Gedanken, Anmerkungen, Beobachtungen

Mein Monat – Januar 2020

5. Februar 2020

Diese erste Ausgabe von „Mein Monat“ im Jahr 2020 enthält vier Kapitel. Das erste handelt von einer Wende der Agrarpolitik in Deutschland und Europa, die weit über einzelne Verordnungen (wie der Düngemittel-Verordnung) hinausgeht, aber weitgehend hinter dem Rücken der Öffentlichkeit im Rahmen der EU ausgehandelt wird. Das zweite Kapitel enthält Beobachtungen zum Verhältnis von Stadt und Land, das sich im Laufe der Jahrzehnte fundamental verschoben hat und nun den Selbstbehauptungswillen des Landes geweckt hat – man denke an die „Gelbwesten“ in Frankreich, an die aktuelle Bauernbewegung in Deutschland, und auch an die Stadt-Land-Brüche in der politischen Landschaft zahlreicher Länder. Auf einmal erweist sich die Annahme, dass die ganze Welt „durchurbanisiert“ würde, als Mythos allzu selbstgewisser Großstadt-Milieus. Das dritte Kapitel enthält kritische Nachfragen zu der verbreiteten Auffassung, dass Agrarsubventionen schlecht ausgegebenes Geld ist, während man bei Ausgaben, die das Stadtleben fördern, eine solche Auffassung selten trifft. Das vierte Kapitel setzt sich mit einer politisch-philosophischen Denkfigur auseinander, die bei den verschiedenen „Wenden“ (Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende) Pate steht und nun zu der Vorstellung geführt hat, wir lebten in einer Epoche der „großen Transformation“. Es ist die Denkfigur, die nur etwas absolut „Altes“ und etwas absolut „Neues“, und deshalb das Alte zerstört, um Platz zu schaffen für ein Neues, das sich in der Sache noch gar nicht bewähren musste. Die Logik dieser Denkfigur ist verheerend, weil sie alle längeren Entwicklungslinien kappt und längere historische Rhythmen nicht mehr zulässt. Das wird nun erneut in der Agrarpolitik und überhaupt in der Herabsetzung der ländlichen Lebensform deutlich. Man muss endlich diese dauernde „Zerstörungsrede“ beim Namen nennen, denn sie ist in unserer Zeit ein viel größeres Problem als die viel beschworene „Hassrede“.

I. Die heimliche Machtergreifung der „Agrarwende“

Die Traktoren rollen. Es vergeht gegenwärtig keine Woche, in der es nicht an mehreren Orten in Deutschland zu Bauern-Demonstrationen kommt. Im Vordergrund stand zunächst eine verschärfte Düngemittelverordnung, die die Stoffkreisläufe auf vielen landwirtschaftlichen Betrieben einschränkt und damit massiv in die gesamte Hofwirtschaft eingreift. Diese Verordnung gilt flächendeckend, obwohl die Nitratbelastung des Grundwassers, mit der sie begründet wird, nur an sehr wenigen Orten kritische Werte erreicht. Aus dieser Verordnung spricht eine fundamentale Ignoranz und Rücksichtlosigkeit gegenüber den Verhältnissen auf dem Land. Sie ist ein Akt arroganter Fernsteuerung, und die Bauern spüren, dass hier ein ideologisches Prinzip am Werk ist, bei dem die Notwendigkeiten bei der Herstellung von bezahlbaren Nahrungsmitteln gar nicht vorkommen. Die Grenzwerte stehen fest – sollen die Bauern doch sehen, wie sie damit klarkommen. Die Kanzlerin hat eiskalt erklärt, dass kein Deut an der Düngemittelverordnung geändert wird. Zugleich wurde eine Maßnahme beschlossen, die bemüht aussehen soll und die doch nur wieder zeigt, wie wenig sie sich die Regierenden auf die Lebensrealität einlassen wollen: Sie hat einfach mal eben einen Geldtopf mit 1 Milliarde Euro hingestellt. Da dürfen die Bauern einen Antrag stellen und bekommen eventuell ein bisschen Geld (wenn sie alles fein richtig geschrieben und begründet haben) – und sind dann doch auf Dauer den verschärften Grenzwerten unterworfen. Hier wird nichts erleichtert, sondern eher in Zukunft noch weiter verschärft. Das Umweltprinzip ist bekanntlich grenzenlos.

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Der Angriff auf das Fördersystem für die Landwirtschaft – Aber es geht in diesem Jahr 2020 um viel, viel mehr. Ein viel weitergehender Eingriff in die Landwirtschaft ist schon in Arbeit: Das gesamte Fördersystem der Landwirtschaft soll fundamental geändert werden. Bisher wird der Hauptteil der Fördergelder (in der gesamten EU) nach dem Flächenprinzip verteilt, das heißt, dass nicht eine bestimmte Form des Landbaus bevorzugt wird, sondern jeder Hof nach seiner bewirtschafteten Fläche Geld erhält. Demnächst soll dies Flächenprinzip zu Gunsten einer einseitigen Förderung des sogenannten „ökologischen“ Landbaus aufgegeben werden. Und das soll in diesem Jahr 2020 beschlossen werden, im Rahmen der EU-Haushalts-Festlegungen für die Periode 2021 bis 2027. Ein Kommentar von Hendrik Kafsack im Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der eigentlich dem „Green Deal“ der EU-Kommission gewidmet ist, teilt das quasi im Nebensatz mit:
„Das Europaparlament mag fest an ihrer Seite (gemeint ist Frau von der Leyen, GH) stehen und kann gar nicht genug Geld für den Klimaschutz fordern. Die Mitgliedsstaaten allerdings tun sich in den Verhandlungen über den nächsten mehrjährigen EU-Haushalt 2021 bis 2027 schon schwer damit, die von Juncker vorgeschlagene Aufstockung des Klimaschutzbudgets mitzutragen – weil das zwangsläufig auf Kosten der traditionellen Mittel für die Landwirte und die Regionalförderung geht.“
Da steht es: Die „traditionellen Mittel für die Landwirte und die Regionalförderung“ sind nun das Angriffsziel. Mit der „Klimarettung“ hat die Politik aus dem harmlos klingenden „Umweltschutz“ einen gigantischen Hebel gemacht, der nun zu einem Systembruch im gesamten EU-Haushalt genutzt werden soll. Denn die Agrar- und Regionalpolitik stellt den Hauptteil dieses Haushalts dar. Wird dieser Bereich unter einen „ökologischen“ Primat gestellt, bedeutet das einen Systemwechsel der EU – ihr Haushalt dient nicht mehr der Sicherung und Weiterentwicklung der Wertschöpfung, sondern zwingt dazu, diese Wertschöpfung zu begrenzen. Man muss ja überhaupt ein großes Fragezeichen machen, ob die Zuständigkeit europäischer Institutionen für die Landwirtschaftspolitik und die Regionalpolitik wirklich sinnvoll ist – angesichts der großen Unterschiede zwischen den ländlichen Regionen. Auf jeden Fall wird diese Europäisierung jetzt zu einer verheerenden Falle, wenn die bisherige Breite der Förderung (das Flächen-Kriterium) auf den Öko-Gesichtspunkt verengt wird. Wenn die sogenannte „Agrarwende“ über den EU-Hebel die Macht ergreift. 

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Deutschlands verdeckte Schlüsselrolle – Genau dies Szenario zeichnet sich für 2020 ab, und Deutschland, das in der zweiten Jahreshälfte den EU-Vorsitz hat, hat dabei eine Schlüsselrolle. Der FAZ-Journalist schreibt:
„Entscheidend ist nun, wie und ob von der Leyen die Mitgliedsstaaten dazu bewegen kann, das Geld der EU für die richtigen Dinge auszugeben…Das erfordert politische Führungskraft. Immerhin darf sie dabei auf Schützenhilfe aus Berlin hoffen, wenn die Verhandlungen über den Haushalt 2021 bis 2027 unter deutscher Ratspräsidentschaft in die Endphase gehen.“
Es zeichnet sich also ein Zusammenspiel ab zwischen einer deutschen ideologisierten Politik und den Machtinteressen der EU-Institutionen gegenüber den Mitgliedstaaten. Umgekehrt könnten verschiedene Mitgliedsstaaten jetzt, im Bündnis mit den ländlichen Regionen und ihren Bauern, eine sehr harte und widerstandsfähige Gegenmacht bilden. Das Szenario mit einem ideologisierten Deutschland in der Schlüsselrolle erinnert ja an die Migrationskrise. Und jetzt geht es erst recht ans Eingemachte. Hier könnte sich das hochtrabende „europäische Projekt“ eine Fronde einfangen, die quer durch alle seine Territorialstaaten geht. Dann würde sich auch zeigen, welche Bedeutung die ländlichen Räume für den Zusammenhalt dieser Staaten, ihrer Gesellschaften und ihrer Volkswirtschaften haben. 

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Die Suggestivformel „überholte Agrarpolitik“ – Dem aufmerksamen Leser ist sicher aufgefallen, dass der Kommentator der FAZ den Großangriff auf die Landwirtschaft und den ländlichen Raum gutheißt. Er begründet das nicht näher, sondern benutzt Suggestiv-Worte. So streut Kafsack das Wort „traditionell“ ein, um die gegenwärtig gültigen Mittel der Agrarförderung irgendwie alt aussehen zu lassen. Warum sie veraltet sind und welche besseren „neuen“ Mittel in Aussicht stehen, wird dem Leser nicht mal ansatzweise mitgeteilt. In einem Kommentar in der FAZ vom 18.10.2019 (vom gleichen Autor) wird das Suggestiv-Schema “neu gegen alt“ noch deutlicher. Unter der Überschrift „Teure EU“ schreibt er, ein kritischer Blick auf den EU-Haushalt zeige, „…dass für die `modernen Aufgaben´ wohlwollend gerechnet bloß ein Drittel des Budgets vorgesehen ist. Der Rest fließt in `alte Aufgaben´ wie die überholte Agrarpolitik. Hier allein ließen sich Milliarden einsparen…Das aber erfordert den Mut, sich mit der Bauernlobby anzulegen.“
Der Autor erweckt den Eindruck, dass die EU teuer ist, weil sogenannte „alte Aufgaben“ ihren Haushalt in Beschlag nehmen und man dann kein Geld für sogenannte „Zukunftsaufgaben“ hat. Als zukunftsträchtig zählt Kafsack Fördergelder, die „dem Klimawandel, der Migration und der Digitalisierung“ gewidmet sind. Unter „alt“ führt er inbesondere „die überholte Agrarpolitik“ an, hier „ließen sich Milliarden sparen“, aber man müsste sich „mit der Bauernlobby“ anlegen. Damit stellt sich Kafsack nicht nur auf die Seite derer, die die gesamte Landwirtschaft unter ökologische Auflagen stellen wollen, sondern er behauptet indirekt, dass diese dann nicht so teuer ist wie die herkömmliche Landwirtschaft – sowohl für den Steuerzahler als auch für die Volkswirtschaft.

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Die fundamentale Täuschung der „Agrarwende“ – Das ist fürwahr eine irre und auch erstaunliche Idee. Denn eigentlich ist unbestritten, dass ökologische Nahrungsmittel in der Herstellung aufwendiger und daher teurer sind. Wenn heute Landwirte sich darüber Sorgen machen, dass sie wachsende Kosten haben und oft nicht mal die notwendigen Arbeitskräfte  finden, dann ist es völlig abwegig, dass dieser Problemdruck bei einer ökologisierten Landwirtschaft geringer würde. Ganz im Gegenteil: Er würde viel höher. Die Arbeit der Bauern würde noch schwerer als sie eh schon ist. Sie würde personalintensiver und der Bodenbedarf würde höher. Damit würden auch die Chancen der Landwirte, für ihre Produkte einen kostendeckenden Absatz zu finden, nicht steigen, sondern sinken.
Deshalb ist die jetzige Bauernbewegung so bewusst und entschieden gegen alle Neigungen, unter der Überschrift „Umweltschutz“ die produktive Grundaufgabe der Landwirtschaft für zweitrangig zu erklären und immer weiter zu belasten.

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Wenn Grüne rechnen – Die „Ökonomie“ der ökologisierten Landwirtschaft beruht darauf, dass man das Problem umdefiniert: Man misst nicht die Qualität und die Herstellungskosten von Lebensmitteln, sondern man führt eine zusätzliche, viel größere und im Prinzip unendliche Größe ein: Die Erhaltung der natürlichen Umwelt, der gesamten Flora und Fauna, des Klimas, des Planeten. Da jede Gewinnung von Lebensmittel Eingriffe und Veränderungen in der Natur bedeuten, kann man so astronomische Kosten der Landwirtschaft errechnen. Sie sind dann so hoch, dass es billiger wäre, gar keine Landwirtschaft zu betreiben und den Tag mit Nichtstun zu verbringen.
Das liegt daran, dass diese Ökonomie mit einer Negativ-Operation startet: Mit einer immer weiter reichenden Kosten-Kette, die gar nicht das gegebene Arbeitsvermögen berücksichtigt. Diese Ökonomie steht in keinem Verhältnis zur Wertschöpfung, sondern ist nur eine Negativ-Ökonomie. Das wird in dem Moment schlagartig deutlich, wo man tatsächlich darangeht, im Zeichen der schönen neuen Öko-Welt die Betriebe der herkömmlichen Landwirtschaft stillzulegen. Dann fehlen auf einmal all die relativ preiswerten Produkte, die diese Landwirtschaft hergestellt hat. Das führt zu einer massiven Teuerungswelle und auch zu einer absoluten Nahrungsmittel-Knappheit – da die zusätzlichen Arbeitskräfte und Flächen, die dann gebraucht würden, gar nicht zur Verfügung stehen. Diese Ernährungskrise trifft die Haushalte als Verbraucher, aber sie schlägt auch in einer Kettenreaktion auf die anderen Sektoren der Volkswirtschaft durch.
Die Leute, die mit den Realitäten auf dem Land zu tun haben, darunter oft auch gestandene Bio-Bauern, sind daher recht zögerlich, wenn sie sich eine allgemeine „Agrarwende“ an ihren Orten vorstellen sollen. Der große Zivilisationsbruch auf dem Lande ist ein Projekt, das in den Großstädten blüht (und dort in bestimmten gehobenen, besserverdienenden, akademisch-produktionsfernen Milieus).

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Doppeltes Spiel – Am 18./19.Januar erschien in der „Berliner Zeitung“ ein Interview mit dem Grünen-Chef Habeck. Er gab sich mitfühlend und sagte „Die Bauern fühlen sich allein gelassen“ (diesen Satz setzte die Redaktion über das ganze Interview). Aber dann, eher beiläufig, fiel folgender Satz: „Der entscheidende Hebel ist eine Reform der EU-Steuermilliarden, die in die Landwirtschaftspolitik fließen. Sie müssen Tierwohl, Umwelt, Klima dienen.“ Da ist er, der große Hebel zur Vernichtung von Hunderttausenden Bauernexistenzen in Europa. Der Vorsitzende der deutschen Grünen will hinterrücks, über den EU-Hebel, Fördergelder in Höhe von 60 Milliarden Euro für „Tierwohl, Umwelt, Klima“ umwidmen. Das bedeutet praktisch: Er will sie der aktiven Bewirtschaftung des Landes entziehen. Er will diese Milliarden den Bauern, für die er gerade noch Mitgefühl simuliert hatte, stehlen. Und das Programm ist schon in Arbeit, als Chefsache bei der Kanzlerin. 

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Klartext zum Schluss – „Wir machen euch satt!“ lautet ein Ruf der neuen Bauernbewegung in Deutschland. Damit trifft sie genau den richtigen Punkt: Es geht um die Produktion der Nahrungsmittel. Das ist Grundaufgabe und Sinn der Landwirtschaft, das darf nie zu Gunsten anderer Ziele zweitrangig werden. Darauf gründet sich auch zu Recht der Produzenten-Stolz der Bauern. Ihre Widerstandsbewegung ist deshalb so wertvoll, weil sie aus der professionellen Erfahrung eines ganzen Berufstandes kommt; weil sie keine Macht-ohne-Land ist, sondern die Überlebensinteressen des ländlichen Raums vertritt; und weil sie mitten in dem ganzen Umwelt-Klima-Taumel, der Deutschland befallen hat, eine bewundernswerte Klarheit gefunden hat. Hier dreimal Klartext – mitgeführt auf einer Demonstration am 17. Januar in Berlin, anlässlich der „Grünen Woche“:

 „Ist der Bauer ruiniert, wird dein Essen importiert.“
„Unser Hof hat Napoleon, Hitler und Stalin überlebt. Er wird auch die Grünen überleben.“
„Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Doch sie wissen alles besser.“

II. Geschichten von Stadt und Land

Brandenburger Realitäten – Die „Berliner Zeitung“ vom 2.1. berichtete über ein Gespräch, das der brandenburgische Agrarminister Vogel von den „Grünen“ mit der Deutschen Presse Agentur geführt hat. Man erfährt, dass der Öko-Landbau alles andere als der große Trend ist: „Nachdem im Land zwischen 2012 und 2015 die Prämie ausgesetzt wurde, sei die Zahl der Öko-Betriebe und der ökologisch bewirtschafteten Flächen zurückgegangen.“ Man hat die wieder eingeführt und der Öko-Landbau erhält jährlich 29 Millionen Euro Sonderförderung von EU, Bund und Land (also gibt es schon längere Zeit nicht nur flächenbezogene Förderung). Aber das reicht offenbar nicht, um die Bauern zu überzeugen. Der Flächenanteil des Öko-Landbaus liegt derzeit in Brandenburg bei 12 Prozent, im Bundesgebiet bei 9 Prozent. Trotzdem hat die Bundesregierung einfach eine Quote von 20 Prozent als „strategisch festgeschrieben“, weshalb es in dem Artikel heißt: „Um die in der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes festgeschriebene Erhöhung auf 20 Prozent zu erreichen, muss auch Brandenburg zulegen.“ Doch zwischen den Zeilen kann man aus dem Zeitungsartikel herauslesen, dass die Fakten offenbar nicht bereits sind, der „Strategie“ oder dem  „grünen Minister“ zu folgen: „Da im Ökolandbau der Ertrag zumeist geringer ausfalle und die Umstellung finanziell zehrend ist, seien Anreize zur Umstellung und eine Honorierung der erbrachten gesellschaftlichen Leistungen wichtig“ hat der Minister gesagt. Ebenfalls fiel das Wort „sichere Absatzmärkte“, was zu gut deutsch besagt, dass die Leute die teureren Öko-Produkte auch dauerhaft kaufen müssen, was offenbar keineswegs sicher ist. Die verbreitete Formel von den „gesellschaftlichen Leistungen“ des Öko-Landbaus ist ja eine völlige Leerformel, wenn die tatsächliche Gesellschaft die Ökoprodukte für sich gar nicht als besondere Leistung ansieht und abnimmt. Auch an der Stelle, wo vom Gemüseanbau die Rede ist, kann man die Mühen der Ebene zwischen den Zeilen herauslesen. Den Gemüsebauern, so hat der Minister gesagt, falle die Umstellung besonders schwer, „da sie traditionell einen hohen Bedarf an Arbeitskräften haben, die erst einmal zur Verfügung stehen müssen.“ Mit anderen Worten: Auch die traditionelle „alte“ Landwirtschaft hat schon ein massives Arbeitskräfteproblem (und bedarf der Unterstützung). Der ökologische Gemüseanbau braucht pro Hektar noch mehr Arbeitskräfte – eine ökologische Flächenumstellung kann sich daher als eine echte Bauernfalle herausstellen.
So hat der Minister der DPA auch gesagt, dass es „letztlich eine individuelle Entscheidung der Landwirte sei, wie sie ihren Betrieb führen möchten“. Die Landesregierung setze darauf, „sowohl die konventionelle als auch die ökologische Landwirtschaft beim Umbau zu einer naturverträglicheren Landwirtschaft zu unterstützen.“ Das hört sich auf einmal alles butterweich und konziliant an. Die Landwirte sollen selber entscheiden. Gut so. Aber wenn man schon so offen ist, warum streicht man dann nicht die Öko-Ziel-Quote von 20 Prozent?     

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Doppelexistenz – Es ist zu vermuten, dass der grüne Agrarminister eine Art Doppelexistenz führt. Natürlich wird er auf grünen Parteitagen eifrig für die Agrarwende reden und es tunlichst vermeiden, sich mit dem grünen Milieu anzulegen. Aber wenn er dann mal in Brandenburg über Land fährt, hat er eine zweite Rede im Gepäck, mit der er versichert, dass er der erste ist, der sich gegen die Zerstörung der gewachsenen Landwirtschaft zur Wehr setzen wird…

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Im Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (21.1.2020) finden wir einen Artikel, der über eine Kampagne für veganische Produkte (unter dem schicken Label „Veganuary“) berichtet. Der Artikel ist eher ein Fall von Produkt-Marketing, aber an einer Stelle ist der Autorin eine interessante Zahl hineingeflutscht: „Im vergangenen Jahr wurden mehr als 1,22 Milliarden Euro mit veganen und vegetarischen Lebensmitteln in Deutschland umgesetzt. Das mag zunächst nach viel klingen, aber insgesamt sind nur etwas über ein Prozent aller Lebensmittel im Handel vegan oder vegetarisch.“ Ein einziges Prozent also – das ist für ein Ernährungsmodell, dass unsere Zukunft repräsentieren soll, ein bisschen dürftig. 

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Die „Grüne Woche“ als Spiegel – Die „Grüne Woche“ findet alljährlich auf dem Berliner Messegelände statt. Sie ist die größte Messe für Landwirtschaft und Ernährung in Deutschland, nicht nur als Fachmesse sondern auch als Publikumsmesse. Ihre Geschichte spiegelt die Entwicklungen, die das Verhältnis zwischen Bauern und Verbrauchern durchmacht. Sie ist damit auch ein Spiegel des Verhältnisses von Stadt und Land in Deutschland. Zu Beginn standen die Bauern, ihre Nutztiere und Landmaschinen im Vordergrund und die präsentierten Produkte waren elementar. Sie wurden nicht besonders in Szene gesetzt. Die Grüne Woche war alles andere als eine Gourmet-Schau. Dann verschoben sich die Gewichte mehr und mehr auf die Seite der Konsumenten. Die Bauern und ihre Arbeitsmittel waren noch da, aber der Verbrauch und Genuss der Nahrungsmittel nahm einen immer breiteren Raum ein. Dazu gehörte auch eine zunehmende Zahl von Ständen mit ausländischen Produkten. Die (städtische) Konsumsphäre verselbständigte sich gegenüber der (ländlichen) Produktionssphäre. Und in diesem neuen Rahmen fand auch die ökologische Landwirtschaft Eingang in die „Grüne Woche“.
Genauer betrachtet, kam es zu einer merkwürdigen Spaltung zwischen medialer Wahrnehmung und sozialer Wirklichkeit: Während in den Medienberichten die Öko-Landwirtschaft mit Bio- und Vegan-Produkten sich mehr und mehr in den Vordergrund schob, entsprach die Mehrzahl der Messe-Besucher nach wie vor dem Mehrheitsverhalten der Verbraucher – man genoss und genießt nach wie vor Fleisch, erfreut sich an Süßspeisen und alkoholischen Getränken, bestaunt gewaltige Rinder und Traktoren. Natürlich gibt es inzwischen kaum einen Messebesucher, der nicht auch Bio- und Veggie-Produkte probiert hat. Aber das ist offenbar nicht so überzeugend, dass es eine große Transformation der Ernährungsgewohnheiten ausgelöst hätte. So zeigt die Geschichte der Grünen Woche einen erheblichen Wandel, aber auch eine starke Kontinuität. Sie ist weit von einer „Agrarwende“ entfernt.                   

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Landwirtschaftsminister – Zur Geschichte der „Grünen Woche“ gehören auch die Auftritte (und Rundgänge) der zuständigen Minister. Sie sind in ihrem Habitus auch ein Spiegel des jeweiligen Verhältnisses von Stadt und Land. Es gab Zeiten, in denen die Landwirtschaftsminister deutlich den Standpunkt der Produzenten repräsentierten – sie kamen aus der Landwirtschaft und hatten teilweise eigene Betriebe. Das war ganz unabhängig vom Parteibuch: Man denke an Josef Ertl (FDP), von 1969-1983 im Amt; oder an seinen Nachfolger Ignaz Kiechle (CSU), 1983 bis 1993 im Amt. Oder auch an Heinz Funke (SPD) der es noch eine landwirtschaftliche Errungenschaft nannte, „dass sich auch Minderbemittelte ein Schnitzel leisten können“ (wie aus einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 9.2.2011 hervorgeht).

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Eine merkwürdige Ministerin (I) – Und nun haben wir also Julia Klöckner (CDU). Als anlässlich der diesjährigen „Grünen Woche“ am 18.Januar eine Demonstration von Umweltschützern und Biobauern stattfand, hielt auch die Frau Klöckner eine Ansprache. Sie hütete sich zwar davor, offen gegen die herkömmliche Landwirtschaft zu reden, aber sie bescheinigte den Demonstranten, dass ihre Umwelt-Besorgnis die Zukunft der Landwirtschaft repräsentiere und dies auch die Richtung der Bundesregierung sei. Es gibt auch hübsches Zitat, das zeigt, was diese Agrarministerin „neuen Typs“ über das gemeine Volk denkt:
„Für ein ordentliches Motorenöl zahlen Autofahrer bereitwillig 40 Euro pro Liter, beim Salatöl sind zwei Euro schon zu viel.“ (zitiert aus der „Berliner Zeitung“ vom 13.1.2020)

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Eine merkwürdige Ministerin (II) – Am 28.11.2018, zwei Tage nach der großen Bauern-Demonstration in Berlin, veröffentlichte die Landwirtschaftsministerin Klöckner einen Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Der Beitrag trägt einen kolossalen Titel: „Die Landwirtschaft der Zukunft“. Der Schlüsselsatz ist folgender:
„Meine Antworten speisen sich aus großer Hoffnung darauf, dass technische Entwicklungen Zielkonflikte lösen werden, dass Ernten gesichert werden können, aber auf umweltschonende Weise. Ich sehe großes Potential in der präziseren Düngung und Spritzung durch sensorgestützte Landtechnik, in der automatisierten Bedarfsanalyse durch Sensoren und Drohnen. Ich setze auch auf mehr Offenheit und Fortschritte in der Pflanzenzucht für klima- und schädlingsresistente Pflanzen durch Gen-Scheren wie Crispr-Cas und eine differenziertere, liberalere Handhabung der Zulassung durch den europäischen Gesetzgeber und die europäischen Gerichte.“
An anderer Stelle des Textes ist von Investitionen in die „digitale Präzisionslandschaft, in der ich die Zukunft sehe“ die Rede. Julia Klöckner stellt also alles Mögliche in eine Vitrine namens „Zukunft“. Sie setzt auf das Prinzip „Hoffnung“. Aber sie kann nichts vorweisen, was die Ertragsprobleme der Landwirtschaft lösen würde, wenn man die über lange Zeiträume entwickelten, konventionellen Anbaumethoden abbricht. Sie erwartet von den Bauern hohe Investitionen und große Anstrengungen in eine ganz neue Landwirtschaft, aber sie kann nichts vorweisen, dass die Rentabilität dieser Investitionen und Anstrengungen belegt.
Vor allem fällt auf, dass die Lösungen, die sie erwähnt, gar nicht die Probleme treffen, vor denen die Bauern jetzt stehen. Wieso kann „Präzision“ die Lücke füllen, die die erzwungene Reduzierung der Düngung in die Erträge reißt? Die Landwirtschaft bekommt hier ja kein Präzisionsproblem, sondern ein stoffliches Qualitätsproblem bei den Böden. Die EU-Verbote, die diese Ministerin auf keinen Fall zurücknehmen will, sind gerade nicht präzise, sondern pauschal. Das gilt auch für die Pestizide, denn das Glyphosat-Verbot ist ein generelles Verbot (das bisher nur auf einem vagen Anfangsverdacht und viel Medienwirbel beruht). Und die neuen gentechnischen Verfahren auf Molekularbasis, von denen sie spricht, sind gegenwärtig nicht verfügbar. Es stehen noch langjährige Erprobungen bevor, bevor Pflanzen auf neue Weise eventuell resistent gemacht werden können.
Wer die langsamen Rhythmen der Technikgeschichte (und ihre häufigen Rückschläge) kennt, kann über diesen Text, der die „die Zukunft der Landwirtschaft“ zu wissen vorgibt, ohne überhaupt Angaben über den Stand von Technik und Wissenschaft zu machen, nur den Kopf schütteln. Er ist ein Dokument jenes urbanen Besserwisser-Milieus, das sich nun offenbar anschickt, die Verhältnisse auf dem Lande auf den Kopf zu stellen.  

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Eine Wendestimmung, die aus höheren Sphären kommt – Die plötzliche Absolutheit und Eile, mit der die „Agrarwende“ nun durchgesetzt werden soll, ist eigentlich erstaunlich. Denn bis vor kurzem hatte es so ausgesehen, als würde der Bio-Hype an gewisse Grenzen stoßen In den Medien erschienen häufiger Beiträge, die sich gegen eine Konfrontation von herkömmlicher und ökologischer Landwirtschaft aussprachen. Die sogenannte „Agrarwende“, die von kleineren Kreisen schon recht lange propagiert worden war, hatte sich festgefahren. Die Flächenanteile des Öko-Landbaus stagnierten. Die praktischen Probleme vor Ort, buchstäblich die „Mühen der Ebene“, ernüchterten viele Biobauern; die Attraktivität der Bioprodukte (und die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher) zeigte Grenzen. Eigentlich schien alles auf eine Misch-Lösung hinauszulaufen, in der die herkömmliche Landwirtschaft und Ernährung als Mehrheitsform anerkannt wird und der Bio-Sektor als Sonderzweig auch respektiert wird.
Das änderte sich im Laufe des Jahres 2019. Und diese Änderung – das ist bedeutsam – geschah nicht, weil es auf einmal neue Entdeckungen und Durchbrüche auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus gegeben hätte. Auch wurden keine ganz neuen, bisher unentdeckten Gefahren bei der herkömmlichen Landwirtschaft entdeckt. Nein, der plötzliche Wendedruck wurde von einer viel abstrakteren, „höheren“ Sphäre erzeugt – vom Metathema der „Klimakrise“. Mit ihr wurden auf einmal die kleinen, einzelnen, praktischen Themen der Verbesserung der Erträge, des Umweltschutzes, der Essgewohnheiten beiseite gewischt von dem ultimativen Thema „Sein oder Nichtsein unseres Planeten“. Obwohl gar keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen der ein oder anderen Form der Landbewirtschaftung und der Klimakrise nachgewiesen wurde, glaubte man sich nun ermächtig, im Namen des Öko-Landbaus einen Generalangriff auf den herkömmlichen Landbau (und seine schrittweise Weiterentwicklung) zu führen.
Dabei hatte sich nichts an der Tatsache geändert, dass in diesem Jahrhundert die Ernährung einer Weltbevölkerung von 7,5 bis 10 Milliarden zu den Bedingungen der Bio-Landwirtschaft unmöglich ist. Und die noch gar nicht ausgeschöpften Möglichkeiten der CO2-Bindung machten eher eine Weiterentwicklung der konventionellen Landwirtschaft plausibel (siehe zum Beispiel der Beitrag von Christoph Becker in „Tumult“, Heft Herbst 2019). Aber das interessierte gar nicht. Dieser sachliche Zugang war überhaupt nicht das Bedürfnis und der Ehrgeiz der neuen Weltretter. Ihnen ging es darum, das Sagen in den (städtischen) Kanälen und Plattformen der Macht zu haben.
So erklärt es sich, dass die hitzigsten Verfechter der Agrarwende jetzt nicht die Bio-Bauern sind. Mehr denn je wird diese Wende heute von Leuten betrieben, die gar nicht auf dem Lande wohnen und arbeiten. Sie kennen die Landwirtschaft, wenn überhaupt, eher aus der Distanz als Umweltbeobachter, als „beratende“ Dienstleister, als pädagogische Volkserzieher oder als kontrollierende Bürokraten.     

III. Warum Agrar-Subventionen sinnvoll sein können

Die Eigenart von Agrar-Subventionen – Es ist üblich, über Subventionen die Nase zu rümpfen. Sie gelten als Zuwendung, die ohne Gegenleistung gewährt wird und nur zu einer bequemen Bereicherung derer führt, die Subventionen enthalten. Dies Negativ-Urteil trifft in besonderer Weise die Agrar-Subventionen, insbesondere die flächenbezogenen Förderungsgelder. Das liegt offenbar daran, dass diese Subventionen existenzsichernde Subventionen sind – Basis-Subventionen, konservative Subventionen. Sie sind nicht auf irgendeine „Innovation“ gerichtet, auf die Entdeckung eines Neulands. Die sogenannte „Innovationsförderung“ Unmengen von Geld verbrennen, ohne in Verruf zu geraten. Die neue EU-Kommissions-Vorsitzende von der Leyen verkauft ihren „Green Deal“ bekanntlich unter dem Markenzeichen „Das europäischen Mondfahrt-Programm“. Natürlich könnten wir bei Subventionen auch vom Mantra „Mehr Geld für die Bildung“ sprechen, das trotz notorischer Erfolglosigkeit immer weiterläuft. Es bleibt ja immer eine offenbar unausrottbare Resthoffnung, das da ganz neue Menschen mit ganz neuen Fähigkeiten entstehen. Demgegenüber haben die Agrarsubventionen schlechte Karten. Sie können ehrlicherweise nicht den Titel „Zukunftsinvestitionen“ (im Sinn von etwas ganz Neuen) beanspruchen. Ihre Logik ist eher eine erhaltende Logik, eine Sockellogik, eine konservative Logik. Sie haben damit aber durchaus eine wichtige Funktion, die über ein rein privates Interesse der geförderten landwirtschaftlichen Betriebe hinausgeht. Diese Subventionen sind Entlastungs-Investitionen. Sie entlasten zunächst die landwirtschaftlichen Betriebe von dem Zwang, im vollen Umfang ihre Bilanz über die Erzeugerpreise sicherstellen zu müssen. Das bedeutet in der Folge, dass die Erzeugerpreise für die Ernährung der Bevölkerung so stark steigen, und auch, dass sie nicht so stark in die gesamte Volkswirtschaft durchschlagen. Der Effekt der Agrarsubventionen endet also nicht in der Privatschatulle des Bauern.

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Der Preismechanismus hilft nicht überall – Man könnte natürlich im Sinne der Kostentransparenz („Kostenehrlichkeit“, „Kostengerechtigkeit“ sagen manche) kostendeckende, existenzsichernde Erzeugerpreise fordern. Aber meines Erachtens – aber ich bin mir da nicht vollkommen sicher – spricht einiges gegen den Weg, alle Schwierigkeiten und Mühen der Bewirtschaftung des Landes über Preise abzubilden und über Tauschbeziehungen am Markt zu organisieren. Die Frage ist ja hochaktuell: Man will die bisherigen Subventionen massiv kappen und verspricht den Bauern höhere Preise, die dann „irgendwie“ die großen Handelsketten oder halt die Endverbraucher zahlen sollen. Dass eine Preiswelle bei den Nahrungsmitteln die gesamte Branchenverteilung der Volkswirtschaft rückwärts drehen würde, verschweigt man.
Nehmen wir an, die Erzeugerpreise erhöhen sich stark. Kann der Handel diese Preiswelle auffangen und neutralisieren? Das ist sehr zweifelhaft. Es gibt tatsächlich sehr große Konzerne des Lebensmittel-Handels – aber das heißt nicht, dass die Spielräume bei ihnen gleichfalls groß sind. Denn es handelt sich nicht um Unternehmen in sicheren Positionen auf leicht beherrschbaren Märkten (was man im Volksmund „Gelddruckmaschinen“ nennt), sondern der Lebensmittelmarkt ist sehr wechselhaft mit komplexen Sortimenten, die ständig neu kalkuliert und komponiert werden müssen. Die alternativen Formen (Genossenschaften, Kleinhändler, Hofläden,..) sind nach aller Erfahrung nur für spezifische Funktionen günstiger, aber keine billigere Generallösung. Auch die Entwicklung der Verbraucherpreise in dieser Branche – im Vergleich mit anderen Branchen – scheint mir nicht dafür zu sprechen, dass hier so große Spielräume entstanden sind, wie sie zum Auffangen kostendeckender Erzeugerpreise notwendig wären. Wenn aber die Erzeugerpreise dort nicht aufgefangen werden können, müssten sie – wenn allein der Preismechanismus regiert – von den Endverbrauchern bezahlt werden. Das würde entweder zu Einbußen bei der Ernährung führen, oder zu Streichung bei anderen Konsumausgaben, oder zu Lohnerhöhungen.

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Ein historischer Rückschritt droht – Das hat Folgen für die gesamte Volkswirtschaft. Was für die Ernährung mehr ausgegeben werden muss, fehlt als Kaufkraft für andere Produkte. Die große Verschiebung, die den Anteil der Nahrungsmittel an den Gesamtausgaben eines Haushalts im Laufe der letzten 100-150 Jahre so sinken ließ, müsste teilweise rückgängig gemacht werden. Man denke an Bekleidung, Möbel, Fahrzeuge, Gesundheit, Bildung, Vereinsleben, Ausgehen, Sport, Reisen,… Die Vielfalt, zu der es die Entwicklung der modernen Zivilisation gebracht hat, müsste teilweise zurückgenommen werden. An dieser Stelle wird gerne das Argument vorgetragen, dass der technische Fortschritt die Lösung bringen wird. Aber daran sind Zweifel angebracht. Der Agrarsektor ist ein typischer Sektor langsamen Fortschritts, und das liegt nicht an den dort tätigen Menschen. Wir müssen insgesamt davon ausgehen, dass es in den modernen Volkswirtschaften Sektoren mit unterschiedlichen Entwicklungs-Geschwindigkeiten gibt.      

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Agrar-Subventionen als volkswirtschaftliche Entlastung – Vor diesem Hintergrund erscheinen die Agrar-Subventionen in einem neuen Licht: Kann es nicht volkswirtschaftlich, ordnungspolitisch und kulturell sinnvoll sein, im Sektor Landwirtschaft/Ernährung eine Basis-Subvention zu haben, die die drohende Preiswelle in Schach hält? Die Subvention verkleinert das relative Markt-Gewicht dieses Sektors und gibt damit anderen Branchen mehr Luft. Genau das beschreibt ja die gegenwärtige Situation: Wir haben seit langem einen relativ großen Topf an landwirtschaftlichen Basis-Subventionen.
Angesichts der erheblichen Subventionen auf sogenannten „Zukunftsfeldern“ (gemeint sind High-Tech-Bereiche mit schnellem Wandel) scheint mir das volkswirtschaftliche Entlastungsargument auch schlagend zu sein: Warum sollen Subventionen nur gut sein, wenn sie „an der Spitze“ des Produktions- und Zivilisationssystems erfolgen? Sind sie nicht auch notwendig und gut, wenn sie an der Basis vorgenommen werden, und dadurch das Gesamtsystem in seiner Breite entlasten?  
Wenn man das bejaht, wird man die flächendeckenden Agrarsubventionen nicht mehr als „veraltet“ und „verschwendet“ abtun, sondern sie lebhaft verteidigen. Natürlich bedeutet das auch, dass man für bestimmte, besonders schwierige Aufgaben und Lagen der Land-Bewirtschaftung (Bergregionen, entlegene Regionen, schwierige Böden, Wasserknappheit, extremes Klima, bäuerliches Kleineigentum, Abwanderungsdruck…) mit Sonderprogrammen fördert.

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Das Problem ist die Europäisierung der Agrarförderung – Damit die Subventionen ihre Entlastungswirkung erzielen können, müssen sie den Bedingungen der jeweiligen Volkswirtschaft angepasst sein. In Europa sind die Bedingungen der Nahrungsmittel-Erzeugung und das relative Gewicht, das dieser Bereich in den einzelnen Volkswirtschaften hat, sehr unterschiedlich. Das Niveau der Basis-Förderung und die Ausstattung von Einzelprogrammen muss daher sehr unterschiedlich ausfallen. Das kann nur im nationalstaatlichen Rahmen geschehen. Nur in diesem Rahmen kann es demokratisch legitimiert und kontrolliert werden. Weder kann man ein einheitliches Maß für das gesamte EU-Gebiet finden, noch kann man die Dinge den einzelnen Regionen anhängen, die alleine oft gar nicht die notwendigen Mittel haben. Die nationale Ebene ist als mittlere Ebene dazwischen die richtige Ebene. Ich habe den Eindruck, dass die Kritik am gegenwärtigen System der Agrarförderung oft gar nicht so sehr das Flächenprinzip an sich meint, sondern vielmehr den zu großen EU-Gesamtrahmen, der das Flächenprinzip zu grob, zu gleichförmig, zu realitätsfern macht. Die Subventionskritik ist oft eine unaufgeklärte Kritik an einer sachfremden EU-Zuständigkeit: der Zuständigkeit in der Agrarpolitik.

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Die verdeckte Subvention der Städte – „Was soll dieser ganze Aufwand für das Land?“ ist ein verbreiteter Einwand. „Subvention“ und „Landwirtschaft“ ist fast ein Synonym. Jedenfalls in Großstädten, wo man dazu neigt, Subventionen als eine extra für das Land erfundene Sonderleistung anzusehen. Das Wort von der „Bauernlobby“ ist auf das Vorurteil zugeschnitten, dass bei den Subventionen für die Landwirtschaft besonders mächtige Interessengruppen und Besitzständler am Werk sind, die sich an öffentlichen Mitteln bereichern. Ja, da sollte man wirklich einmal eine Rechnung aufmachen. Dann müsste man allerdings Dinge auf die Rechnung setzen, die der Großstädter gar nicht im Blick hat und als eine Art „Naturausstattung der Stadt“ ansieht: Zum Beispiel die Tatsache, dass ihm mit seiner Stadt eine ungleich dichtere, vielfältigere, aufwendige Infrastruktur zur Verfügung steht, als sie auf dem Land vorhanden ist oder irgendwann vorhanden sein könnte. Da gibt es die Dichte der Verkehrswege und öffentlichen Verkehrsmittel, die Zahl der Bildungs-, Gesundheits- und Kultureinrichtungen auf gehobenem Niveau. Die ganze, großenteils unterirdische Versorgungs-Infrastruktur für Wasser, Energie, Telekommunikation, die Abwasser und Müllentsorgung. Natürlich gibt es das heute auch auf dem Land, aber nicht in der vergleichbaren Dichte.
Wenn man diese Dinge berücksichtigt, dann ist die Existenz des Großstädters eine hochsubventionierte Existenz. Und interessanterweise wird diese Subvention ganz ähnlich legitimiert wie man es auch bei den Agrarsubventionen machen kann: Die Infrastrukturausstattung der Städte entlastet von Kosten, die sonst das Leben und die Arbeitsleistung der Städter schwer beeinträchtigen würden. Die große Stadtmaschine ist eine Entlastung der Volkswirtschaft, und in dieser Hinsicht rechnen sich die kolossalen öffentlichen Investitionen und laufenden Betriebsgelder, die in die Großstädte fließen. Aber es ist tatsächlich eine Subvention. Eine, wohlgemerkt, sinnvolle Subvention, denn sie würde – wenn die gesamte urbane Infrastruktur über Marktpreise bezahlt werden müsste – sehr schwer auf der Volkswirtschaft lasten.
Es geht also nicht darum, nun eine Neid-Diskussion zu entfachen, in der Stadt und Land sich jeweils gegenseitig ihre Förderung durch die öffentliche Hand – es sind die vereinigten, steuerzahlenden Bürger des Territorialstaates – streitig machen. Beide Förderungen sind im Grundsatz sinnvoll. Aber hier ist heute auch eine nationale Diskussion fällig, ob die Relationen in der Zuwendung für Stadt und Land stimmen. Seit einiger Zeit gibt es bekanntlich einen Großstadt-Hype, der zu die großen Städte aus den Nähten platzen lässt, während es auf dem Land vielfach Schwierigkeiten gibt, die Arbeitsplätze zu besetzen, die medizinische Versorgung zu gewährleisten, die Mobilität zu sichern und die Bevölkerung zu halten. Die Schieflage hat ein Ausmaß erreicht, die für beide Seiten (und für Deutschland als Gesamtheit) zur Belastung wird.

IV. Diskursbeobachtung: Das Neue und das Alte  

Wenn in der politischen Rede allzu suggestiv von dem Wortpaar „das Neue“ und „das Alte“ Gebrauch gemacht wird, sollte man aufhorchen. Denn dies Wortpaar kann einen zerstörerischen Charakter bekommen. Wenn nämlich „das Neue“ als etwas in sich Geschlossenes einem ebenso geschlossenen „Alten“ gegenübergestellt gestellt wird, findet das Denken in Kontinuitäten der Entwicklung keinen Platz mehr im Denken – die feindliche Gegenüberstellung von neu und alt kappt die Entwicklungslinien. Er schafft eine Art tabula rasa – angeblich, um Platz für das Neue zu schaffen. In Wirklichkeit entwurzelt er das Neue, beseitigt die Erinnerung an die Errungenschaften des Alten und einen kritischen Maßstab, an dem die Gewinne des Neuen zu messen sind. So wird nicht nur die Gegenwart entwurzelt, sondern auch die Zukunft. Die Zeitordnung wird kurzatmig. Eine besonders törichte Beschreibung der Moderne besteht darin, dass sie als eine Ordnung des „ständig Neuen“ und des „immer schneller Neuen“ dargestellt wird.
In einem sehr einleuchtenden Buch über die Kontroverse zwischen dem Konservativen Edmund Burke und dem Revolutionär Thomas Pain hat Yuval Levin herausgearbeitet, das der Unterschied zwischen den Beiden nicht darin bestand, dass der eine „gegen“ Veränderung und der andere „für“ Veränderung war, sondern dass der eine skeptisch gegenüber der Fähigkeit der Menschen war, gleichsam aus dem Stand eine ganze neue Welt zu schaffen, während der andere fest an eine solche Radikal-Fähigkeit der Menschen glaubte (siehe Yuval Levin, The Great Debate – Edmund Burke, Thomas Paine and the Birth of Right and Left). Es ging um die Zeit zwischen dem Ende des 18. und dem Anfang des 19. Jahrhunderts und Burke war ein Anhänger behutsamer Veränderungen während Paine ein Anhänger des radikalen Bruchs war. Beide Positionen schieden sich insbesondere an der französischen Revolution, die auf ihrem Höhepunkt bekanntlich einen neuen Kalender einführte, der mit dem Jahre 0 begann. Dieser Versuch, die Geschichte ganz neu beginnen zu lassen, ist bekanntlich kläglich gescheitert. 
In unseren Tagen ist man wieder dabei, den großen Feldzug des Neuen gegen das Alte an die Stelle sachlich-sorgfältiger Entwicklung zu setzen. Man höre sich nur die Gigantomanie des Neuen an, die die amtierende Bundeskanzlerin auf dem „Weltgipfel“ in Davos von sich gegeben hat. Sie kündigte dort „Transformationen von gigantischem historischem Ausmaß“ an, bei denen „die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es uns im Industriezeitalter angewöhnt haben, in den nächsten 30 Jahren verlassen werden.“ Wenn es danach geht, sind wir also in diesem Jahr 2020 in einem Jahr O, und wir vollziehen eine große Bewegung des „Verlassens“. Das „Verlassen“ ist ein „Aufgeben“; es zeigt eine fundamentale Leere. Denn Frau Merkel hat nichts zu bieten, was im Maßstab des Wirtschaftens und Lebens im Industriezeitalter an seine Stelle treten könnte. Die heutige Gigantomanie ist gigantisch nur im Negativen. Sie kann nur „Weg mit!“ schreien. Nein, ich weiß, die Kanzlerin schreit nicht. Aber welche innere Raserei muss in dieser Person – und in dem sozialen Milieu, das jetzt mal eben „Abschied vom Industriezeitalter“ nehmen will – am Werk sein?
Die Meinungsmacher und Regierenden wollen uns weismachen, dass die sogenannte „Hassrede“ das Hauptproblem in Deutschland ist. Doch viel wichtiger ist es, sich mit der Sprache des Verlassens, des Entleerens, des Abbruchs zu befassen – mit der Zerstörungsrede.  

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Im Monat Januar ist ein Text aus Anlass des Austritts Großbritanniens aus der EU im Rahmen meiner Kolumne bei „Tichys Einblick“ erschienen: „Die Rehabilitierung der Nation“ (27.1.2020). Ein Text zur Machtergreifung der „Agrarwende“ erscheint dort in Kürze.

Mit besten Grüßen aus Berlin, Ihr

Gerd Held