niemand mehr behaupten, der Drogenbetrieb ließe sich auf ein friedliches, sanftes, sozialpädagogisch kontrolliertes Maß begrenzen. Deshalb ist der Vorschlag, den Park durch eine legale Abgabestelle für Drogen zu „entlasten“ so wahnwitzig. Man würde nur einen neuen Anziehungspunkt schaffen, der schon bald neue Nebenherde ausbildet.

 

Angesichts der Eskalation im Görlitzer Park in Berlin herrscht nun ein merkwürdiges Schweigen auf Seiten der Drogenwender. Manche, wie der innenpolitische Sprecher der Berliner Grünen Benedikt Lux, versuchen, die Entgleisung ihres Kreuzberger Projekts ausgerechnet der Berliner CDU in die Schuhe zu schieben. Andere Experten für Drogen-Toleranz sind erstmal ganz auf Tauschstation gegangen. Sie hüten sich, irgendeine Sofortmaßnahme zu nennen, die jetzt im Görlitzer Park weiterhilft. In die Niederungen der Praxis begeben sich die Toleranz-Edikte der neuen Suchtpolitik nicht. Aber sie weigern sich auch, ihre These vom „Scheitern der Verbotspolitik“ zu überdenken.

 

Doch um nichts anderes geht es. Der Fall „Görlitzer Park“ in der deutschen Hauptstadt zeigt nicht das Scheitern der Verbotspolitik, sondern das Scheitern der Abkehr von dieser Politik. Der Görlitzer Park ist das Menetekel der Drogenwende. Die hier über Jahre immer weiter wuchernde Dynamik des Drogengebrauchs gibt einen Vorgeschmack auf das, was bei einer Drogenwende in Deutschland droht. Die Sucht- und Gewaltopfer, die Einschüchterung der Nachbarn und der Geschäftsleute, die Zerstörung der sowieso schon knappen Freiräume für Kinder – das alles geht auf ihre Rechnung. Gewiss, auch eine Rückkehr zu einer strikten Verbotspolitik hätte zweifellos ihre Kosten. Hier muss ein Stück Überwachungsstaat eingerichtet werden und die Kontrollen kosten nicht nur Geld, sondern können manchmal auch lästig sein. Aber ungleich schlimmer ist die Beschädigung, die dem Leben der Menschen zugefügt wird, wenn es unter der ständigen Drohung steht, dass Drogenleute aus dem Ruder laufen.


(Manuskript vom 25.11.2014, erschienen als Essay unter der Überschrift „Warum nicht null Toleranz?“ in der Tageszeitung „Die Welt“ am 29.11.2014. Zum gleichen Thema mein Kommentar „Der grüne Abgrund“ am 23.11.2014 auf der Internetplattform „Die Achse des Guten“)