Gegen die zunehmenden Versuche, die Sprache aus ihrem Bezug zur Wirklichkeit zu lösen und zur willkürlichen Verfügungsmasse zu machen.
Was ist „framing“ und was kann man ihm entgegensetzen?
9. März 2019
Der Begriff „framing“, den man wörtlich mit „Rahmung“ übersetzen müsste, ist in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden durch eine „Studie“ im Auftrag der ARD, die die Möglichkeit der Lenkung der öffentlichen Meinung durch bestimmte Wort- oder Satzprägungen zeigte und Vorschläge, wie die ARD das nutzen sollte, machte. Wenn „framing“ hier also ganz offiziell zum Programm erhoben wurde, so findet es schon länger in mehr oder weniger verdeckter Form statt, indem es einfach in den normalen – mündlichen oder schriftlichen – Sprachfluss eingebaut wird.
Es gehört zu der großen Verschiebung, die in Deutschland und anderen Ländern, die sich der freien Welt zurechneten, festzustellen ist: Die unabhängige Öffentlichkeit basierend auf der Freiheit der Meinung und der Freiheit, sie öffentlich zu verbreiten, wird zur gelenkten oder formierten Öffentlichkeit. Dabei herrscht nicht direkt Zensur und Diktatur, sondern ein subtilerer und intimerer Eingriff in das Denken, indem die Sprache (auch die Bildersprache) in einer bestimmten Richtung zugeschnitten wird. Ähnliches geschieht auch, wenn erklärt wird, dass man für diesen oder jenen politischen Zweck (zum Beispiel „Europa“) eine „große Erzählung“ braucht.
Wir stellen tatsächlich heute bei zahlreichen Ereignissen mit Erstaunen und Erschrecken fest, dass sie völlig einseitig dargestellt werden, und dass dies orchestriert – in einem fast blinden Zusammenspiel verschiedener Akteure ohne obersten Dirigenten – geschieht. Die Formierung der Sprache tut hier ihr Werk. Und diese „kulturelle Hegemonie“ ist heute salonfähig geworden und wird vielfach als „moderner“ Ersatz für die Konkurrenz politischer Parteien angesehen. Man kann die große Verschiebung daher auch als Verwandlung der freiheitlichen Demokratie in eine hegemoniale Demokratie bezeichnen.
In diesem Kontext ist „framing“ eine hegemoniale Aktivität. Dabei ist das Wort „framing“ beschönigend, weil es nicht nur um einen bloß äußerlichen „Rahmen“ für einen Inhalt geht, sondern der Inhalt selber verändert wird. Zugleich erweckt das englische Wort den Eindruck einer höheren Wahrheit, die von internationalen „Playern“ in einer Art „champions league“ gewonnen worden wäre. Das Wort „framing“ ist also schon selber geframt.
In diesem kurzen Beitrag geht es um die Frage, was man dem entgegensetzen kann und soll. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir genauer beschreiben, was framing ist und wie es funktioniert. Dazu möchte ich hier mit ihnen eine kleine Übung machen. Ich gebe Ihnen eine Reihe von framing-Worten und Sie versuchen – nach einer kurzen Denkpause – zu sagen, um welchen Sachverhalt es geht und in welcher Weise er sprachlich gesteuert wird.
Eine Übung mit typischen Framing-Worten
Folgende Worte wurden gegeben: „Respekt-Rente“, „Willkommenskultur“, „Rassismus“, „Aktivist“, „Populismus“, „Abschottung“, „Klima-Leugner“, „Man muss auf den einzelnen Menschen sehen“, „Ich bin erschüttert“, „Die Europa-Parteien“.
Die Beiträge zu den einzelnen Worten, die trotz der kurzen Bedenkzeit sehr zahlreich und ideenreich waren, können hier nicht so wiedergegeben werden, dass ich ihnen wirklich gerecht werde. Aber es zeigte sich, dass die Mechanismen des Framing, sobald man tatsächlich ein Wort genau ins Visier nahm, sich sehr konkret beschreiben ließen. Die Teilnehmer konnten sehr gut beobachten und die einzelnen Beiträge animierten sich gegenseitig. Es zeigte sich auch, dass jedes framing-Wort einzeln betrachtet werden sollte und jeweils seine Besonderheit hat. Würde man nur nach einer Gesamt-Ideologie suchen, die „dahintersteht“, würde die kritische Betrachtung stumpf und zäh.
Worin besteht Framing?
Die Übung hat gezeigt, dass es sich lohnt, sich wirklich im Einzelnen mit dem framing zu befassen. Daraus gewinnt man die Stärke, um den „Rahmen“ aufzubrechen und ihm tatsächlich zu entkommen. Zwei Komplexe erscheinen mir für die Beobachtung besonders wichtig, damit man den Scheuklappen, die das framing installiert, nicht unterliegt.
Der Sachverhalt:
Jedes Framing behandelt einen bestimmten Sachverhalt und knüpft an wirkliche Phänomene an. Es ist nie völlig frei erfunden. Es enthält daher immer auch ein Stückchen Wahrheit, aber eben nur ein Stückchen. Es ist daher wichtig, sich den Sachverhalt klarzumachen, um den es geht. Bei der „Respekt-Rente“ geht es um eine Sonderzahlung über die beitragsbasierte gesetzliche Rente hinaus. Es werden Fälle erzählt, wo Menschen „40 Jahre lang hart gearbeitet haben und am Ende von ihrer Rente nicht leben können“.
Hier beginnt die Verfälschung. Es wird der Eindruck erweckt, es stimme etwas nicht mit der beitragsbezogenen Rente und es müsse daher neben dieser Rente ein anderes Prinzip zur Begründung von Rentenansprüchen eingeführt werden. Wenn aber trotz „40 Jahren harter Arbeit“ keine ausreichenden Rentenansprüche durch Beitragszahlung erworben wurden, dann war der Lohn (ergo die Beitragszahlung) zu gering und das hat nicht zuletzt mit der Ertragslage in bestimmten Unternehmen und Branchen zu tun. Die Einführung einer Respekt-Rente behandelt nicht die Lohn- und Ertragsfrage, sondern führt eine reine Zuwendungsrente ein, die mit einer Bedürftigkeit begründet wird. Indem das Beitragsprinzip umgangen wird, wird die Rente zur einseitigen Gabe, zur Sozialhilfe. Die Selbständigkeit und Würde des Arbeitsnehmers, die auf dem Prinzip „Lohn für Arbeit“ beruhte und mit der Beitragsrente auch nach dem Berufsleben erhalten bleibt, wird mit der Respekt-Rente untergraben.
Auch wenn es sich bei der Respekte-Rente zunächst um eine begrenzte Zahl von Fällen handelt, ist hier doch das Tor zu einem Systembruch geöffnet. Aber diese Tatsache wird erst deutlich, wenn man sich den Sachverhalt, um den es hier geht, vor Augen führt – und zwar den ganzen Sachverhalt der Altersrente und nicht nur Härtefälle, mit den man den Ruf nach „sofortiger Hilfe“ auslösen kann. Framing verstößt in diesem Sinn gegen die Pflicht, die „ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ zu sagen (um es mit einer juristischen Formel auszudrücken).
Die Semantik der Worte:
Im Fall der Respekt-Rente könnte man sagen, dass damit der Respekt, der in der lohnbasierten, beitragsbezogenen Rente enthalten ist, entwertet wird. Die Respekt-Rente wäre also eine Respekt-zerstörende Rente. Aber es gibt ein Haken beim Wort „Respekt“ (einige Seminarteilnehmer haben darauf hingewiesen): Mit dem Wort „Respekt“ verbinden wir die Vorstellung einer einseitigen und subjektiven Zuwendung. Es heißt „Wir erweisen jemandem Respekt“, und die Handlung und das Ermessen liegt bei uns – nicht bei dem, dem Respekt erwiesen wird. In dem Wort „Respekt“ ist also gewissermaßen der Charakter einer Zuwendung schon eingebaut. Man könnte auch sagen, dass derjenige, der da so großzügig Respekt verteilt, auf dem hohen Ross geritten kommt. Der Lohn und die gesetzliche Rente sind aber objektive Realitäten, die gerade nicht erst dadurch zustande kommen, dass jemand einem anderen etwas „erweist“. Stellen Sie sich vor, Sie erhalten ihre Monatsabrechnung aus dem Lohnbüro und diese fängt mit den Worten an: „Aus Respekt vor ihrer Leistung überweisen wir Ihnen diesmal…“
Man sieht an diesem Beispiel, dass es auf Sprachgefühl ankommt, um die Wirkungsweise von framing zu verstehen. Worte haben immer eine bestimmte Bedeutung und eine bestimmte moralische „Färbung“ (Konnotation). Oft hat ein Wort recht unterschiedliche Bedeutungen und belegt ein ganzes Bedeutungsfeld. Worte transportieren oft bestimmte Beziehungen und Verhältnisse – Sachverhältnisse und soziale Verhältnisse. Oft sind sie mit bildlichen Vorstellungen verknüpft, die diese Verhältnisse ausdrücken. Wir sind uns dieser Fracht der Worte oft nicht bewusst, aber sie ist trotzdem da.
Was soll man dem entgegensetzen?
Die ARD-Studie, die sich für den Einsatz von framing stark macht, kann zu der Schlussfolgerung führen, es käme vor allem darauf an, die Manipulateure zu identifizieren und zu bekämpfen. Ich sehe das etwas anders. Meine Beschreibung konzentriert sich auf das was in der Sache mit Sprache und Wirklichkeit geschieht. Es ist für die Auseinandersetzung nicht so wichtig zu wissen, von wem es kommt. Ich bezweifle auch, dass Framing-Worte von jemand frei erfunden oder von sogenannten „think-tanks“ aus der Retorte hergestellt werden. Meistens entsprechen sie der Sichtweise bestimmter sozialer Milieus oder einem bestimmten Zeitgeist. Die „Respekt-Rente“ ist zweifellos in der Blase des billigen Geldes und der dort wuchernden Zuwendungspolitik geboren. Oft übernehmen wir auch ein bestimmtes framing, ohne uns dessen bewusst zu sein und ohne gewahr zu werden, wie dadurch unser Denken (und eventuell ein Text, den wir schreiben) gesteuert wird. Da liegt die anspruchsvollere Aufgabe der Aufklärung, die wichtiger ist als die Kritik der Manipulateure – so dummdreist manche auch aus der Wäsche gucken.
Es geht ja auch nicht nur um die Zurückweisung von framing, sondern – gerade hier in diesem Kreis junger Publizisten – darum, was man dem eigentlich entgegensetzen soll und kann. Ich sehe da zwei Möglichkeiten:
- Man könnte eine Art „Gegen-Framing“ machen. Man könnte also seinerseits versuchen, bestimmte Worte zu prägen – Gegen-Worte eben. Das hätte den Vorteil der Schlagfertigkeit. Man könnte schnell reagieren. Und das könnte auch witzig sein. Zum Beispiel, wenn man die in Umlauf gesetzten Wortprägungen ad absurdum führt und dadurch die Infamie der lenkenden Absicht bloßstellt. Das ist die Kunst der Satire. Der Nachteil wäre, dass auf diese Weise wirkliche Gegenpositionen nicht entwickelt werden. In der Sache kommt man nicht wirklich voran. Wenn es ganz schlecht läuft, landen wir bei einem reinen Kampf der Worte – in einem leeren Raum, der von jeder Seite beliebig mit Wort-Prägungen besetzt wird. Also in einer Art Manipulations-Wettbewerb.
- Die andere Möglichkeit bestände darin, nach Worten zu suchen, die besser den tatsächlichen Sachverhalt treffen. Das setzt eine nähere Beschäftigung mit der Wirklichkeit voraus. Man muss fachliches Wissen entwickeln und eine Position aufbauen, von der aus man urteilen kann. Der Nachteil ist klar – es dauert länger und geht auf Kosten der Schlagfertigkeit. Und doch gibt es einen gewichtigen Grund, diese zweite Variante stark zu machen. Denn nur so begegnet man jener größeren Gefahr, die das framing verdeckt mit sich führt: In dem Maße, wie die „Lenkung durch Worte“ sich durchsetzt, verliert die Gesellschaft ihren Sinn für die Wirklichkeit. Die Welt wird dann zu einem völlig offenen Spielfeld, auf dem man beliebig seine eigenen Realitäten erfinden („konstruieren“) kann. Heute geht man ja schon daran, das Geschlecht der Menschen als ihre eigene Konstruktion anzusehen. Nur wenn man davon ausgeht, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig von jedem framing schon da ist und der man mit den Möglichkeiten einer gegebenen Sprache gerecht werden muss, kann man der Gefahr entgehen, sich in einem Spiel willkürlicher Macht (und willkürlicher Sprache) zu verlieren. Die beiden oben angeführten Punkte „Der Sachverhalt“ und „Die Semantik der Worte“ zielen auf diese unabhängigen Größen. Weder die Dinge dieser Welt noch die Worte dieser Welt sind frei erfunden und beliebig zu ändern. Erst durch diese unabhängigen Größen geht unsere Freiheit über eine bloße Ego- oder Wir-Freiheit hinaus.
Hier ist eine Fußnote zum Weiterdenken angebracht: Man kann „die Wirklichkeit“ nicht als eine feste, ewig gleiche Instanz beschwören. Sie ist ebenso im Wandel wie die sprachliche Ordnung. Dieser Wandel ist sehr interessant und auch sehr anstrengend, weil er unabhängig vom Willen der Menschen stattfindet. In dieser Lage braucht das Denken und Handeln durchaus Orientierungen, aber diese Orientierungen müssen sich auf „etwas“ beziehen – auf eine sperrige Welt, auf Gegenstände, die wirklich Gegen-Stände sind. Der Kritik am framing geht es nicht darum, jede Orientierung abzulehnen. Sie richtet sich dagegen, den Wandel der Wirklichkeit so zurechtschneiden, wie er einem am besten passt. Die Orientierungen umgehen die härteren Seiten des Wandels. Mit anderen Worten: „Framing“ ist eine selbstgewisse und daher bequeme Aktivität. Dies Merkmal kann man in diesen Tagen besichtigen, wo halbe Kinder als Avantgarde der „Klima-Welt-Rettung“ auftreten.
Politisches Schlusswort
Ich plädiere also für die Tugend eines wohlverstandenen Realismus. Diese Tugend ist auch ganz aktuell politisch gefragt. Gegenwärtig hört man einen vielstimmigen Chor, der das Lied der „richtigen Werte“ singt. Demnach käme es in der Politik darauf an, „die richtigen Werte zu haben“. An ihnen sollen sich gut und böse scheiden. Aber es ist recht wohlfeil, für das Gute und Schöne zu sein. Der kritische Punkt liegt dort, wo die Werte mit der Realität konfrontiert sind. Denn sie können dort nicht einfach „umgesetzt“ werden, sondern sie werden von der Realität gebrochen. Mit anderen Worten: Handelnde Menschen müssen sich von den „reinen Werten“ zu einem erheblichen Teil verabschieden. Das sind sozusagen die Arbeitskosten (und manchmal auch die Kriegskosten) dieser Welt. Ob man diese Kosten tragen will, ist die eigentliche Tugendprobe: Haben wir den Mut, die Widrigkeiten und Einschränkungen der Wirklichkeit auf uns zu nehmen? An diesem Mut – und nicht an der Reinheit der Werte-Bekenntnisse – scheiden sich heute die politischen Lager. Das gilt für Migration, Klima und Euro, aber auch für das oben angeführte Framing-Beispiel der Rente.
(Es handelt sich um einen Vortrag, den ich auf einer Tagung des Juniorenkreises Publizistik der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft, die in Kooperation mit „Die Achse des Guten“ und dem Blog „Apollo News“ vom 8.-10.März in Berlin veranstaltet wurde, gehalten habe. Der Vortrag wurde am 1.4.2019 bei „Die Achse des Guten“ veröffentlicht)