Der „Migrationspakt“ ist schon in vieler Hinsicht kritisiert worden. Seine zerstörerische Wirkung wird noch deutlicher, wenn man ihn an der Charta der Vereinten Nationen misst, von deren Gründungsgeist die Globalisierer nichts mehr wissen wollen. 

Die Tabula rasa der großen Wanderung

12. Dezember 2018

Vor kurzem ist in Marrakesch der sogenannte „Migrationspakt“ („Global compact for Safe, Orderly and Regular Migration”) beschlossen worden. Also ein Pakt „für Migration“. Der Pakt geht von einer prinzipiell positiven Bewertung der heutigen großen Wanderungsbewegungen aus. Es heißt im Text:

„Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik optimiert werden können.“

Der Pakt dient also dazu, diese Richtung weiter zu verstärken (zu „optimieren“). Von einer Abwehr oder Einhegung der großen Wanderung ist nicht die Rede. Gegen den Pakt gibt es eine beträchtliche Opposition, zahlreiche Länder haben ihre Zustimmung verweigert. Sie haben gute Gründe. Es ist schon viel über die gefährlichen Konsequenzen eines Paktes geschrieben worden, der die Schutzrechte zu Gunsten der Migrierenden stärkt und weitgehende Verpflichtungen der Paktstaaten gegenüber den Migrierenden festlegt. Die Behauptung, dass alles sei rechtlich nicht bindend, kann als Täuschungsmanöver über den Ernst der Angelegenheit gewertet werden. Die „weichen“ Formulierungen der Pflichten können sehr schnell Eingang in die nationale und internationale Rechtsprechung finden und damit – wie schon in anderen Fällen – zu „harten“ gesetzesähnlichen Pflichten werden.

Freiheitlicher Pluralismus oder globale Dauerintervention?

Doch ist noch nicht genügend deutlich gemacht worden, welchen historischen Einschnitt es für die Welt bedeutet, wenn die internationalen Beziehungen auf einen Primat des grenzüberschreitenden Migrierens gegründet werden und nicht mehr auf den Primat sicherer Grenzen zwischen selbständigen Staaten. Die Koexistenz selbständiger Länder und eine Zusammenarbeit auf der Basis freier, immer wieder neu getroffener Entscheidung souveräner Staaten war und ist immer noch die Grundlage der Vereinten Nationen. Nur so ist eine freiheitlich-pluralistische Weltordnung möglich, und die Verabschiedung der Charta der Vereinten Nationen im Jahr 1945 ist das Resultat eines großen weltgeschichtlichen Prozesses, der die alten Groß- und Weltreiche auflöste und im Laufe des 20. Jahrhunderts alle Kontinente erfasste. Die Bildung unabhängiger Staaten war die Voraussetzung und Grundlage für die Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen. In der Charta der Vereinten Nationen ist dies unmissverständlich festgehalten.

Der Artikel 1 der Charta legt in Absatz 1 das Ziel der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit fest, um dann in Absatz 2 zur Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zu kommen. Die Charta setzt das Ziel, „…freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln.“ Im dritten Absatz wird dann das Ziel der internationalen Zusammenarbeit festgelegt und im vierten Absatz heißt es, dass die UN „ein Mittelpunkt“ sein will, „in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden“.

Die Charta der UN schützt die territoriale Unversehrtheit der Staaten

Damit wird unzweideutig festgelegt, dass die Nationen die Grundlage der UN sind und ihre Souveränität die Basis der Zusammenarbeit ist – und nicht etwa die Zusammenarbeit auf eine schrittweise Aufhebung der Nationalstaaten in einem größeren Ganzen abzielt. Das wird in Artikel 2 der UN-Charta noch einmal ausdrücklich unterstrichen, dessen Absatz 1 lautet:

„Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder.“ Und dann folgt (in Absatz 4) eine Festlegung, die auch für die willkürliche Grenzüberschreitung durch Migranten Bedeutung hat:  

„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nation unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

Ja, aus diesen Formulierungen hört man deutlich den Geist der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen und ihres Strebens nach einer eigenen souveränen Staatlichkeit heraus, die im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einer Weltrealität geworden sind. Aber ebenso spricht daraus die nationalstaatliche Neuformation Europas im 19. und 20. Jahrhundert, aus der viele Nationen, wie wir sie heute kennen, hervorgegangen sind – darunter auch das moderne Deutschland, das erst in verkleinerter Gestalt sich in den modernen Staatenpluralismus einfügen konnte. Und auch jene frühen europäischen Nationenbildungen, die bis ins 18., 17. und teilweise 16. Jahrhundert zurückreichen (Spanien, Frankreich, Niederlande, England), sind hier gegenwärtig. Die Charta der Vereinten Nation ist in dieser Hinsicht das Resümee der neuzeitlichen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschichte und hält wichtige Errungenschaften fest.

Der „Migrationspakt“ fördert eine Weltordnung der Grenzüberschreitungen

Doch nun erzählt uns der „Migrationspakt“ eine ganz andere Geschichte – eine Geschichte der Grenzüberschreitung. Sie singt das Loblied auf eine grenzenlose und entgrenzende Mobilität. Von der Errungenschaft des Nebeneinanders von gleichberechtigten und selbstbestimmten Einheiten – von einer gegliederten Staatenwelt und Gesellschaftswelt – ist überhaupt nicht mehr die Rede. Sie ist damit keine Größe, die bei der Betrachtung der Migration zu beachten wäre. Migration wird so zum absoluten Recht, das nicht nach der Stabilität der Länder fragt, die für die Migranten als Mittel zum Zweck aufsuchen. So ist die einzige Umgebung, die im Text auftaucht, die „globalisierte Welt“ – eine Welt ohne Unterteilungen und ohne Maß. Es ist kein Zufall, dass der Text mit keinem Wort das Schlüsselproblem der Überbevölkerung erwähnt. Es ist eine Welt, in der es keine Zuordnung von Verantwortlichkeiten gibt, weil es eine Welt im dauernden Fließzustand ist.

Wie man mit der Weltgeschichte Schlitten fährt

Der Migrationspakt interessiert sich nicht im Geringsten für die Geschichte von Migration und Sesshaftigkeit. In dem Bestreben, Migration als etwas unheimlich Wichtiges darzustellen, haben die Autoren des Pakt-Textes  alles Mögliche irgendwie aneinandergeklebt und daraus eine kuriose Wandergeschichte der Welt konstruiert. Der am Anfang dieser Kolumne zitierte Satz spricht Bände. Er sagt zunächst, dass Migration „schon immer“ Teil der Menschheitsgeschichte war. Und dann heißt es im gleichen Satz, dass die Migration „in unserer globalisierten Welt“ eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung sei. Dieser Teil des Satzes soll offenbar einen heutigen neuen „globalisierten“ Weltzustand bezeugen, für den das „schon immer“ des Satzanfangs also nicht gelten kann. So versetzt uns der Text in ein und demselben Satz zugleich in eine Ewigkeitsgeschichte und eine „ganz neue“ Geschichte. Aber was kümmert die Autoren die Logik von Zeiträumen. Sie wollen eine „große Erzählung“ der Migration präsentieren und da wird dann einfach Stuss zusammengebrabbelt. So ist das heute offenbar mit wichtigen internationalen Dokumenten, bei denen die Globalisierer die Feder führen.

Die Instrumentalisierung der Migration

Hier zeigt sich, dass der Migrationspakt nicht einfach das Faktum der Massenmigration für wichtig erklärt. Vielmehr wird die Migration von den Globalisierern als Instrument benutzt, um ihre weltweiten Interventionsansprüche zu legitimieren und zu vergrößern. Zu diesem Zweck muss der Bruch verheimlicht werden, den der Migrationspakt gegenüber den Grundlagen der Vereinten Nationen – wie er in ihren Gründungsdokumenten festgelegt ist – darstellt. War vorher ein Nebeneinander selbständiger Staaten die Grundlage der UN, so wird jetzt ihre Vermischung zur neuen Weltnormalität und UN-Aufgabe erklärt. Das Recht aller Staaten auf territoriale Unversehrtheit wird konterkariert durch ein Regime der Schutzrechte für Migranten, die die eigenmächtige Grenzüberschreitung honoriert und fördert. Um die es den federführenden Kräften des Paktes ermöglicht, sich zu globalen Schutzherren aufzuschwingen. Sie kennen keine begrenzten staatlichen und gesellschaftlichen Einheiten mehr. Sie kennen die Größe von Raum und Zeit nicht mehr.

Die apokalyptischen Reiter

Die apokalyptischen Reiter der Globalisierung machen tabula rasa. Sie sind unterwegs, um die freiheitlich-pluralistischen Grundlagen der Vereinten Nationen zu zerstören. Im Januar 2019 soll der „Migrationspakt“ der UN-Vollversammlung vorgelegt werden.

 

(erschienen in Rahmen meiner Kolumne bei „Tichys Einblick“ am 13.12.2018)