Während die Regierung „Mitgefühl mit den Bauern“ simuliert, arbeitet sie auf europäischer Ebene schon daran, das bisherige EU-System der Agrarförderung zu Gunsten der Öko-Landwirtschaft zu kippen.
Die heimliche Machtergreifung der „Agrarwende“
2.Februar 2020
Die Traktoren rollen. Es vergeht gegenwärtig keine Woche, in der es nicht an mehreren Orten in Deutschland zu Bauern-Demonstrationen kommt. Im Vordergrund stand zunächst eine verschärfte Düngemittelverordnung, die die Stoffkreisläufe auf vielen landwirtschaftlichen Betrieben einschränkt und damit massiv in die gesamte Hofwirtschaft eingreift. Diese Verordnung gilt flächendeckend, obwohl die Nitratbelastung des Grundwassers, mit der sie begründet wird, nur an sehr wenigen Orten kritische Werte erreicht. Aus dieser Verordnung spricht eine fundamentale Ignoranz und Rücksichtlosigkeit gegenüber den Verhältnissen auf dem Land. Sie ist ein Akt arroganter Fernsteuerung, und die Bauern spüren, dass hier ein ideologisches Prinzip am Werk ist, bei dem die Notwendigkeiten bei der Herstellung von bezahlbaren Nahrungsmitteln gar nicht vorkommen. Die Grenzwerte stehen fest – sollen die Bauern doch sehen, wie sie damit klarkommen. Die Kanzlerin hat eiskalt erklärt, dass kein Deut an der Düngemittelverordnung geändert wird. Zugleich wurde eine Maßnahme beschlossen, die bemüht aussehen soll und die doch nur wieder zeigt, wie wenig sie sich die Regierenden auf die Lebensrealität einlassen wollen: Sie hat einfach mal eben einen Geldtopf mit 1 Milliarde Euro hingestellt. Da dürfen die Bauern einen Antrag stellen und bekommen eventuell ein bisschen Geld (wenn sie alles fein richtig geschrieben und begründet haben) – und sind dann doch auf Dauer den verschärften Grenzwerten unterworfen. Hier wird nichts erleichtert, sondern eher in Zukunft noch weiter verschärft. Das Umweltprinzip ist bekanntlich grenzenlos.
Eine fundamentale Änderung des EU-Fördersystems
Aber es geht in diesem Jahr 2020 um viel, viel mehr. Ein viel weitergehender Eingriff in die Landwirtschaft ist schon in Arbeit: Das gesamte Fördersystem der Landwirtschaft soll fundamental geändert werden. Bisher wird der Hauptteil der Fördergelder (in der gesamten EU) nach dem Flächenprinzip verteilt, das heißt, dass nicht eine bestimmte Form des Landbaus bevorzugt wird, sondern jeder Hof nach seiner bewirtschafteten Fläche Geld erhält. Demnächst soll dies Flächenprinzip zu Gunsten einer einseitigen Förderung des sogenannten „ökologischen“ Landbaus aufgegeben werden. Und das soll in diesem Jahr 2020 beschlossen werden, im Rahmen der EU-Haushalts-Festlegungen für die Periode 2021 bis 2027. Ein Kommentar von Hendrik Kafsack im Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der eigentlich dem „Green Deal“ der EU-Kommission gewidmet ist, teilt das quasi im Nebensatz mit:
„Das Europaparlament mag fest an ihrer Seite (gemeint ist Frau von der Leyen, GH) stehen und kann gar nicht genug Geld für den Klimaschutz fordern. Die Mitgliedsstaaten allerdings tun sich in den Verhandlungen über den nächsten mehrjährigen EU-Haushalt 2021 bis 2027 schon schwer damit, die von Juncker vorgeschlagene Aufstockung des Klimaschutzbudgets mitzutragen – weil das zwangsläufig auf Kosten der traditionellen Mittel für die Landwirte und die Regionalförderung geht.“
Da steht es: Die „traditionellen Mittel für die Landwirte und die Regionalförderung“ sind nun das Angriffsziel. Mit der „Klimarettung“ hat die Politik aus dem harmlos klingenden „Umweltschutz“ einen gigantischen Hebel gemacht, der nun zu einem Systembruch im gesamten EU-Haushalt genutzt werden soll. Denn die Agrar- und Regionalpolitik stellt den Hauptteil dieses Haushalts dar. Wird dieser Bereich unter einen „ökologischen“ Primat gestellt, bedeutet das einen Systemwechsel der EU – ihr Haushalt dient nicht mehr der Sicherung und Weiterentwicklung der Wertschöpfung, sondern zwingt dazu, diese Wertschöpfung zu begrenzen. Man muss ja überhaupt ein großes Fragezeichen machen, ob die Zuständigkeit europäischer Institutionen für die Landwirtschaftspolitik und die Regionalpolitik wirklich sinnvoll ist – angesichts der großen Unterschiede zwischen den ländlichen Regionen. Auf jeden Fall wird diese Europäisierung jetzt zu einer verheerenden Falle, wenn die bisherige Breite der Förderung (das Flächen-Kriterium) auf den Öko-Gesichtspunkt verengt wird. Wenn die sogenannte „Agrarwende“ über den EU-Hebel die Macht ergreift.
Deutschlands verdeckte Schlüsselrolle
Genau dies Szenario zeichnet sich für 2020 ab, und Deutschland, das in der zweiten Jahreshälfte den EU-Vorsitz hat, hat dabei eine Schlüsselrolle. Der FAZ-Journalist schreibt:
„Entscheidend ist nun, wie und ob von der Leyen die Mitgliedsstaaten dazu bewegen kann, das Geld der EU für die richtigen Dinge auszugeben…Das erfordert politische Führungskraft. Immerhin darf sie dabei auf Schützenhilfe aus Berlin hoffen, wenn die Verhandlungen über den Haushalt 2021 bis 2027 unter deutscher Ratspräsidentschaft in die Endphase gehen.“
Es zeichnet sich also ein Zusammenspiel ab zwischen einer deutschen ideologisierten Politik und den Machtinteressen der EU-Institutionen gegenüber den Mitgliedstaaten. Umgekehrt könnten verschiedene Mitgliedsstaaten jetzt, im Bündnis mit den ländlichen Regionen und ihren Bauern, eine sehr harte und widerstandsfähige Gegenmacht bilden. Das Szenario mit einem ideologisierten Deutschland in der Schlüsselrolle erinnert ja an die Migrationskrise. Und jetzt geht es erst recht ans Eingemachte. Hier könnte sich das hochtrabende „europäische Projekt“ eine Fronde einfangen, die quer durch alle seine Territorialstaaten geht. Dann würde sich auch zeigen, welche Bedeutung die ländlichen Räume für den Zusammenhalt dieser Staaten, ihrer Gesellschaften und ihrer Volkswirtschaften haben.
Die Suggestivformel „überholte Agrarpolitik“
Dem aufmerksamen Leser ist sicher aufgefallen, dass der Kommentator der FAZ die Änderung des Fördersystems gutheißt. Er begründet das nicht näher, sondern benutzt Suggestiv-Worte. So streut Kafsack das Wort „traditionell“ ein, um die gegenwärtig gültigen Mittel der Agrarförderung irgendwie alt aussehen zu lassen. Warum sie veraltet sind und welche besseren „neuen“ Mittel in Aussicht stehen, wird dem Leser nicht mal ansatzweise mitgeteilt. In einem Kommentar in der FAZ vom 18.10.2019 (vom gleichen Autor) wird das Suggestiv-Schema “neu gegen alt“ noch deutlicher. Unter der Überschrift „Teure EU“ schreibt er, ein kritischer Blick auf den EU-Haushalt zeige, „…dass für die `modernen Aufgaben´ wohlwollend gerechnet bloß ein Drittel des Budgets vorgesehen ist. Der Rest fließt in `alte Aufgaben´ wie die überholte Agrarpolitik. Hier allein ließen sich Milliarden einsparen…Das aber erfordert den Mut, sich mit der Bauernlobby anzulegen.“
Der Autor erweckt den Eindruck, dass die EU teuer ist, weil sogenannte „alte Aufgaben“ ihren Haushalt in Beschlag nehmen und man dann kein Geld für sogenannte „Zukunftsaufgaben“ hat. Als zukunftsträchtig zählt Kafsack Fördergelder, die „dem Klimawandel, der Migration und der Digitalisierung“ gewidmet sind. Unter „alt“ führt er inbesondere „die überholte Agrarpolitik“ an, hier „ließen sich Milliarden sparen“, aber man müsste sich „mit der Bauernlobby“ anlegen. Damit stellt sich Kafsack nicht nur auf die Seite derer, die die gesamte Landwirtschaft unter ökologische Auflagen stellen wollen, sondern er behauptet indirekt, dass diese dann nicht so teuer ist wie die herkömmliche Landwirtschaft – sowohl für den Steuerzahler als auch für die Volkswirtschaft.
Die fundamentale Täuschung der „Agrarwende“
Das ist fürwahr eine irre und auch erstaunliche Idee. Denn eigentlich ist unbestritten, dass ökologische Nahrungsmittel in der Herstellung aufwendiger und daher teurer sind. Wenn heute Landwirte sich darüber Sorgen machen, dass sie wachsende Kosten haben und oft nicht mal die notwendigen Arbeitskräfte finden, dann ist es völlig abwegig, dass dieser Problemdruck bei einer ökologisierten Landwirtschaft geringer würde. Ganz im Gegenteil: Er würde viel höher. Die Arbeit der Bauern würde noch schwerer als sie eh schon ist. Sie würde personalintensiver und der Bodenbedarf würde höher. Damit würden auch die Chancen der Landwirte, für ihre Produkte einen kostendeckenden Absatz zu finden, nicht steigen, sondern sinken.
Deshalb ist die jetzige Bauernbewegung so bewusst und entschieden gegen alle Neigungen, unter der Überschrift „Umweltschutz“ die produktive Grundaufgabe der Landwirtschaft für zweitrangig zu erklären und immer weiter zu belasten.
Wenn Grüne rechnen
Die „Ökonomie“ der ökologisierten Landwirtschaft beruht darauf, dass man das Problem umdefiniert: Man misst nicht die Qualität und die Herstellungskosten von Lebensmitteln, sondern man führt eine zusätzliche, viel größere und im Prinzip unendliche Größe ein: Die Erhaltung der natürlichen Umwelt, der gesamten Flora und Fauna, des Klimas, des Planeten. Da jede Gewinnung von Lebensmittel Eingriffe und Veränderungen in der Natur bedeuten, kann man so astronomische Kosten der Landwirtschaft errechnen. Sie sind dann so hoch, dass es billiger wäre, gar keine Landwirtschaft zu betreiben und den Tag mit Nichtstun zu verbringen.
Das liegt daran, dass diese Ökonomie mit einer Negativ-Operation startet: Mit einer immer weiter reichenden Kosten-Kette, die gar nicht das gegebene Arbeitsvermögen berücksichtigt. Diese Ökonomie steht in keinem Verhältnis zur Wertschöpfung, sondern ist nur eine Negativ-Ökonomie. Das wird in dem Moment schlagartig deutlich, wo man tatsächlich darangeht, im Zeichen der schönen neuen Öko-Welt die Betriebe der herkömmlichen Landwirtschaft stillzulegen. Dann fehlen auf einmal all die relativ preiswerten Produkte, die diese Landwirtschaft hergestellt hat. Das führt zu einer massiven Teuerungswelle und auch zu einer absoluten Nahrungsmittel-Knappheit – da die zusätzlichen Arbeitskräfte und Flächen, die dann gebraucht würden, gar nicht zur Verfügung stehen. Diese Ernährungskrise trifft die Haushalte als Verbraucher, aber sie schlägt auch in einer Kettenreaktion auf die anderen Sektoren der Volkswirtschaft durch.
Die Leute, die mit den Realitäten auf dem Land zu tun haben, darunter oft auch gestandene Bio-Bauern, sind daher recht zögerlich, wenn sie sich eine allgemeine „Agrarwende“ an ihren Orten vorstellen sollen. Der große Zivilisationsbruch auf dem Lande ist ein Projekt, das in den Großstädten blüht (und dort in bestimmten gehobenen, besserverdienenden, akademisch-produktionsfernen Milieus).
Brandenburger Realitäten
Die „Berliner Zeitung“ vom 2.1. berichtete über ein Gespräch, das der brandenburgischen Landwirtschaftsminister Vogel von den „Grünen“ mit der Deutschen Presse Agentur geführt hat. Man erfährt, dass der Öko-Landbau alles andere als der große Trend ist: „Nachdem im Land zwischen 2012 und 2015 die Prämie ausgesetzt wurde, sei die Zahl der Öko-Betriebe und der ökologisch bewirtschafteten Flächen zurückgegangen.“ Man hat die wieder eingeführt und der Öko-Landbau erhält jährlich 29 Millionen Euro Sonderförderung von EU, Bund und Land (also gibt es schon längere Zeit nicht nur flächenbezogene Förderung). Aber das reicht offenbar nicht, um die Bauern zu überzeugen. Der Flächenanteil des Öko-Landbaus liegt derzeit in Brandenburg bei 12 Prozent, im Bundesgebiet bei 9 Prozent. Trotzdem hat die Bundesregierung einfach eine Quote von 20 Prozent als „strategisch festgeschrieben“, weshalb es in dem Artikel heißt: „Um die in der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes festgeschriebene Erhöhung auf 20 Prozent zu erreichen, muss auch Brandenburg zulegen.“ Doch zwischen den Zeilen kann man aus dem Zeitungsartikel herauslesen, dass die Fakten offenbar nicht bereits sind, der „Strategie“ oder dem „grünen Minister“ zu folgen: „Da im Ökolandbau der Ertrag zumeist geringer ausfalle und die Umstellung finanziell zehrend ist, seien Anreize zur Umstellung und eine Honorierung der erbrachten gesellschaftlichen Leistungen wichtig“ hat der Minister gesagt. Ebenfalls fiel das Wort „sichere Absatzmärkte“, was zu gut deutsch besagt, dass die Leute die teureren Öko-Produkte auch dauerhaft kaufen müssen, was offenbar keineswegs sicher ist. Die verbreitete Formel von den „gesellschaftlichen Leistungen“ des Öko-Landbaus ist ja eine völlige Leerformel, wenn die tatsächliche Gesellschaft die Ökoprodukte für sich gar nicht als besondere Leistung ansieht und abnimmt. Auch an der Stelle, wo vom Gemüseanbau die Rede ist, kann man die Mühen der Ebene zwischen den Zeilen herauslesen. Den Gemüsebauern, so hat der Minister gesagt, falle die Umstellung besonders schwer, „da sie traditionell einen hohen Bedarf an Arbeitskräften haben, die erst einmal zur Verfügung stehen müssen.“ Mit anderen Worten: Auch die traditionelle „alte“ Landwirtschaft hat schon ein massives Arbeitskräfteproblem (und bedarf der Unterstützung). Der ökologische Gemüseanbau braucht pro Hektar noch mehr Arbeitskräfte – eine ökologische Flächenumstellung kann sich daher als eine echte Bauernfalle herausstellen.
So hat der Minister der DPA auch gesagt, dass es „letztlich eine individuelle Entscheidung der Landwirte sei, wie sie ihren Betrieb führen möchten“. Die Landesregierung setze darauf, „sowohl die konventionelle als auch die ökologische Landwirtschaft beim Umbau zu einer naturverträglicheren Landwirtschaft zu unterstützen.“ Das hört sich auf einmal alles butterweich und konziliant an. Die Landwirte sollen selber entscheiden. Gut so. Aber wenn man schon so offen ist, warum streicht man dann nicht die Öko-Ziel-Quote von 20 Prozent?
Doppeltes Spiel
Am 18./19.Januar erschien in der „Berliner Zeitung“ ein Interview mit dem Grünen-Chef Habeck. Er gab sich mitfühlend und sagte „Die Bauern fühlen sich allein gelassen“ (diesen Satz setzte die Redaktion über das ganze Interview). Aber dann, eher beiläufig, fiel folgender Satz: „Der entscheidende Hebel ist eine Reform der EU-Steuermilliarden, die in die Landwirtschaftspolitik fließen. Sie müssen Tierwohl, Umwelt, Klima dienen.“ Da ist er, der große Hebel zur Vernichtung von Hunderttausenden Bauernexistenzen in Europa. Der Vorsitzende der deutschen Grünen will hinterrücks, über den EU-Hebel, Fördergelder in Höhe von 60 Milliarden Euro für „Tierwohl, Umwelt, Klima“ umwidmen. Das bedeutet praktisch: Er will sie der aktiven Bewirtschaftung des Landes entziehen. Er will diese Milliarden den Bauern, für die er gerade noch Mitgefühl simuliert hatte, stehlen. Und das Programm ist schon in Arbeit, als Chefsache bei der Kanzlerin.
Klare Worte zum Schluss
„Wir machen euch satt!“ lautet ein Ruf der neuen Bauernbewegung in Deutschland. Damit trifft sie genau den richtigen Punkt: Es geht um die Produktion der Nahrungsmittel. Das ist Grundaufgabe und Sinn der Landwirtschaft, das darf nie zu Gunsten anderer Ziele zweitrangig werden. Darauf gründet sich auch zu Recht der Produzenten-Stolz der Bauern. Ihre Widerstandsbewegung ist deshalb so wertvoll, weil sie aus der professionellen Erfahrung eines ganzen Berufstandes kommt; weil sie keine Macht-ohne-Land ist, sondern die Überlebensinteressen des ländlichen Raums vertritt; und weil sie mitten in dem ganzen Umwelt-Klima-Taumel, der Deutschland befallen hat, eine bewundernswerte Klarheit gefunden hat. Hier dreimal Klartext – mitgeführt auf einer Demonstration am 17. Januar in Berlin, anlässlich der „Grünen Woche“:
„Ist der Bauer ruiniert, wird dein Essen importiert.“
„Unser Hof hat Napoleon, Hitler und Stalin überlebt. Er wird auch die Grünen überleben.“
„Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Doch sie wissen alles besser.“
(erscheint demnächst in meiner Kolumne bei „Tichys Einblick“)