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Die Energiekrise ist da, und ein Ausweg ist nicht in Sicht. Um das zu ändern, muss die Strategie, die in diese Sackgasse geführt hat, in den Blick genommen werden.   

Die Unterordnung der Energiepolitik unter die Klimapolitik ist gescheitert

30. September 2022

Nun ist die Energiekrise nicht mehr zu leugnen, und sie ist dabei, sich zu einer Wirtschafts- und Gesellschaftskrise zu vertiefen. Angesichts der schweren Belastungen und Opfer wäre es dringend geboten, eine Bilanz jener neueren Energiepolitik in Deutschland (und anderen Ländern) zu ziehen. Ein wesentliches Merkmal dieser Politik besteht darin, dass sie der „Klimapolitik“ untergeordnet wurde. So entstand die „Energiewende“. Die immense Verteuerung von Energie und die akut drohenden Versorgungsausfälle sind daher nicht einfach ein Unglück, das über uns hereingebrochen ist. Sie waren strategisch gewollt. Sie wurden billigend in Kauf genommen. Denn das erste und grundlegende Element der Energiewende war und ist die Ausschaltung aller fossilen Energieträger. Die drastische Verteuerung dieser Energieträger war dabei ein Mittel. Dass die Energie für Motoren, Heizungen und Produktionsprozesse, die von diesen Trägern stammen, unbezahlbar teuer werden, war und ist politisch gewollt. Zu dieser Negativ-Strategie gehört auch, dass der Öffentlichkeit ein extremes Bedrohungsszenario präsentiert wurde: eine „Überhitzung des Planeten“, die in wenigen Jahren einen Punkt erreicht, wo sie „irreversibel“ geworden ist. Und was geschah auf der Haben-Seite? Welche alternativen Energieträger gibt es? Sind sie beim heutigen Stand der Technik vergleichbar produktiv und zu einer stetigen, flächendeckenden Versorgung fähig? In diesem Punkt herrschte ein erstaunlicher Leichtsinn. Die offenkundigen Grenzen und Anfälligkeiten der „regenerativen“ Energieträger wurden überspielt mit dem Versprechen, diese Probleme seien „prinzipiell lösbar“. Doch nun stellt sich heraus, dass diese Alternative nicht liefern kann. Sie hat keine Antwort auf die jetzt eingetretene Energieknappheit. Auf ihrer Grundlage werden Teuerung und Knappheit dauerhaft auf dem Land lasten. Keine Wertschöpfung der Unternehmen und kein Arbeitslohn der Beschäftigten kann diese Belastung ausgleichen. Es droht ein historischer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Rückschritt. Das liegt nicht an einzelnen Fehlern und Versäumnissen – es ist die Folge der Unterordnung der Energiepolitik unter die Klimapolitik. Dieser ganze Ansatz ist gescheitert. 

Indirekte Eingeständnisse des Scheiterns

Indirekt ist das Handeln der Regierenden ein Eingeständnis dieses Scheiterns. Man sucht auf den Weltmärkten nach Öl, Kohle und Gas. Es soll von Gas auf Kohle und Öl umgerüstet werden – de facto vertrauen sie also nicht darauf, dass Wind und Sonne es schon richten werden. Man stelle sich vor, sie hätten in den vergangenen Jahren die Abschalte-Strategie noch mehr beschleunigt (das wurde ja vielfach gefordert): Dann stünden jetzt solche Ausweichmöglichkeiten überhaupt nicht mehr zur Verfügung.

Im Weltrahmen gibt es schon länger ein solches indirektes Eingeständnis des Scheiterns. Im April 2022 stellte das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) fest, dass ein Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels „nahezu unvermeidlich“ ist. Die Erderwärmung wird die Pariser Klimaziele mehrere Jahrzehnte lang überschreiten. Hier haben die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer, darunter China und Indien, klargemacht, dass ihre Kohlendioxid-Emissionen in den nächsten 10 oder 20 Jahren noch steigen werden, weil sie ihren Entwicklungsrückstand aufholen müssen und wollen. Und dem haben auf den Welt-Klima-Konferenzen auch die weiter entwickelten Länder nicht widersprochen. So wissenschaftlich zwingend ist der Ruf nach einer Notabschaltung der fossilen Energieträger wohl doch nicht. Und wenn die erneuerbaren Energien so toll wären und das Beste für die Unabhängigkeit der Länder, wie bei uns behauptet wird, müssten doch eigentlich die Entwicklungsländer längst auf sie gesetzt haben. Haben sie aber nicht. Offensichtlich stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis bei diesen Energieträgern nicht.    

Und jetzt zeigt sich beim Musterschüler Deutschland, dass auch er sich den Abschaltplan der Weltklimarettung nicht leisten kann. In einer geschichtlichen Situation, wo einzelne fossile Energieträger knapp werden, kann die „Energiewende“ nicht liefern. Wir stürzen in eine Energiekrise, deren Kosten und Ausfälle existenzbedrohend ist. Da wäre es eigentlich naheliegend, die ganze Negativ-Strategie der „Abschaltung fossiler Energieträger“ auch hierzulande in Frage zu stellen. Es wäre geboten, getroffene Stilllegungs-Entscheidungen zu revidieren oder zumindest ihre Umsetzung aufzuschieben (durch ein Moratorium). Aber diese grundlegende Debatte wird noch unterm Deckel gehalten. Noch ist reflexhaft von „unserem Klimaziel“ die Rede.   

Der Ruf nach einem „Plan B“ in der Klimapolitik

In dieser Situation sind alle Stimmen wertvoll, die vernünftig Ziele und Opfer abwägen, und daraus strategische Änderungen entwickeln. Sie müssen dazu nicht jeden Klimawandel bestreiten, aber auf konstruktiven und realistischen Lösungen bestehen. Am 3.9.2022 erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „Klimapolitik: Zeit für einen Plan B“ ein bemerkenswerter Diskussionsbeitrag. Autoren waren Kim Campbell (ehemalige kanadische Premierministerin) und Peter R. Neumann (Professor für Sicherheitsstudien am Kings College in London). Statt wegen der verfehlten Ziele der Klimapolitik eine zu zögerliche Politik anzuprangern, sehen die Autoren einen falschen Ansatzpunkt und eine falsche Priorität in der bisherigen Klimapolitik:

„Ein wichtiger Grund dafür (für die Ineffizienz der Klimapolitik, GH) ist, dass sich fast alle Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels bisher darauf gerichtet haben, den Ausstoß von Kohlendioxid – des wichtigsten Treibhausgases – zu reduzieren, so etwa durch die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen oder die Förderung von Elektromotoren. Doch dieser Prozess verläuft viel zu langsam, um die Erderwärmung in naher Zukunft zu begrenzen.“

Das passt zu den Erfahrungen, die wir jetzt in der Energiekrise machen. Die Verzahnung der fossilen Energieträger mit bestehenden Betriebsabläufen, Infrastrukturen und dem Alltagsleben ist viel enger und vielfältiger, als bisher vermutet – und daher viel schwerer zu ersetzen. In vielen Fällen gibt es überhaupt noch gar keine operative Lösung. Deshalb schlagen sie einen Strategie-Wechsel vor:

„Eine neue Strategie ist deshalb notwendig, um die katastrophalen Folgen des Klimawandels in den Griff zu bekommen. Statt weiterhin fast ausschließlich auf Emissionsreduktion zu setzen, müssen viel stärker auch andere Maßnahmen genutzt werden. Welche Maßnahmen sind das? Am wichtigsten ist die Anpassung an den Klimawandel, beispielsweise durch den Bau von Dämmen, freiwillige Umsiedlungen, aber auch Bildungs- und Gesundheitsprogramme. Solche Maßnahmen sind seit Langem Teil der internationalen Klimaschutzpolitik, müssen aber dringend ausgeweitet und beschleunigt werden.“

Das bedeutet: Man muss noch längere Zeit CO2-Emissionen auf hohem Niveau tolerieren und daran arbeiten, bestimmte negative Folgen des Klimawandels abzuwehren und widerstandsfähigere Strukturen aufzubauen. Man verabschiedet sich also von der Vision, bald das Weltklima steuern zu können und dadurch „die Ursache“ aller Belastungen in den Griff bekommen. Und man bekommt stattdessen eine größere, unmittelbar wirksame Abwehrkraft gegen einzelne Folgen 

Campbell und Neumann umreißen noch zwei Aufgabenbereiche. Sie greifen etwas weiter: Zum einen die „Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre“ (durch Aufforstung von Wäldern; oder durch Speicherung in eingerichteten geologischen Lagerstätten). Zum anderen wird das sogenannte „Solar Engineering“ erwähnt. Ein Teil der anvisierten Lösungen klingt noch sehr nach Zukunftsmusik und hier gilt das Gleiche, was die Autoren für die erneuerbaren Energien schreiben: Wann und in welchem Umfang sie etwas zur Beeinflussung des Weltklimas beitragen können, ist fraglich. Der Text der Autoren ist auch nicht ganz eindeutig. Zum einen schreiben sie von einer „neuen Strategie“, und anderer Stelle ist nur von einer „ergänzenden“ Rolle die Rede.

Die Energieversorgung als eigenständige Zivilisations-Aufgabe

Doch enthält der Strategiewechsel-Vorschlag von Campbell und Neumann einen wichtigen Grundgedanken: Mit der CO2-Strategie wurde die Klimapolitik zum Herren über die Energiepolitik gemacht. Damit war die eigenständige Aufgabe der Energiepolitik – die Zivilisations-Aufgabe der Energieversorgung – zu einer sekundären Größe: Wenn die Klimapolitik – im Namen der Natur – einen absoluten Imperativ („CO2-Neutralität“) aufstellt, muss die Energiepolitik Abstriche von ihrer Versorgungs-Effizienz hinnehmen. Das kann unter Umständen drastische Verteuerungen, Lücken und Unregelmäßigkeiten bedeuten. Genau diese Gefahr ist jetzt akut geworden. 

Die grundlegende Aufgabe besteht jetzt darin, dass die Energieversorgung mit den ihr eigenen Mitteln und der ihr eigenen Rationalität von den Aufgaben, die sich in Bezug auf das Erdklima stellen, scharf getrennt wird. Das Klimathema führt – als Natur-Thema – in sehr komplexe, vieldeutige Zusammenhänge, die zum Teil gar nicht erforscht sind und zum Teil vielleicht auch nicht definitiv zu klären sind. Das Thema ist anfällig für Hysterie und Hybris. Auf jeden Fall ist es hochgefährlich, die gesamte Energie-Infrastruktur von dieser unsicheren Größe her bestimmen zu wollen. Die Energie-Infrastruktur muss nicht nur eine bestimmte Menge an verwertbarer Energie liefern, sondern sie muss auch den Anforderungen „Flächendeckend“ und „Stetig“ genügen. Sonst verliert unsere Zivilisation einen wesentlichen Träger. Energiefragen müssen also von Klimafragen getrennt werden. Der Energiebereich muss wieder eine eigene Fachdiskussion nach eigenen Maßstäben bekommen. Geschieht das nicht, besteht immer die Gefahr, dass die historisch entwickelte Breite und Vielfalt des modernen Energiesystems nicht mehr verstanden und verteidigt wird. Unter dem einseitigen Imperativ der „Klimaneutralität“ wird sie vereinseitigt. Die Energie-Infrastruktur verliert die Flexibilität, die durch verschiedene Energieträger gewährleistet ist.     

Die Energiewende und ihre technologische Armut

Jahrzehntelang galt es als Grundsatz der Energieversorgung in Deutschland und vielen anderen Ländern, auf eine Vielzahl unterschiedlicher Energieträger zu setzen und sich damit gegen den Ausfall einzelner Träger zu wappnen. In dieser Zeit gab es auch eine starke und eigenständige Fachdiskussion über Energie-Gewinnung und Energie-Infrastruktur. Dieser technologische Pluralismus galt auch auf vielen anderen Tätigkeitsfeldern und Branchen – in Industrie, Handwerk, Landwirtschaft, Dienstleistungen und im Bauwesen. Demgegenüber war die „Energiewende“ eine Wende in die Einseitigkeit. Mit „Sonne und Wind“ wurde das Land mehr und mehr in eine Abhängigkeit von Quellen gebracht, die sehr ungleichmäßig in Raum und Zeit verfügbar sind. Diese Wende wurde nicht von innen aus neuen Erkenntnissen der Fachdiskussion entwickelt, sondern von außen im Namen der Natur (als sogenanntes „Umwelt-Problem“) importiert. Damit war eine massive Energiekrise im Grunde schon vorprogrammiert. 

Diese Krise ist jetzt da. In diesem Herbst 2022 spitzt sie sich Tag für Tag weiter zu, und auch im kommenden Jahr ist keinerlei Entspannung in Sicht. Der Notruf der Bäcker und die große Resonanz, die er gefunden hat, zeigt, wie existenzbedrohend die Situation ist und dass sie auch so im ganzen Land empfunden wird. De facto müssen jetzt alle möglichen Notlösungen gefunden werden, die noch vom technologischen Pluralismus der Vergangenheit zehren – siehe jene drei Kernkraftwerke, die nun noch ein paar Monate länger laufen dürfen. Aber an der Grundaufstellung, die zu dieser Energiekrise geführt hat, wird nichts geändert. Ohne auch nur einen Moment lang innezuhalten, wird „unser Klimaziel“ weiter hochgehalten. Und auch der politische Sammel-Karton „Klima- und Energiepolitik“ wird gedankenlos wiederholt.