8. Oktober 2020

Wenn die politische Opposition in einem Land eine bestimmte Stärke erreicht, genügt es nicht mehr, sich nur als Gegner der bestehenden Regierung zu präsentieren und alle ihre Beiträge auf den Rücktritt der Regierung zuzuspitzen. Sie erweckt dann leicht den Eindruck, die Lage der Nation sei eigentlich gut und würde nur durch die Unfähigkeit und die bösen Absichten der Regierenden schlecht. Die Opposition führt dann im Grunde nur eine ständige Personaldebatte („Merkel muss weg“). Gewiss werden in den Medien in Deutschland die Beiträge der AfD krass verkürzt wiedergegeben, aber auch wenn man die Publikationen aus dem konservativ-liberalen Spektrum direkt liest, findet man selten den Versuch, ein eigenes Bild von der Lage der Nation zu erarbeiten und der Öffentlichkeit vorzulegen. 


Dabei gibt es deutliche Anzeichen, dass Deutschland massive Probleme hat, die nicht bloß von einer schlechten Regierung erzeugt wurden, sondern die in seiner Grundaufstellung der letzten Jahrzehnte wurzeln. Unser Land ist immer weniger realitätstüchtig. Es wird immer mehr zu einem realitätsfernen Land. Die Märkte für seine wirtschaftlichen Wertschöpfung, insbesondere seiner Industrie, werden enger; sein Staatswesen zeigt bei der Durchsetzung von Sicherheit und Infrastrukturen vor Ort eine eklatante Schwäche; und in den äußeren Beziehungen kommt hinter den großen Weltgestaltungsansprüchen nur ein erbärmliches Herumlavieren zum Vorschein. Diese Probleme haben mit der Tatsache zu tun, dass Wirtschaft und Staat sich über Jahrzehnte in einer relativ konkurrenz- und konfliktarmen Zone entwickeln konnte. Dieser Schonraum wird nun zur Falle. Unser Land steckt in einer Entwicklungssackgasse. Es muss in einigen Dingen getroffene Entscheidungen zurücksetzen, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Es geht um mehr als nur um eine bestimmte Einkommensverteilung oder die Erhaltung bestimmter Umweltzustände. Die Zeiten des „Wir schaffen das“-Deutschland sind vorbei.
Es handelt sich dabei um ein Problem, mit denen sich jede Regierung in Deutschland – gleich welcher Couleur – konfrontieren muss. Eine Opposition, die den Namen verdient, müsste sich jetzt dadurch profilieren, dass sie zur Stimme der Wahrheit über die Lage der Nation wird. Dass sie permanent und geduldig daran arbeitet, die historische Klemme darzulegen, in der das Land steckt. Inzwischen hat die Opposition ja eine zahlenmäßige Stärke erreicht, in der sie diese Aufgabe durchaus bewältigen kann. 
Natürlich handelt es sich nicht um Aufgaben, die sich nur in Deutschland stellen. Viele andere, recht hoch entwickelte Länder stehen vor ähnlichen Problemen, die oft schon früher virulent geworden sind. Und es gibt ähnliche Schwierigkeiten, den Ernst der Lage wahrzunehmen und öffentlich zu erörtern. Das gilt auch für die USA, wo Anfang November Präsidentschaftswahlen anstehen. Das Oberthema dieser Wahlen ist nicht Trump oder Nicht-Trump, wie die Demokraten es gerne hätten. Vielmehr geht es darum, ob in diesen Wahlen die realen Entwicklungsprobleme der USA eine Rolle spielen oder nicht. Da ist die Positionierung und Bilanz Trumps ein bisschen besser als die seiner Vorgänger. Und die heutigen Demokraten machen nicht den Eindruck, als ob sie sich ernsthaft mit Industrie oder mit Sicherheit beschäftigen.
In der September-Ausgabe von „Mein Monat“ geht es vor allem um die Wirtschaft und um die Nachlässigkeit, mit der die Kernaufgaben der Wirtschaft in Deutschland behandelt werden. Der erste Text setzt sich mit der Frage auseinander, ob man mit einem „großen Sprung nach vorne“ aus der jetzigen Krise entkommen kann, und ob es deshalb die Aufgabe liberaler Wirtschaftspolitik ist, in der jetzigen Lage „Aufbruchstimmung“ zu machen. Der zweite Text zeigt an Hand eines Leitartikels in der FAZ, wie man durchaus harte Krisenfakten beim Namen nennen kann, und diese Klarsicht dann doch aufgibt, wenn es um eine Korrektur der Grundaufstellung geht. Der dritte Text versucht noch ausführlicher, das Produktivitäts-Problem der entwickelten Volkswirtschaften zu belegen und eine weitere Diskussion anzuregen.