Zivilisationsgeschichtliche Anmerkungen zur „Klimakrise“

Hysterie und Hybris

4. November 2019

Die Drohung mit einer ultimativen Klima-Katastrophe und der Plan einer „Welt-Klima-Rettung“ stellt einen Einschnitt dar, dessen Folgen wir noch gar nicht vollständig ermessen können. Noch weiß man nicht, was von dieser „größten Herausforderung der Menschheitsgeschichte“ übrigbleibt, wenn wirklich versucht wird, die Menschen in diese Herausforderung hinein zu zwingen. Aber es handelt sich um einen Angriff auf die moderne Zivilisation und ihre institutionelle Ordnung.
Dies ist nicht einfach ein grüner Fundamentalismus, der immer schon da war, sondern hier ist im Laufe des Jahres 2019 eine Verschärfung eingetreten – zumindest in einigen Ländern und Regionen der Welt, darunter Deutschland, aber keineswegs nur Deutschland. Das Klima-Syndrom hat einen erheblichen Teil der Oberschicht und, vor allem, der in den vergangenen Jahrzehnten stark aufgeblähten gehobenen Mittelschichten erfasst. Sie hat bereits sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft zu verheerenden Entscheidungen geführt. Es geht also nicht nur um einen Meinungs- und Kulturkampf, sondern auch um das materielle Niveau unseres Landes, um seine produktiven Kapazitäten, seine Infrastrukturen, sein Siedlungssystem, seine Arbeitswelt und seine beruflichen Ressourcen.  
Hier hat auch bemerkenswerte politische Umpolung zwischen Freiheit und Autoritarismus stattgefunden. Erinnern wir uns: Im Jahr 2018 wurde – insbesondere in Deutschland und Frankreich – von den Regierenden in großen Reden beschworen, dass sie im Namen der Freiheit für Pluralismus und Weltoffenheit handelten, gegen eine autoritäre Bedrohung (durch den Rechtspopulismus). Jetzt, im Jahr 2019, werden – zur Rettung des Weltklimas – diktatorische Eingriffe und Verbote im Weltmaßstab gefordert. Was für eine Umkehr der Fronten! Auf einmal zeigt sich auf Seiten der Regierenden ein Neo-Autoritarismus, während auf Seiten der Opposition die Vielfalt der Arbeitsformen, der technischen Lösungen, der Industrien und der nationalen Entwicklungspfade verteidigt wird. Und natürlich auch die Freiheit der Lebensformen, des Essens, der Kleidung, der Verkehrsmittel, der Genüsse. Die Regierenden machen die Welt eng, die Opposition wird zum Verteidiger ihrer Vielfalt.
Es handelt sich dabei um eine Umpolung von historischen Dimensionen. Indem die Regierenden eine „Krise unserer Zivilisation“ beschwören, unternehmen sie eine Großrevision für den Gesamtzeitraum von (mindestens) fünf Jahrhunderten Neuzeit. Inzwischen hat der Begriff „große Transformation“ Konjunktur. Demgegenüber wächst der konservativen Opposition nun die Aufgabe zu, für die Bewahrung der Gesamtheit der Errungenschaften der technischen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Moderne zu kämpfen – denkwürdiges Jahr 2019.

I. Im Schwarzwald

Ich war vor einiger Zeit im Schwarzwald unterwegs, genauer im Hochschwarzwald, in Menzenschwand. Es liegt in einem recht breiten Hochtal, das aber kein Durchgangstal ist, sondern nach einer Seite durch Berge abgeschlossen. Nach dieser Seite hin gibt es einen Rundweg zum Wandern, den „Geißenpfad“, der auch als Lehrpfad angelegt ist. Es gibt Tafeln, die dem Wanderer das Lesen der Landschaft erleichtern. Ich bin den Pfad fünf Mal gelaufen, und erst beim dritten Mal kam ich dazu, den folgenden Tafeltext genau zu lesen:
„Viele Landschaftsformen des Südschwarzwaldes lassen sich durch die Vorgänge in den Eiszeiten erklären. Dies trifft auch für den Wasserfall der Menzenschwander Alb zu. Hier trafen die Gletscherzungen des Alb- und des Krunkelbach-Tals aufeinander. Der vom Herzogenhorn kommende Krunkelbach-Gletscher war aber mächtiger als der Albtal-Gletscher des Feldbergs und hobelte das Tal stärker aus. Es kam zu einem Aufstau des Eises und es bildete sich in dem anstehenden Granit eine über 20 Meter hohe Stufe. In diesen Geländesprung hat sich die Alb nach dem Abschmelzen der Gletscher eingeschnitten. Es ist eine Klamm entstanden, die an die schluchtartigen Täler und die Gebirgsbäche zum Beispiel der Alpen erinnert. Ein schattiges und kühles Plätzchen, nicht nur für verschiedene Moos- und Farnarten.“
Vielleicht hätte ich das in anderen Jahren mit einem „aha, so ist das also“ quittiert. Aber in diesem Jahr der „Klima-Krise“, in der jedes Naturphänomen (und insbesondere die schmelzenden Gletscher) zu einem Vorboten einer „Überhitzung der Erde“ erklärt werden, denkt man: „Ach, nee“. Wir gehen also in unseren Mittel- und Hochgebirgen ständig durch Landschaften, die von geschmolzenen Gletschern geprägt sind. Diese Landschaften sind in ihrer Gestalt, ihrer Flora und Fauna reiche Landschaften – kultur-fähige und kultur-fordernde Gegebenheiten. Seit Jahrtausenden lässt das Gletschersterben „schattige Plätzchen“ für eine neue Arten- und Kulturvielfalt entstehen. Aber heute veranstaltet man Trauerprozessionen, als wäre die Welt danach nur noch Asche.

◊◊◊

Und noch eine zweite Informationstafel am „Geißenpfad“ ist interessant: „Die Täler der Menzenschwander Alb und des Krunkelbaches wurden in der letzten Eiszeit stark überformt. Die Gletscher, die vom Feldberg und dem Herzogenhorn ins Tal flossen, hobelten die ehemals V-förmigen Bergeinschnitte zu breiten, muldenartigen Tälern aus, sogenannten Trogtälern. Nachdem das Eis verschwunden war, entwickelten sich in dem Tal Wälder verschiedener Ausbildung. Sie wurden mit der Besiedlung von Menzenschwand um etwa 1300 teilweise gerodet. An den Hängen entstanden Mähwiesen. Die Steine störten beim Mähen der Wiesen und man setzte sie am Rand zu Mauern auf. Das `zahme Feld´ im Tal wurde so vom `wilden Feld´ am Hang durch lange Steinmauern getrennt. Sie markierten auch die Grenzen zwischen Grundstücken. Man erkennt die Steinmauern heute noch.“
Zum neuen „weltoffenen“ Diskurs gehört die Generalthese, dass jedweder „Mauer“ und „Grenze“ von übel sei. Sie sei ein sicheres Zeichen für Abschottung, Engstirnigkeit und Denken in homogenen Einheits-Identitäten. Doch die Mauern im Menzenschwander Tal sind die Voraussetzung für eine biologische und kulturelle Differenzierung einzelner Teillandschaften mit unterschiedlichen Potentialen. Sogar Elektrozaun und Stacheldraht werden eingesetzt. Manchmal werden bestimmte Bäume einzeln in solche Abwehranlagen gehüllt, um sie vor dem Verbiss durch Ziegen zu schützen, während dieser Verbiss an anderer Stelle erwünscht ist, um das „wilde Feld“ nicht völlig durch Bäume und Büsche zuwuchern zu lassen. Lang lebe Trockenmauer und Stacheldraht! Gott schütze sie vor den törichten Anhängern einer Welt ohne zivilisierende Grenzen.  

II. Über ganz unterschiedliche Begriffe von „Natur“

Die „Natur“ gehört zu jenen Begriffen, die scheinbar etwas ganz und gar Feststehendes bezeichnen. Wer „die Natur“ beschwört, beruft sich auf eine feststehende Größe – und zwar auf eine umfassende, ganzheitliche Größe, auf eine Letztbedingung alles Seienden, auf die „Bedingung aller Bedingungen“. Im Namen der Natur zu sprechen, ist – neben der Rede von „dem Menschen“ – zur höchsten Instanz der Politik geworden. Aber was genau ist gemeint, wenn wir heute von „Natur“ reden? Hier können einige Sätze von Nietzsche (aus der Schrift „Jenseits von Gut und Böse“, Kapitel „Von den Vorurteilen der Philosophen“) hilfreich sein:
„`Gemäß der Natur´ wollt ihr leben? O ihr edlen Stoiker, welche Betrügerei der Worte! Denkt euch ein Wesen, wie es die Natur ist, verschwenderisch ohne Maß, gleichgültig ohne Maß, ohne Absichten und Rücksichten, ohne Erbarmen und Gerechtigkeit, fruchtbar und öde und ungewiss zugleich, denkt euch die Indifferenz selbst als Macht – wie könntet ihr gemäß dieser Indifferenz leben? … In Wahrheit steht es ganz anders: indem ihr entzückt den Kanon eures Gesetzes aus der Natur zu lesen vorgebt, wollt ihr etwas Umgekehrtes, ihr wunderlichen Schauspieler und Selbst-Betrüger! Euer Stolz will der Natur, sogar der Natur, eure Moral, euer Ideal vorschreiben und einverleiben, ihr verlangt, dass sie `der Stoa gemäß´ Natur sei, und möchtet alles Dasein nur nach eurem eigenen Bilde dasein machen – als eine ungeheure ewige Verherrlichung und Verallgemeinerung des Stoizismus! Mit all eurer Liebe zur Wahrheit zwingt ihr euch so lange, so beharrlich, so hypnotisch-starr, die Natur falsch, nämlich stoisch zu sehen, bis ihr sie nicht mehr anders zu sehen vermögt – und irgendein abgründlicher Hochmut gibt euch zuletzt noch die Tollhäusler-Hoffnung ein, dass, weil ihr euch selbst zu tyrannisieren versteht – Stoizismus ist Selbst-Tyrannei – , auch die Natur sich tyrannisieren lässt…“
Eine verschwenderische, rücksichtlose, fruchtbare, öde, ungewisse Natur also. Wenn wir im Vergleich zu diesem Naturbild Nietzsches die heute regierende Naturvorstellung charakterisieren wollen (das wäre einmal eine sinnvolle Denkaufgabe für unsere Gymnasiasten), dann müsste man vielleicht sagen: Die heutige Natur ist ein Sensibelchen. Oder ein Kartenhaus. Jedenfalls ein überaus delikates Gefüge von Elementen, in dem schon die Entfernung eines einzigen Lebewesens oder eine Temperatur-Überschreitung um wenige Grad, zum „Umkippen“ oder „Kollaps“ führt. Diese Sensibelchen-Natur ist etwas ganz Neues in der Geschichte der Naturbilder der Menschheit, und es sicher kein Zufall, dass dies in einer Epoche geschieht, die überaus wohlausgestattet und wohlbehütet ist. Oder, um es präziser zu sagen: in wohlausgestatteten Regionen und in entsprechenden sozialen Schichten.

Eine andere Art der Verengung des Naturbegriffs ist die Vorstellung, dass die Evolution der Arten nach einem Selektionsprinzip erfolgt, beim dem immer nur der Beste überlebt. Demnach würde es in der Natur einen extremen Optimierungszwang geben, weil das Überleben an das beste Funktionieren gebunden ist: The survival of the fittest. The winner takes it all. Ich habe starke Zweifel, ob das tatsächlich Darwins Auffassung war. Denn die Evolution der Art kann auch sehr viel großzügiger gedacht werden – mit einem breiten Korridor von Überlebensmöglichkeiten. Also mit viel Leben auf den zweiten, dritten und vierten Plätzen. Mit Überschüssen über das funktional Notwendige. Mit einer Redundanz der Formen, Farben und Entwicklungswege.
Aber zweifellos gab es gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Verengung der Vorstellungen von der Welt der Nationalstaaten und Nationalökonomien. Man ging von nur wenigen „Plätzen an der Sonne“ aus, um sich die größeren Nationen in einem terminalen Ausscheidungskampf und -krieg befanden. Diese Vorstellung ist durch den weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts (insbesondere nach dem 2.Weltkrieg) widerlegt worden. Die moderne Welt kann sehr viel mehr Nationalökonomien und Nationalstaaten fassen, als man sich um 1900 träumen ließ. Aber ganz ausgerottet ist die irrige Vorstellung nicht, dass die kapitalistische Konkurrenz eine Verdrängungs-Konkurrenz ist. Man muss also mit der Möglichkeit rechnen, dass mit dem Klima-Syndrom und der Vorstellung eines hochempfindlichen globalen „Ökosystems“ eine neue Weltverengung und Konflikt-Verschärfung einhergeht. Die Handelsboykott-Drohungen auf dem G7-Gipfel gegen Brasilien wegen des Regenwald-Brandes sind ein böses Vorzeichen.      
Die jeweils herrschenden Vorstellungen und Begriffe von „Natur“ sind also ein Indikator für die Weltoffenheit oder Weltgeschlossenheit einer Epoche. Und die Verengung, die die Natur-Vorstellung gegenwärtig im Zeichen des „Klima-Notstands“ erfährt, ist unübersehbar. Dagegen ist es sicher ein gutes Gegenmittel, wenn man mit offenen Augen und einer gewissen Demut vor der Größe und Unterschiedlichkeit der Gegebenheiten durch die Welt läuft. Demgegenüber entpuppt sich die „Umwelt“, auf die sich heute so viele berufen, bei näherem Hinsehen als eine sehr magere und eintönige Fakten-Auswahl. Ursprünglich war die Geographie eine „positivistische“ Wissenschaft, die erstmal mit Neugier und Demut sammelte, „was da ist“. Es wurde nicht gleich versucht, die Beobachtungen auf eine große Tendenz oder „Ursache“ zu bringen. Die Geographie – ganz ähnlich wie die Geschichte – förderte einfach zu viel und zu unterschiedliche Erkenntnisse zu Tage, und das war gut so. Unter dem Vorzeichen des Begriffs der „Umwelt“ hat diese ursprüngliche Qualität der Geographie stark gelitten. Jetzt wurde die Brille der „Problemorientierung“ aufgesetzt und der Blick blendete nun viele Dinge aus.
In der FAZ vom 26.9.2019 findet sich ein Artikel unter der Überschrift „Steht die Erdkunde vor dem Tod? Geographen kämpfen um ihr Schulfach“. Darin wird berichtet, dass das Fach Erdkunde im stärker in den Hintergrund gedrängt wird. In Hessen hatten weniger als 6 Prozent der Abiturienten bis zum ende ihrer Schulzeit dies Fach. Zudem wird das Fach zu rund zwei Dritteln von fachfremd ausgebildeten Lehrern unterrichtet. Eigentlich sollte man meinen, dass im Zuge einer Gefährdung des Lebens auf unserer Erde eine besondere Pflege des Fachs „Erdkunde“ geschieht. Es würde ja eine Art Bestandsaufnahme der Erde auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene erlauben. Aber daran hat die Politik des Klima-Ultimatums offenbar gar kein Interesse. Ihr Weltbild kennt nur wenige, ausgesuchte Fakten. Und wenn der Verband Deutscher Schulgeographen (VDSG) im Artikel „Nachhaltigkeit, Erderwärmung und Landflucht“ ins Feld führt, um die Bedeutung von Erdkunde zu begründen, ist ihm sicher schon vorgehalten worden, dass solche Themen ja in Gesellschaftskunde, Projektunterricht, etc. bereits behandelt würden.
„Die Welt ist flach“ lautet der Titel eines vielverkauften Buchs von Thomas L. Friedman (2007). Es ist aus der Perspektive eines internationalen Reporters und des digitalisierten Weltbezugs geschrieben. Wie flach die Welt aus dieser Perspektive tatsächlich wird, kann man bei der Lektüre lernen. Der Charme der klassischen Geographie besteht hingegen darin, dass sie die Höhen und Tiefen der Welt mitvollzieht – und so ihre Unterschiede wahrnehmen kann. Die Falten der Welt, wie sie wirklich ist.  
Die Natur der Moderne (im Sinn der Naturvorstellung, die sich mit der Moderne durchsetzt) ist eigentlich großzügig, evolutionär offen und in ihren Entwicklungen ungewiss. Jede Verbindung der Natur mit „Zwang“, „Finalität“, „Funktion“, „linerarer Entwicklung“ wäre eine Einengung. So ist der neuzeitliche Mensch nicht dazu verdammt, nur der kleinliche Buchhalter und Kontrolleur des „Funktionierens“ der Natur zu sein. Vielmehr kann er all das, was sich täglich an Großzügigkeit, Wildheit und Ungewissheit der Natur zeigt, wertschätzen und zelebrieren: Das tägliche Wetter, den Vogelflug im Sturm die Farbenpracht des Herbstes. Er kann die Schöpfungslaunen der Natur, die kraftvolle Wucht ihrer Entladungen, ihr zartes, warmes Streicheln, ihr Toben und Tosen, ihre Widrigkeit und Härte, als Bedingung seiner Bewährung, seiner Würde und seines Glücks ansehen. Als Bedingung seiner Wirklichkeit als gegenständlicher Mensch.  
Die Großzügigkeit der Natur ist auch die Bedingung dafür, dass eine Welt entsteht, die auf Umformung und Umarbeitung der Naturgegebenheiten beruht. Es geht um das, was mit „Kultur“ oder „Zivilisation“ bezeichnet wird. Auch in kulturellen Tatsachen wirken Naturkräfte, sie gehören nicht dem Menschen allein. Aber die Großzügigkeit dieser Kräfte schließt ein, dass sie entdeckt, erschlossen, umgearbeitet, überformt, gesteigert, geschwächt werden kann.    

III. Die Überwindung der apokalyptischen Weltvorstellung und der Beginn der Neuzeit

Die Vorstellungen der Natur sind immer zugleich religiöse Vorstellungen, deren Ursprung uns nicht verfügbar ist und die sich unserem Wissen entziehen. Wir können nur konstatieren, wohin die Macht des Glaubens eine Epoche zieht. Es gibt die Möglichkeit, dass die Religion die Welt eng macht, und das gilt insbesondere für den Glaubens an einen bevorstehenden Weltuntergang. Es gibt aber auch die entgegengesetzte Möglichkeit, dass an Stelle der Apokalypse ein „Uns ist Zeit gegeben“ und „Uns ist Raum gegeben“ tritt. Auch im Christentum vorhanden und sind geschichtliche Realität geworden.   
In einem Beitrag, der am 5. Oktober auf der Vera-Lengsfeld-Webseite erschienen ist, hat Alexander Meschnig auf die religiöse Dimension des gegenwärtigen Klimadiskurses hingewiesen. Er zitiert aus dem Neuen Testament, aus der Offenbarung des Johannes. Diese sogenannte „Apokalypse“ ist das letzte Buch des Neuen Testament und damit ein zentraler Teil der christlichen Bibel. Im ersten Vers heißt es: „Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll.“ Was bei Johannes dann folgt, ist ein Weltuntergangs-Szenario. Die verschiedensten Katastrophen suchen Welt heim. Die vier apokalyptischen Reiter tauchen auf, die Krieg, Aufruhr, Hunger und Tod bringen. Posaunen verkünden das baldige Ende der Welt. Nach dieser Glaubensvorstellung, die über Jahrhunderte das christliche Weltbild geprägt hat, musste die Welt untergehen, damit dann eine ganz neue Welt „von Gott aus dem Himmel herabkommen“ kann. Dies alles sollte unmittelbar bevorstehen. Hier findet sich schon jene Ultimativformel, die jetzt im Klima-Ultimatum wiederkehrt: „in Kürze“. Unter dem ultimativen Druck der Apokalypse lebten die Menschen noch bis in die frühe Neuzeit und auch der frühe Protestantismus arbeitete mit dieser Drohkulisse.    

Dennoch kann man sagen, dass die Neuzeit (die Moderne) als eigenständige Menschheitsepoche erst dadurch möglich wurde, dass die religiös fixierte, apokalyptische Drohkulisse durchbrochen wurde. Die Moderne beruht also nicht, wie ein heute geläufiges Vorurteil will, auf einer großen „Beschleunigung“, sondern in einer neuen Großzügigkeit von Zeit und Raum. Ich will das mit einem Text belegen, der auch von Max Weber zitiert wird, und der der alttestamentarischen Geschichte der Vertreibung aus dem Paradies eine andere Wendung gibt als der Apostel Johannes. Es ist das epische Gedicht „Paradiese lost“ des englischen Dichters John Milton und wurde1667 veröffentlicht. Die von Max Weber zitierte Passage lautet:
„Sie wandten sich und sah´n des Paradieses
Östlichen Teil, – noch jüngst ihr sel´ger Sitz –
Von Flammengluten furchtbar überwallt,
Die Pforte selbst von riesigen Gestalten,
Mit Feuerwaffen in der Hand, umschart.
Sie fühlten langsam Tränen niederperlen, –
Jedoch sie trockneten die Wangen bald;
Vor ihnen lag die große weite Welt,
Wo sie den Ruheplatz sich wählen konnten,
Die Vorsehung des Herrn als Führerin.
Sie wanderten mit langsam, zagem Schritt
Und Hand in Hand aus Eden ihres Weges.“
„Vor ihnen lag die große weite Welt“ – Hier nimmt die alttestamentarische Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies sichtlich eine neue Wendung. Es eröffnet sich ein eigener Aktivraum und Verantwortungsraum für die Menschheit. Dieser Raum (und die damit verbundene Zeitoffenheit) ist von den Menschen nicht selbst errungen oder geschaffen, sondern gegeben. Insofern ist der Text zutiefst religiös, ja, er enthält die Möglichkeit einer religiösen motivierten, innerweltlichen Vita activa. Und diese Wendung entwickelt sich aus dem Christentum. Er ist auch keine wissenschaftliche Entdeckung eines neuen Faktums. Die Zukunft ist aus keinem Faktum abzuleiten. Aber die faktische Erfahrung sprach auch nicht dagegen. Die prophezeite Apokalypse blieb ja tatsächlich aus.
Der neu gegebene Raum ist nicht ein neues Paradies, wie es nach dem Johannes-Text nach dem Weltuntergang und dem jüngsten Gericht „vom Himmel herab“ über die Menschen kommen sollte. Der neue Raum ist Zivilisation. Er muss den Knappheiten der Natur abgerungen werden. Er muss verborgene Naturkräfte entdecken, freisetzen, umgruppieren, steigern. Die Zivilisation beinhaltet innerweltliche Askese und Anstrengung. Sie bedeutet Arbeit. Geschichte wird nun in einem viel stärkeren Sinn Zivilisationsgeschichte, Technikgeschichte, Arbeitsgeschichte.  

IV. Etwas Geistesgeschichte der Technik: Zur Bedeutung der fossilen Brennstoffe   

Die Geschichte der modernen Zivilisation beginnt in materiell-technischer Hinsicht mit einem längeren Zeitabschnitt, in dem sich die technischen Grundlagen noch weitgehend im Rahmen der mittelalterlichen Welt bewegten. So basierte die Energiegewinnung und die Konstruktion von Gebäuden und Maschinen ganz wesentlich auf dem Holz. Die Zivilisation war „Holz-Zivilisation“, und das setzte ihr enge Grenzen. Ende des 18. Jahrhunderts gab es in vielen Regionen Europas eine massive Holzkrise. Die Reproduktion der Wälder war schwer geschädigt, die Bewaldung ging stark zurück. Wäre das so geblieben, wäre das 19. Jahrhundert nicht zu einem industriellen Jahrhundert geworden, sondern wäre stattdessen von einem großen Rückfall in Armut und von einer malthusianischen Bevölkerungskrise geprägt gewesen.  
Doch dann kam der Umstieg auf die Steinkohle. Das war ein Energieträger, der Energie in einer viel konzentrierteren Form enthielt und sowohl höhere Hitzegrade als auch eine leichtere Handhabung (einschließlich Transport) ermöglichte. Zugleich war damit eine ganz neue Stufe der Bearbeitung metallischer Erze möglich. Mit der Steinkohle begann die Ära von Eisen und Stahl als konstruktive Grundlage für Gebäude, Brücken, Schienen, Fahrzeuge, Maschinen. Die Ära der Motoren (Dampfmaschine) begann. Und damit stand die moderne Zivilisation zum ersten Mal wirklich auf einer eigenständigen technischen Grundlage, die ihren emanzipatorischen Ansprüchen entsprach. Erst jetzt wurde die Zivilisation wirklich eine eigene materielle Welt. Erst dadurch wurde die tödliche Gefahr der Holzkrise überwunden, und eine gewisse Regeneration der Wälder konnte einsetzen.
Dieser Weg reicht bis in unsere Gegenwart. Die vergangenen zwei Jahrhunderte Zivilisationsgeschichte sind weltweit ganz wesentlich von den fossilen Energieträgern und ihrer Verbrennung getragen worden: Steinkohle, Braunkohle, Erdöl, Erdgas. Ein neues Element stellte die Atomenergie dar. Sie stellt birgt auf dem gegenwärtigen Stand aber so viel Risiken, dass sie für einen vollständigen Ersatz der fossilen Träger nicht in Frage kommt.
Bieten die sogenannten „erneuerbaren Energieträger“ (die Bezeichnung suggeriert eine leichte Verfügbarkeit) einen vollständigen Ersatz? Davon sind wir weit entfernt, wie folgendes Zitat aus einem Kommentar im Wirtschaftsteil der FAZ (26.10.2019) belegt:
„Erfolgsmeldungen wie die jüngste, wonach 43% des Bruttostromverbrauchs bis September aus Ökostrom stammten, beschönigen die Lage. Denn Elektrizität deckt nur ein Viertel der Energie, die Haushalte und Betriebe nachfragen. Die restlichen 1800 Terawattstunden beruhen auf Importware: Öl, Gas, Kohle. Die Erneuerbaren sichern nur 15 Prozent des gesamten Energieverbrauchs. Die Deckungslücke bis 2050, dann soll das Land kohlendioxidneutral sein, beträgt 85 Prozent…“
Diese Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Die Menschheit, selbst in den technisch hoch entwickelten Ländern, ist so weit von einer auf „erneuerbaren“ Energieträgern basierenden Wirtschaft entfernt, dass man nicht mal davon sprechen kann, dass sie „auf dem Weg dorthin“ sind.

Dabei ist in den Zahlen, die in dem Zitat präsentiert werden, noch gar nicht die ganze Realität abgebildet. Der wesentliche Maßstab für die Energieträger fehlt: Die Produktivität der Träger. Von den produzierten Energiemengen muss der Aufwand abgezogen werden, der zu ihrer Herstellung und Verteilung (flächendeckend und kontinuierlich) notwendig ist. Dieser Aufwand ist bei den „Erneuerbaren“ höher (teilweise viel höher) als bei Kohle, Erdöl und Gas. Ihre Produktivität ist also niedriger und das belastet die gesamte Volkswirtschaft. Eine Ära der Wind- und Sonnenenergiewäre also eine ungleich mühevollere und ärmere Ära. Das hat Thomas Hoof in einem Interview mit dem Magazin CATO (5/2019) in seinen geschichtlichen Dimensionen deutlich gemacht. Man kann diesen kritischen Befund zu den „alternativen“ Energien auch so formulieren: Wir befinden uns nach wie vor in der Ära fossiler Brennstoffe – auch dann, wenn diese Brennstoffe knapper werden und wenn ihre Verbrennung Umweltbelastungen mit sich bringt. Unsere Zivilisation wird nach wie vor von ihrer Nutzung getragen.

Doch das Ende der fossilen Ära wird nun ausgerufen. Nichts anderes bedeutet die geforderte „CO2-Neutralität“ und die in Deutschland und in der EU beschlossenen gesetzlichen Normen und Fristen („bis 2050“). Der Abschied von den fossilen Energieträgern wäre ein Ausstieg ohne verfügbare Alternative mit vergleichbarer Produktivität, also ein Ausstieg ins Nichts. Er würde eine neue Zivilisationskrise auslösen, die mit der Holzkrise des 18. Jahrhunderts durchaus vergleichbar ist.

Damit würde überhaupt der eigenständige Raum, den sich die Zivilisation in der Moderne geschaffen hat und in dem sie ihre eigene Geschichte macht, in sich zusammenfallen. Zivilisationsgeschichte würde wieder zurückgestuft zu einem Anhängsel der Naturgeschichte. Ihre normative Grundlage würde zurückfallen auf den „grünen“ Maßstab möglichst großer „Naturnähe“. Die „Welt-Klima-Rettung“ ist also eine geschichtliche Wende, die in ihrer selbstzerstörerischen Wirkung noch gar nicht vollständig begriffen ist. Sie lässt sich nicht allein als Reaktion auf durch bestimmte Wetter-Phänomene erklären. Diese Phänomene können durchaus zu Befürchtungen und Sorge Anlass geben, aber nicht zu einer existenziellen Zivilisations-Angst und Selbstzerstörung. Es muss mehr im Spiel sein. Es muss in einem beträchtlichen Sektor der Gesellschaft bereits eine fundamentale Entfremdung von der modernen Zivilisation geschehen sein. Die feste Bindung der Gesellschaft an diese Zivilisation, die man oft fraglos zu unterstellt, muss also brüchiger sein als gedacht. Und die Bruchstelle muss innen liegen. Es geht nicht um eine Bedrohung durch einen äußeren Feind: In der Mitte der Moderne muss eine zivilisatorische Sach- und Wirklichkeitsferne entstanden sein.  

V. Wenn „Industrie“ zum Unwort wird: Die Kritische Theorie als Menetekel

Es ist bemerkenswert, wie in unserer Gegenwart das Wort „Industrie“ schon also solches negativ konnotiert wird. Es genügt, das Wort „Agrarindustrie“ auszusprechen, und schon ist – nicht nur bei den Grünen, sondern auch in einem weiten Spektrum der Medien – die ja den Sprachgebrauch, der sich in der Öffentlichkeit durchgesetzt hat und nicht mehr begründet werden muss, wiedergeben – eine schlechte und unmoralische Entwicklung signalisiert. Der Einsatz großer Maschinerie und der Anbau von Lebensmitteln in großen Massen und Serien gelten als anrüchig. Als bloße Geldgier. Dass eine erhöhte Produktivität, die Knappheiten bei der Nahrungsgewinnung mildert, und sich von daher ökonomisch als höhere Wertschöpfung darstellt, wird gar nicht in Erwägung gezogen. Ähnliches galt schon vorher für die „Atomindustrie“. Und nun gilt es für „die Automobilkonzerne“.
Es gibt eine längere Tradition der Kulturkritik an der Industrie, die sie monströs als eine einzige „große Maschine“ darstellt. Ganz ähnlich wurde das moderne System der Großstädte zu dem einen monströsen „Babylon“-Bild zusammengezogen (man denke an den Film „Metropolis“). So zieht sich durch das 20. Jahrhundert eine Technikkritik, die der modernen technischen Zivilisation eine totalitäre Grundtendenz, einen „strukturellen Totalitarismus“, unterstellt. Aber diese Technikkritik hatte im vergangenen Jahrhundert allenfalls im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften – und im Bereich der Kunst – einen gewissen Einfluss gehabt. Sie hatte in den Kernbereichen von Staat und Wirtschaft noch keine Resonanz gefunden. Das ist jetzt, unter „grünem“ Vorzeichen, anders geworden. Und manche ältere Denkfigur dieser Kritik ist nun in einer Weise virulent geworden, wie man sich das vor wenigen Jahren noch kaum vorstellen konnte.

Deshalb macht es Sinn, auf eine Schrift zurückzukommen, in der die Vorstellungen und Denkwege schon angelegt sind, die in den heutigen Kampagnen gegen „die Industrie“ oder gegen „die Großkonzerne“ mobilisiert werden. Es geht um die Schrift „Dialektik der Aufklärung“ von Max Horkheimer und Theodor W.Adorno aus dem Jahr 1947.
Es ist ein Text, der Eckpunkte der neuzeitlichen Zivilisation und des bürgerlichen Weltverhältnisses als Gewalt und Zwang ansieht und prinzipiell verwirft: In der Aufklärung ist ganz wesentlich Unterdrückung enthalten, und die Logik der Unterdrückung setzt einen geschichtlichen Prozess in Gang, der in den Totalitarismus des 20. Jahrhunderts mündet. Die Autoren verwischen dabei den Unterschied zwischen Natur-Bearbeitung und Natur-Beherrschung. Sie können in der gegenständlichen Welt und der gegenständlichen Tätigkeit der Menschen nur noch Mechanismen der Bemächtigung erkennen. Damit wird auch der Unterschied zwischen Totalitarismus und Bürgerlicher Ordnung zum Verschwinden gebracht. Die Kritik der Autoren, im Exil in Los Angeles/USA geschrieben, trifft ihr Gastland ebenso wie die NS-Diktatur. Das folgende Zitat kann das verdeutlichen:

Die Schrift spricht von einer „Dialektik“, die aus Glücksgütern Unglückgütern werden lässt:   
„Unter den gegebenen Verhältnissen werden die Glücksgüter selbst zu Elementen des Unglücks. Wirkte ihre Masse, mangels des gesellschaftlichen Subjekts während der vergangenen Periode als sogenannte Überproduktion in Krisen der Binnenwirtschaft sich aus, so erzeugt sie heute, vermöge der Inthronisierung von Machtgruppen als jenes gesellschaftliche Subjekt, die internationale Drohung des Faschismus: Der Fortschritt schlägt in den Rückschritt um. Dass der hygienische Fabrikraum und alles, was dazu gehört, Volkswagen und Sportpalast, die Metaphysik stumpfsinnig liquidiert, wäre noch gleichgültig. Aber dass sie im gesellschaftlichen Ganzen selbst zur Metaphysik werden, zum ideologischen Vorhang, hinter dem sich das reale Unheil zusammenzieht, ist nicht gleichgültig…“
Volkswagen und Sportpalast? Der Sportpalast, ein Gebäudetyp mit großer Dachspannweite über einer Arena ist per se geeignet zur Versammlung großer Publika und keineswegs auf eine erhöhte Führungsfigur zentriert. Wer die Geschichte der Dortmunder Westfalenhalle kennt, kann über solch ahnungsloses Geraune nur den Kopf schütteln. Und was soll der Hinweis auf den „Volkswagen“ – als hätte es nicht in allen möglichen Ländern schon vorher den Beginn der großen Serienfertigung und Fließbandarbeit gegeben (so bei Ford in den USA und bei Citroen in Frankreich; das erste Fließband in Deutschland lief 1924 bei Opel in Rüsselsheim). Die Fließband-Fertigung, die immer wieder als Klischee des „Inhumanen“ benutzt wird, trug wesentlich dazu bei, dass die das Automobil auch von der Arbeiterschaft gekauft werden konnte. Aber auf den Wendeltreppen der Dialektik, wo die Begriffe ihre gegenständliche Bindung verloren haben, können sie in alles Mögliche „umschlagen“.

Und dann gibt es da jene Passage, die die Gedankenführung der „Dialektik der Aufklärung“ in gewisser Weise zusammenfasst:    
„Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur umso tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der europäischen Zivilisation verlaufen.
Hier sieht man, wie die Schrift von Horkheimer und Adorno schon jenen Generalvorwurf gegen die neuzeitliche Zivilisation erhebt, der heute zur Macht drängt. Natur, so wird behauptet, wird durch Zivilisation „gebrochen“. Und dann wiederum bricht Natur umgekehrt die Zivilisation. Beide Größen – Natur und europäische Zivilisation – erscheinen als jeweils bornierte und daher unvereinbare Größen, als unversöhnliche Feinde. Dies Arrangement, in das Horkheimer und Adorno die Menschen versetzen, ist ein völlig aussichtsloses Arrangement. Man sieht auch, wie hier das marxistische „Verelendungs-Motiv“ wiederkehrt. Nun geht es nicht um eine Verarmung der Arbeiterschaft „auf Leben und Tod“, sondern um eine tödliche Entleerung und Verhärtung der gesamten bürgerlichen Welt insgesamt. Und in unserer Gegenwart, mit der finalen „Klima-Krise“, soll diese bürgerliche Welt wirklich vor dem Untergang stehen. Das Menetekel der „kritischen Theorie“ soll sich erfüllen.     

Ein schwieriges Paar: Geist und moderne Zivilisation

Der Ausdruck „den Naturzwang zu brechen“ ist als Beschreibung von Industriearbeit völlig unzureichend und bar jeder konkreten Empirie. Es mobilisiert nur das Ressentiment gegen die große Industrie – jene Mischung von Hysterie und Hybris, wie sie in den Mittelschichten moderner Gesellschaften zu finden sind, die mit der gewerblichen Arbeitswelt und ihren Produktionsmitteln keinen Kontakt haben.  
Die Schrift von Horkheimer und Adorno zeigt, wo in der aktuellen Auseinandersetzung mit dem Klima-Syndrom das tiefere Problem liegt. Wir brauchen eine allgemeinere, höhere geistige Reflektion über die moderne Zivilisation. Eine Reflektion über die neue Welt- und Sachbezogenheit, die sie beinhaltet. Wo Geist und (technische) Zivilisation bisher weitgehend getrennte Wege gingen, und wo Geistesgeschichte und Technikgeschichte wenig voneinander erwarteten, muss eine Verbindung hergestellt werden. Nur so wird eine Verteidigung der modernen Zivilisation gelingen. Nur so kann dem Ressentiment, das Natur und Zivilisation feindlich gegenüberstellt, etwas Stärkeres, Komplexeres entgegengestellt werden.

Wo finden sich Anknüpfungspunkte für diese Aufgabe? Ich will hier zumindest einen benennen: Es gibt eine interessante Denkfigur in G.W.F.Hegels „Phänomenologie des Geistes“ (1807) – einer Schrift, die man durchaus als frühes Dokument des industriellen 19. Jahrhunderts lesen kann. Das gilt zumindest für Passage über „Herr und Knecht“. Aber bei Hegel werden nicht zu einem Herr-Knecht-Verhältnis zusammengeschlossen, sondern stehen für zwei Verhältnisse, aus denen zwei ebenso verschiedene geistige Entwicklungsstränge hervorgehen. Die Auseinandersetzung, die der „Herr“ führt, ist eine Auseinandersetzung mit seinesgleichen, ein „Kampf auf Leben und Tod“ Herr gegen Herr. Es ist ein heroischer Kampf, aber auch ein kurzer Kampf, der nicht über das Binnenverhältnis Herr gegen Herr hinausgeht. Der Knecht – nach Hegels Denkfigur – bringt nicht den Mut zu diesem Kampf auf und ist deshalb auf die “niedere“ Auseinandersetzung mit den Dingen verwiesen, auf die gegenständliche Arbeit. Aber dies Verhältnis zur Welt erweist sich als größer, reichhaltiger, weiterführender als das Binnenverhältnis des Herren. Das niedere Verhältnis ist das höhere, weiterführende Verhältnis.
Dass Hegel hier dem Knecht eine weiterführende Rolle in der Geschichte des Geistes einräumt, ist bemerkenswert und zeigt, wie hier schon eine Vorahnung der industriellen Welterweiterung des 19. Jahrhunderts im Spiel ist. Der „Knecht“ – diese Figur passt auf die industriell-produktiven Klassen (Bürgertum und Arbeiterschaft) des Jahrhunderts von Kohle und Stahl. Mit ihnen hat sich die Gegenständlichkeit der Welt in einem Maße entfaltet wie in keinem Jahrhundert zuvor. Man darf diese Denkfigur also nicht auf den Gegensatz zwischen arm und reich, zwischen Besitzenden und Besitzlosen verkürzen. Der „Knecht“ ist bei Hegel nicht nur der Proletarier, sondern auch der Bürger. Er steht für das bürgerliche Weltverhältnis. Hingegen steht der „Herr“ für das aristokratische Weltverhältnis, das die Mühen, die „Entfremdung“ und „Verdinglichung“ der Auseinandersetzung mit der gegenständlichen Welt (der Arbeit im weiten Sinn) nicht kennt.  
Hegel beschreibt also den geschichtlichen Aufstieg des bürgerlichen Geistes gegenüber dem aristokratischen Geist. Er begreift die starke Bindung an eine gegenständlich-technische Zivilisation, an eine „neue Sachlichkeit“ (die auch für die Arbeiterschaft gilt) in einem umfassenderen, tieferen Sinn.
Hegels „Phänomenologie des Geistes“ ist, zumindest in dem Herr-Knecht-Kapitel, eine Verbindung zwischen Geistesgeschichte und Zivilisationsgeschichte, die einen positiven Begriff der Industrie enthält. Ich habe den Eindruck, dass sie noch nicht ausgeschöpft ist, sondern zwischen marxistischem Klassenkampf-Kurzschluss und industriefeindlicher Kulturkritik in Vergessenheit geriet.       

Diese Hegelsche Denkfigur markiert indirekt auch schon eine mögliche gesellschaftliche Bruchstelle des bürgerlichen Weltverhältnisses – eine spätere Bruchstelle, bei der es nicht mehr um die Aristokratie geht. Wenn nämlich in einer Gesellschaft neue Schichten auftauchen und dominant werden, die dem Außenbezug zur gegenständlichen Welt enthoben sind, dann kann es zu neuen Verkürzungen und Zerstörungen der erreichten zivilisatorischen Weltöffnung kommen. Die Logik des „Herren“ kehrt also in neuer Form zurück, und die Errungenschaften des „Knechts“ sind in Gefahr. Und solche Schichten sind in unserer Gegenwart tatsächlich in beträchtlichem Umfang vorhanden – insbesondere durch das Wachstum des tertiären Sektors in wohlhabenden Gesellschaften.
So könnte man den erstaunlichen Einbruch verstehen, den die moderne Zivilisation in unseren Tagen durch das Klima-Syndrom erfährt: Wir leben seit längerem in einer Zeit, in der die industriellen Klassen eine Minderheit darstellen und die Gesellschaft ein wahres Treibhaus für alle möglichen sozialen Dienstleistungen ist, die mit der Produktionssphäre der Dinge überhaupt keinen Kontakt mehr haben. Der welterweiternde „Knecht“ im Hegelschen Sinn ist – zumindest quantitativ – in seiner Stellung und in seinem gesellschaftlichen Einfluss gesunken. Das muss nicht zwangsläufig zu der Klima-Hysterie und -Hybris führen, aber es ist eine Bedingung der Möglichkeit einer solchen Hysterie. Und tatsächlich rekrutieren sich die sozialen Träger und Aktivisten des Klima-Syndroms nicht aus der Erfahrung produktiver Arbeit, sondern kennen die Produktionssphäre nur vom Hörensagen.

Diese Bruchstelle und Aufgabe lässt sich auch an einer Begriffsverschiebung zeigen, die insbesondere für die jüngere deutsche Geschichte wichtig ist: Die Umdeutung und Umwertung des Begriffs des „Zivilen“. Ursprünglich bedeutet das Zivile ja das Bürgerliche (Civis ist die Wurzel, die auch dem „Citoyen“ zugrunde liegt). Doch in der Bundesrepublik hat dieser Begriff eine anti-wirtschaftliche und eine anti-staatliche Färbung erhalten. Er hat sich von der sachlich-technischen Zivilisation ebenso entfernt, wie von der staatlich-institutionellen Bindung. In dieser Sach- und Institutionenferne ist in Deutschland der Begriff „Zivilgesellschaft“ dominant geworden, der das gesellschaftliche Miteinander zur Mitte des Landes macht – die zwangfreie Gesprächssituation beim „kommunikativen Handeln“ im Sinne von Jürgen Habermas ist für dies Weltbild ein deutliches Beispiel). Träger der Zivilgesellschaft ist jene urbane, mit Bildungsdiplomen ausgestatte, gehobene Mittelschicht, die heute den Resonanzkörper der verschiedenen Wende-Projekte ist.  

V. Die Aktualität des Konservativismus und seine neuen Aufgaben

So hat die Geschichte uns in eine merkwürdige Situation und vor eine merkwürdige Aufgabe gestellt. Denn ohne Zweifel in das Vorzeichen dieser Zeit eine neue, umfassendere Auseinandersetzung zwischen einer destruktiven Progressivität und einem konstruktiven Konservativismus. Im Namen eines immer vageren Fortschritts und einer immer leereren Zukunft, bestehen die „Aufbrüche“ des Fortschritts immer mehr in einem Demontage-Programm. Mit der Forderung nach einer „Klima-Neutralität“, die als eine CO2-Neutralität definiert ist und im Jahr 2050 zum Ende der fossilen Ära führen soll, wird eine tragende Säule  der heutigen Zivilisation angegriffen. Die angebotenen Alternativen sind, wenn sie denn überhaupt etwas verbessern, nicht hinreichend produktiv und massentauglich – damit wird die gesamte neue Zivilisation eine Zivilisation für Minderheiten, eine Zivilisation der Privilegierten und damit wird auch die bisherige institutionelle, freiheitlich-demokratische Grundlage zerstört. Die Verächtlichmachung des „Populismus“ bereitet die Ent-Demokratisierung als zukünftigen Dauerzustand schon vor.
In dieser Situation sind die vorrangigen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufgaben erhaltende, bewahrende, rehabilitierende – mit einem Wort: konservative – Aufgaben. Dies ist die Stunde des Konservativismus.

Aber dem Konservativismus wachsen in der Gegenwart auch neue Aufgaben zu. Er muss nicht nur irgendeine ferne Vergangenheit verteidigen, sondern auch und gerade die Kontinuität der Neuzeit sichern. Er muss die Errungenschaften von mehreren Generationen der deutschen Wirtschaft – Unternehmer und Arbeiterschaft – verteidigen. Auch die demokratischen, rechtsstaatlichen Errungenschaften und die Freiheiten des privaten und öffentlichen Lebens, die in der Ära der Bundesrepublik eine neue historische Höhe erreicht haben. Mit Recht verweisen Konservative in Deutschland heute darauf hin, dass sie vielfach die Positionen vertreten, die die einstigen Gründungs- und Volksparteien der Bundesrepublik, CDU/CSU und SPD, geräumt haben. Das Argument kann man auch auf die materiell-zivilisatorischen Grundlagen ausdehnen, zum Beispiel auf das Automobil und die damit verbundene Entfaltung des Verkehrs- und Siedlungssystems.

Ist der Konservativismus dazu bereit? Ist er auf diese Aufgabe vorbereitet – auch vorbereitet im geistigen Sinn? In er bereit, die besonderen Errungenschaften und das besondere Niveau der Neuzeit in sein Denken und seine Begrifflichkeit aufzunehmen? Ist er bereit, die Umbildungen, die die Religionen, die Nationen, die Staaten, die Märkte, die Wissenschaft, die Künste in den fünf Jahrhunderten der Neuzeit zu verteidigen? Ist er bereit, „die Moderne“ (nicht zu verwechseln mit der vordergründigen „Bauhaus-Moderne“) zu verteidigen? Kann er daraus eventuell eine geschichtliche Idee der „bewahrenden“ und „aufhebenden“ Entwicklung (einer langsamen Geschichte also – siehe Burke, siehe Annales-Schule) bilden? Und eine „neue Sachlichkeit“, die wirklich der immens gewachsenen Sachwelt gerecht wird.  

Ohne diese Weiterentwicklung würde der Konservativismus in der jetzigen Situation gar keine Kraft entwickeln können. Er würde in der Auseinandersetzung mit den destruktiven Kräften keine wirkliche Trennschärfe entwickeln und keine klare Verteidigungslinie ziehen können. Er würde bei einem recht zahnlosen „Wertekonservativismus“ stehenbleiben. So würden alle harten, ordnungspolitischen und damit „strukturkonservativen“ Aufgaben liegen bleiben. Der Sonderbegriff „Wertekonservativismus“ wurde ja vor einigen Jahrzehnte in Deutschland als eine Art Ersatzangebot in Umlauf gesetzt, um der bereits laufenden Aufweichung unserer wirtschaftlichen und staatlichen Ordnung freie Bahn zu verschaffen – besonders sichtbar zunächst im Bildungswesen.     

Heute würde ein solcher Wertekonservativismus nicht nur dringende politische Aufgaben verfehlen, sondern er würde sich auch dem Volk entfremden – den Menschen, die jetzt unmittelbar in ihrem Alltag ihre Existenz und auch ihre Lebensfreude verteidigen müssen.  

(Text vom 4.11.2019, unveröffentlicht)