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Eine moderne Großstadt funktioniert nur als gut erschlossene Stadtregion. Deshalb ist die Feindschaft gegen den Autoverkehr und der Angriff auf den Verbrennungsmotor so kurzsichtig und verheerend. 

Groß-Berlin und Klein-Berlin

28. März 2023

Der mit großem Aufwand betriebene Volksentscheid „Berlin klimaneutral 2030“ ist krachend durchgefallen. Er scheiterte an der geringen Beteiligung der Berliner – und mehr noch daran, dass von denen, die sich beteiligten, sehr viele ausdrücklich mit „Nein“ gestimmt haben. Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die sich schon bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus abzeichnete: Eine Wählerbewegung, die vor allem in den äußeren Bezirken der Stadt stark war, führte das Ende der rot-grün-roten Koalition in Berlin herbei. Die Stadtmitte ist offenbar nicht mehr ausschlaggebend für die politische Mehrheitsbildung in der Metropole. 

Das sollte Anlass sein, den Blick auf die Stadt zu erweitern und den Beitrag des Außenraums zur Gesamtbilanz Berlins genauer ins Auge zu fassen. Ein solcher Blick zeigt erhebliche Unterschiede zur Innenstadt-Vorstellung von Urbanität: eine produktive Stadt, in der nicht nur fertige Güter verteilt und verbraucht werden, sondern auch die Güter-Herstellung eine Rolle spielt. Eine physische Stadt, in der viel stofflicher Austausch mit der Umwelt stattfindet, auch stoffliche Wiederverwertung wie beim Wasser und beim Müll. Eine offene Stadt, die als Gewerbe- und Wohnstandort ein viel breiteres soziales Spektrum bietet als die exklusive Innenstadt. Und schließlich zeigt dieser Blick auch eine „Stadt der langen Wege“, die oft kreuz und quer durch den Raum führen. Ohne deren zügige und zuverlässige Bewältigung könnte Berlin gar nicht stattfinden. 

Die Bedeutung des Autoverkehrs 

Auf Grundlage einer umfangreichen Verkehrs-Untersuchung aus dem Jahr 2009, die im Auftrag der Landesregierungen von Berlin und Brandenburg durchgeführt wurde (Titel: „Gesamtverkehrsprognose 2025 für die Länder Berlin und Brandenburg“), lassen sich die Anteile der verschiedenen Verkehrsträger in verschiedenen Teilzonen der Stadtregion errechnen. Zunächst der Zustand im Jahre 2006: In der Kernstadt-Zone betrug der Anteil des Automobils 44,1%, der Anteil von Bus&Bahn 45,4%, der Anteil von Fuß&Fahrrad 10,5%. In der Außenstadt-Zone waren die entsprechenden Anteile: 60,1% – 30,6% – 9,3%. In der Umland-Zone (identisch mit dem Land Brandenburg) war der Anteil des Automobils 81,8%, der Anteil von Bus&Bahn 11,7% und der Anteil von Fuß&Fahrrad 6,5%.

In der Prognose für das Jahr 2025 sehen die Anteile so aus: In der Kernstadt-Zone für das Auto 39,1%, für Bus&Bahn 47,8%, für Fuß&Fahrrad 14,1%. In der Außenstadt sind es 54,5% für das Auto, 32,6% für Bus&Bahn und 12,9% für Fuß&Fahrrad. Und für das Umland wird für das Auto ein Anteil von 75,1% prognostiziert, für Bus&Bahn 15,7%, für Fuß&Fahrrad 9,2%. Die Untersuchung ist schon etwas älter, aber die heutigen Realzahlen unterscheiden sich nicht viel von dem, was damals für 2025 prognostiziert wurde. Es zeigt sich, dass die Anteile des Automobils hoch sind, selbst im Kernbereich Berlins. Je weiter der Raum wird, umso größer wird dieser Anteil. Es gibt ein gewisses Wachstum der Anteile von Bus&Bahn und von Fuß&Fahrrad, aber eine Ersetzung des motorisierten Individualverkehrs durch diese Verkehrsträger ist nicht einmal annähernd in Sicht.  

Dabei ist ein Punkt wichtig. Bei diesen Zahlen wird die Messgröße „Verkehrsleistung“ (in Kilometer) zugrunde gelegt, und nicht die Messgröße „Verkehrsaufkommen“, bei der nur die Zahl der Wege erfasst wird. Bei „Verkehrsleistung“ wird also die bewältigte Distanz erfasst – und damit das Entfernungsproblem, dass für die Menschen ganz entscheidend für ihre Wahl des Verkehrsmittels ist. So ergab die Untersuchung des Ist-Zustandes 2006 bei Fuß & Fahrrad bei der Kilometer-Leistung in Berlin (Kernbereich und Außenbereich zusammen) einen Anteil von 10,1%. Wenn nur die Wege-Zahl betrachtet wird, und dann auch jeder kleine Weg zählt, den man unternimmt, steigt der Anteil von Fuß & Fahrrad auf 39,7%. Bei dieser Betrachtung wird die spezifische Leistung des Automobils stark unterschätzt und die Möglichkeiten eines Auto-Verzichts stark überschätzt.  

Die spezifische Leistung des Automobils

Wenn etwas hartnäckig so ist, wie es ist, sollte man davon ausgehen, dass es dafür gute Gründe gibt. Man sollte also die weiterhin hohen Auto-Anteile nicht auf irgendeinen „Autowahn“ zurückführen, sondern ruhig davon ausgehen, dass da sehr vernünftige Menschen am Werk sind. Im Leistungsspektrum der Verkehrsträger hat das Automobil eine Mittelstellung: Im Vergleich zu Fuß & Fahrrad ist es schneller, belastbarer, geschützter; im Vergleich zum Bus und besonders zur schienengebundenen Bahn ist es kleiner, flexibler, weniger aufwendig. Das bedeutet eine ziemlich breite Abdeckung von Mobilitätsaufgaben, aber auch das Auto ist natürlich kein Alleskönner. In einem Metropolenraum wird man einen beträchtlichen Teil des Verkehrs finden, der durch Bahn & Bus besser bewältigt werden kann, ebenso einen beträchtlichen Teil, der durch das Fahrrad und natürlich zu Fuß geschafft werden kann. Manchmal wird auch eine Kombination von Bahn & Rad eine Lösung sein. Aber es gibt einen beträchtlichen Teil von Mobilitätsanforderungen, bei denen die Einseitigkeiten des Verkehrsmittels Bahn sich als unüberwindbares Hindernis erweisen. Für eine flächenmäßige Erschließung ist der Schienenverkehr im Außenraum von Großstädten und im ländlichen Raum zu aufwendig – nicht nur in Geld gemessen, sondern auch in dem Aufwand an Material und Raum. Auch das Fahrrad hilft nicht weiter, wenn man größere Distanzen schnell überwinden muss oder größere Einkäufe, Werkzeuge, Freizeit-Ausrüstungen zu transportieren hat. Eine Kombination Rad & Bahn hilft auch nicht weiter, wenn die Wartezeit lang oder der Umlade-Aufwand groß ist. Und was passiert, wenn Wetter- oder Gesundheits-Probleme das Fahrradfahren unmöglich machen, oder wenn die Bahn durch eine Streckenstörung oder einen Streik blockiert ist? Wenn es dann kein Auto gibt, fehlt jede Ausweichmöglichkeit. In den Innenräumen einer Metropole gibt es solche Möglichkeiten, aber im Außenraum geraten die Menschen ohne Auto in eine fundamentale Abhängigkeit. Gewiss liegt die Lösung nicht in einem einzigen Verkehrsmittel, sondern nur in einem ganzen Spektrum von verschiedenen Verkehrsträgern.  Keinesfalls aber darf das Auto aus dem Spektrum der großen Verkehrsträger wegfallen.  

Das Automobil ist als Verkehrsträger aktueller denn je 

Die spezifische Leistungsfähigkeit des Autos ist alles andere als „überholt“. Im Außenbereich unserer Großstädte spielen zwei große Faktoren eine Rolle: Zum einen geht es um die Kosten. Die Mieten und Kaufpreise für Wohnungen sind in der Kernstadt immens gestiegen. Um diesen Kosten auszuweichen, ziehen viele Menschen in die Peripherie. Sie nehmen die längeren Wege in Kauf, wenn sie dadurch eine bezahlbare Wohnung finden, eventuell etwas mehr Wohnfläche oder sogar ein Gartenstück für die Vergrößerung der Familie. Das könnte zu mehr Bahnverkehr führen, aber die Orte mit Anschluss für S-Bahn und Regionalbahn sind ihrerseits auch schon relativ teuer. So verteilt sich die Ausweichbewegung noch stärker in die Fläche, wo sich die Bahn und Bus nicht mehr hinterherbauen lassen. 

Der zweite Grund für die Bedeutung des Automobils ist die neue Vielfalt der Arbeits- und Lebens-Beziehungen. Denn der „Pendler“, der nur morgens zur Arbeit in die Kernstadt kommt, und abends wieder nach Hause fährt, ist gar nicht mehr das typische Bewegungs-Modell. Die Menschen fahren oft mehrere Stationen an, von denen viele wiederum in der Peripherie liegen. Eine Bewegungskarte heutiger Berufstätiger zeigt oft ein komplexes Kreuz und Quer. Und das gilt auch für die vielfältigen Beziehungen, die die Männer, Frauen, Kinder eines Haushalts haben – zum Einkaufen, zur Schule, für die Gesundheit, für kulturelle und sportliche Aktivitäten, für Ausflüge und Reisen. Auch hier ist aus dem „one to one“ zwischen Wohnung und Arbeit ein „many to many“ geworden, das sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. 

Natürlich kann das nicht bedeuten, dass nun alles flexibilisiert wird. Man kann nicht bei jedem Arbeitswechsel eine neue Wohnung suchen. Man kann auch nicht für jeden Weg das hochspezialisierte, beste Verkehrsmittel in Reserve haben. Es muss also in der Vielfalt auch Dinge geben, die verschiedene Aufgaben bewältigen und Kontinuität im Wechsel bieten – sonst gerät man in völlig zerrüttete Zustände. Das Automobil gehört zu diesen Dingen, die vieles können und Kontinuität bieten. 

Der weiterhin starke Autoverkehr hat also mit den neuesten Veränderungen der Lebensformen zu tun. Deshalb ist das Auto alles andere als ein Auslaufmodell. Es hat eine große Zukunft vor sich.

Elektro-Autos? Warum nicht einfachere, sparsamere Verbrenner?  

Diese Betrachtung zeigt auch, dass es nicht irgendwelche Luxus-Bedürfnisse sind, die heute das Auto für die meisten Menschen interessant macht. Es ist nicht als Mittel zur Selbstdarstellung gefragt, sondern aus praktischen Gründen – Gründe, die in den Werbespots der großen Autohersteller nicht mehr vorkommen. Für die große Mehrheit der Autofahrer muss ihr Fahrzeug reale Mobilitätsprobleme lösen. Ihnen ist das Preis-Leistungs-Verhältnis wichtig. Auf diese Grundlage wurde das Automobil in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zum Massenverkehrsmittel. Durch industrielle Fertigung wurde es für breite gesellschaftliche Schichten erschwinglich. Dazu gehörte die Entwicklung von sparsamen Klein- und Mittelklasse-Wagen – und von entsprechenden Verbrennungs-Motoren. Im Laufe der Jahrzehnte hat diese Wagenklasse hohe Standards bei Haltbarkeit, Sicherheit und Umweltschutz erreicht. Wenn heute noch mehr Umweltschutz verlangt wird, wäre eigentlich naheliegend, an einem Angebot für einfachere, noch sparsamere Automobile zu arbeiten und einen Umstieg weg von den Wagen in den oberen Fahrzeug-Klassen zu fördern. Damit könnten Energieverbrauch und Emissionen noch einmal signifikant gesenkt werden. 

Doch es geschieht etwas ganz Anderes. Mit der Elektrifizierung des Automobils wird der schon bestehende Trend zu immer aufwendigeren, teureren Wagen weiter fortgeschrieben und bis ins Absurde gesteigert. E-Mobile sind gewaltige Fahrzeuge mit hohem Gewicht (nicht zuletzt wegen der großen, schweren, teuren Batterie) und aufwendiger Ausstattung – nur in SUV-Größe lohnt sich die Geldausgabe. In den unteren Fahrzeugklassen ist die E-Technologie gar nicht darstellbar. So wird das Automobil als Massenverkehrsmittel abgeschafft und wird wieder zum Luxus-Gut. Für dies Minderheits-Gut aber wird eine gigantische Lade-Infrastruktur aufgebaut. 

Der Angriff auf das Auto schlägt auf das Siedlungssystem durch

Wichtiger noch als die Kritik dieser absurden Entwicklung ist ein Blick auf das, was durch die der Abschaffung des Autos als Massenverkehrsmittel bewirkt wird. Dann würde nämlich für einen großen Mobilitäts-Bereich keine Lösung mehr zur Verfügung stehen. Oder nur noch Lösungen mit einem immensen Aufwand an Geld, Zeit und Anstrengung, die nicht lange durchzuhalten wären. Das aber würde auf das gesamte Siedlungssystem unseres Landes durchschlagen: Bekanntlich hat sich im vergangenen Jahrzehnt das Wohnen in der Mitte der Großstädte stark verteuert. Viele Menschen sind diesem Kostendruck ausgewichen und sind in den Außenbereich der großen Stadtregionen (oder in kleinere Städte und ländliche Räume) ausgewichen. Wenn aber nun das Autofahren so teuer wird, dass es für diese Menschen nicht mehr bezahlbar ist, dann wissen sie nicht mehr ein noch aus. Ein Teil von ihnen muss um jeden Preis wieder eine zentralere Wohnung suchen. Oder eine Wohnung nahe an den Haltepunkten der Schnellbahn-Trassen. Die Wohnungsmärkte werden noch enger werden. Es wird zu einer Auseinandersetzung um knappen Wohnraum kommen, von denen die heutigen Verhältnisse nur ein moderates Vorspiel sind. Fällt also das Auto als Massenverkehrsmittel aus, wird eine neue Preiswelle an den Wohnungsmärkten ausgelöst, die man sich gar nicht vorstellen mag. 

Das beschlossene Aus für den Verbrennungsmotor wird also nicht nur das Leben „ein bisschen teurer“ machen. Es wird einen großen Teilraum, der für Wohnungen und Arbeitsstätten eine Kostenentlastung bedeutete, brachlegen. Millionen Wohnungen und Arbeitsstätten werden wertlos, weil sie nicht mehr täglich erreichbar sind. Wenn bisher im Zuge der „Energiewende“ Kraftwerke stillgelegt wurden, war das für die betroffenen Beschäftigten und Orte schon schlimm genug. Aber jetzt werden die Grundfesten der Gesellschaft angetastet. Bisher war es möglich, Freiräume für die eigene Lebensgestaltung zu haben, und dabei spielte die Möglichkeit, den Kosten und dem knappen Raum der Innenstädte „nach außen“ auszuweichen eine wichtige Rolle. Die offene Gesellschaft hatte also im erweiterten Siedlungssystem der Großstädte einen adäquaten Ausdruck gefunden – mit dem Automobil als einem wichtigen Verkehrsmittel. Diese offene Gesellschaft steht jetzt auf dem Spiel.     

Die kalte Abwicklung ist schon im Gange  

Die Bedrohung ist ernst. In der Feindschaft gegen den Autoverkehr und in der Rücksichtslosigkeit gegenüber der Peripherie ist mehr im Spiel als die Willkür von Politikern. Es ist eine tiefe soziale Verachtung am Werk. Eine gehobene Mittelschicht, die sich im Alleinbesitz von Wissen und Moral glaubt, hat sich in der Mitte unserer Städte gut eingerichtet. Wo es vorher zwischen den verschiedenen Schichten der Gesellschaft ein Mindestmaß an gegenseitigem Interesse gab, gibt es für diese Schicht nur noch sie selbst. Alle anderen Daseinsformen sind nun „überholt“ und „überflüssig“. Selten in der Geschichte hat man eine solche Verbindung von „tonangebend“ und „ignorant“ bei einer sozialen Schicht gesehen. Aber sie ist da. Der gehobene Mittelstand, einst eine sehr respektable Schicht, ist in unserer Gegenwart zu einer Kraft der kalten Abwicklung geworden. Er hat in Deutschland bereits gezeigt, zu welch kaltem Wegsehen er fähig ist, als man mit ein paar „Maßnahmen“ Millionen Existenzen im Osten in den Untergang laufen ließ. Und scheint er bereit, das Ganze in einem viel größeren Maßstab durchzuziehen. Wieder gibt es ein paar knappe Maßnahmen „wird verboten“ oder „läuft aus“ – von einem „Europaparlament“, das keinerlei Bindung zur Lebenswirklichkeit in Stadt und Land hat. Welcher Berliner weiß schon von „seinem“ Europa-Abgeordneten, wofür er votiert hat und für welche Konsequenzen in seinem Wahlkreis er einsteht. Mit herablassender Geste „Ist ja bloß ein Motor“ wird die einzig bezahlbare Version des Automobils abgeschafft, und dann sieht man gleichgültig zu, wie die Leute in ganz Europa nicht mehr Aus und Ein wissen.   

Groß-Berlin und Klein-Berlin

Aber da liegt auch die strategische Schwäche einer gehobenen Mittelschicht, die ihre Welt als allgemeine Welt durchsetzen will. Sie ist nur in einem sehr kleinen Teil der Wirklichkeit präsent. Selbst in den Großstädten, die angeblich die Träger der grünen Wende-Zukunft sind, bestimmt diese Schicht nur den kleineren Teil des Raums – die privilegierte Stadtmitte. Das reale Leben im Außenbereich der Großstädte und auf dem Land hält diese Schicht gar nicht aus. Es kommt also darauf an, dass sich die Peripherie bewusst wird, dass sie ein eigenes Zukunftsmodell schon darstellt – ganz ohne „Wende“. Und dass sie eine eigene Macht hat, von der die verwöhnte Stadtmitte in vieler Hinsicht abhängig ist. 

Wichtig wird dabei sein, dass die Arena, in der die Dinge der großen Städte geregelt werden, erweitert wird. In Berlin gibt es dazu einige gute Voraussetzungen. Das politische Stadtgebiet umfasst 891 Quadratkilometer, und damit auch einen großen Außenbereich. Bei einem regionalen Gesamt-Einzugsgebiet von 6,2 Millionen Menschen wohnen 3,7 Millionen in diesem politischen Stadtgebiet. Zum Vergleich: In Paris regiert die Bürgermeisterin nur über ein Gebiet von 105 Quadratkilometer mit 2,1 Millionen Einwohnen – bei einem Einzugsgebiet von circa 12,5 Millionen Einwohnern. Die Außenbezirke sind also in Berlin politisch-gesellschaftlich viel präsenter als in Paris. 

Dies Groß-Berlin ist schon längere Zeit eine Realität, die gute Dienste geleistet hat. Der Begriff geht auf die 1920er Jahre zurück, als Berlin durch Eingemeindungen – begleitet durch erweiterte Infrastrukturen bei Wasser, Energie und Verkehr – zu seiner heutigen Fläche wuchs. Diese „Größe“ hat daher nichts mit dem „Germania“-Wahn des NS-Regimes zu tun, und auch nichts mit dem Babylon-Stadtbild des Films „Metropolis“. Eine andere Entwicklungsdynamik setzte sich geschichtlich durch. Sie führte immer deutlicher zu einer abgestuften, vielgliedrigen Stadt-Landschaft. „Berlin“ stand nun für eine Stadt mit Haupt- und Nebenzentren, mit Haupt- und Nebenachsen des Verkehrs, mit verschiedenen Lebens-Räumen und Verkehrs-Geschwindigkeiten. Und damit stand Berlin keineswegs allein da. Es gab ähnliche Entwicklungen in vielen Großstadt-Regionen dieser Welt. Die Geschichte der Moderne führte also nicht in monotone Betongebirge und Marschkolonnen im Gleichschritt. Eine größere und zugleich gelockerte Ordnung des urbanen Raums zeichnete sich ab. Vor diesem Hintergrund eröffneten sich am Ende des 20. Jahrhunderts der wiedervereinigten deutschen Hauptstadt neue Möglichkeiten, die Geschichte von Groß-Berlin fortzuschreiben. 

Doch die Entwicklung, die Berlin in den beiden vergangenen Dekaden genommen hat, ging in eine andere Richtung. Sie war ein Rückschritt, der die Stadt enger gemacht hat. Der Maßstab, nach dem die Grundentscheidungen für die Stadt getroffen wurden, und der bei der Pflege und Entwicklung der Infrastrukturen angelegt wurde, schrumpfte. Es regierte Klein-Berlin. 

Und das schien lange Zeit ganz unangefochten zu sein. Demgegenüber ist das Wahlergebnis vom 12. Februar 2023, mit dem die äußeren Wahlbezirke sich so deutlich zu Wort gemeldet haben, eine positive Überraschung. Und auch das deutliche Scheitern des Volksentscheids „Berlin klimaneutral 2030“ könnte ein Zeichen sein, dass die Regentschaft von Klein-Berlin wackelt. Zumindest hat sich ein Fenster zu anderen Optionen für die Stadtentwicklung geöffnet. 

(erschienen in meiner Kolumne bei „Tichys Einblick online“ und bei der „Achse des Guten)