19.07.2016

(Im Gefängnis der Worte, Folge 2) 

Weder „Flüchtlinge“ noch „Arbeitsmigranten“

Im offiziösen Sprachkodex, der die Politik und die Medien in Deutschland bestimmt, werden bis heute – allen zwischenzeitlichen Erfahrungen zum Trotz – die ins Land drängenden Migranten mit dem Oberbegriff „Flüchtlinge“ geführt. Und das, was man zunächst einmal einfach als Migrationskrise bezeichnen müsste, heißt bei uns „Flüchtlingskrise“. Das hat Folgen. Jedes Wort ist mit bestimmten Vorstellungen verbunden. Indem wir es gebrauchen, lenken wir das Denken (unser Denken und das Denken anderer) auf bestimmte Bahnen. Es gibt treffende und irreführende Bezeichnungen. Ja, in manchen Fällen darf man ruhig von „Lügenworten“ sprechen, wenn sie ganz offensichtlich und wiederholt die wahren Verhältnisse verschleiern.

Die Rede von „den Flüchtlingen“

Die Assoziationen, die durch das Wort „Flüchtling“ geweckt werden, sind klar: Wir stellen uns Menschen vor, die sich unter dem äußeren Zwang einer Notlage oder einer fremden Gewalt auf den Weg machen. Sie haben keine Alternative. Sie handeln deshalb nicht aus freiem Willen und sind für ihre Entscheidung nicht verantwortlich. Ohne Zweifel gibt es in den massiven Bevölkerungsbewegungen, die sich gegenwärtig auf Deutschland, Europa und andere Wohlstandsregionen der Welt richten, Menschen, auf die das Wort „Flüchtling“ zutrifft. Aber für die Gesamtbewegung ist „Flucht“ nicht der angemessene Oberbegriff. Hier sind nicht nur Hilflose und Getriebene unterwegs. Die Vorgeschichte dieser Welle ist keine allgemeine Verelendung, kein Weltkrieg, keine globale Naturkatastrophe. Gewiss gibt es Notlagen, Katastrophen und Kriege, doch generell ist die Versorgung mit Nahrung, Gesundheit, Information in den ärmeren Regionen der Welt in den vergangenen Jahrzehnten besser statt schlechter geworden. Deshalb sind es oft nicht extreme Notlagen, sondern neue Wünsche und Ansprüche, die die Menschen in Bewegung setzen, die Staaten auseinanderbrechen lassen und die dann im Gefolge tatsächlich auch zu Krieg, Gewalt, Hunger, Krankheit führen. Auch die Todesfälle auf den Migrationsrouten gehören zu diesen Folgen.

Das macht diese Opfer nicht weniger erschreckend und unsere Anteilnahme nicht geringer. Aber es gibt hier noch eine andere moralische und politische Pflicht: Wir müssen fragen, ob diese globale soziale Mobilisierung sinnvoll ist. Ob sie zum Besseren führt. Oder ob sie ein Irrweg ist, der nur noch größeres Unglück heraufbeschwört. Weil hier nicht einfach ein höherer Zwang regiert, sondern von Menschen eine Wahl getroffen wird, muss nach der Vernünftigkeit dieser Wahl gefragt werden. Und es muss nach den unterschiedlichen sozialen Gruppen gefragt werden, die unterwegs sind. Es müssen Begriffe für die großen Fraktionen und ihre unterschiedlichen Motive gebildet werden.

Doch die generelle Rede von „den Flüchtlingen“ verhindert das. Sie hat auch etwas Drängendes. Es muss unbedingt gerettet werden. Sie duldet keine prüfende Distanz. Sie wartet das Anerkennungsverfahren des Asylbewerbers nicht ab, sondern nimmt ihr Ergebnis moralisch schon vorweg. Geboten ist auf jeden Fall das „Ja zur Migration“ und diese Konsequenz ist im Leitwort „Flüchtlinge“ schon vorprogrammiert.

Bei der „Integration“ ist der Flüchtlings-Status schon gelöscht

Doch jetzt kommt es mit dem Oberbegriff „Integration“ zu einer merkwürdigen Verwandlung. Auf einmal geht es nicht mehr um eine Notlage und Nothilfe. Auf wundersame Weise wird der hilflose Flüchtling zu einer positiven Ressource. Nicht um seine Rettung geht es, sondern gerettet werden muss nun das alternde schrumpfende Deutschland. Aus Flüchtlingen werden Retter. Und auf einmal passen diese Leute haargenau für die Lösung unserer Probleme – ohne dass wir sie vorher gezielt durch Einwanderungspolitik in den Herkunftsländern angeworben hätten. Es ist wie die magische Verwandlung von Wasser in Wein. Gerade waren sie noch das Elend der Welt, jetzt sind sie „jung“, „gebildet“ und „hochmotiviert“. Gerade war ihre Not so groß, dass man sie (ohne Prüfung) erstmal alle ins Land lassen musste. Nun sind sie eine so große, kostbare Ressource, dass wir sie (wiederum ohne Prüfung) alle integrieren müssen.

Dazu müssen wir neue, noch größere Vorleistungen erbringen. Es geht um sehr viel Geld, um ein Vielfaches der Kosten der Erstaufnahme. Kosten, die sich über Jahre und Jahrzehnte erstrecken können. Aber noch bedeutsamer ist eine innere Grenzauflösung: Im Zeichen der Integration müssen unsere Wohnhäuser, unsere Schulen, unsere Betriebe, unsere Kultur- und Freizeitanlagen bedingungslos geöffnet werden. Auch denen, die noch keine Anerkennung als Asylanten haben. Sogar denen, die schon ausdrücklich abgelehnt sind und nur „geduldet“ werden. Ja, sogar denen, die ihre Ausweise vernichtet und ihre Identität gefälscht haben – also Straftaten begangen haben.

Die Rede von der „Integration“ markiert also einen zweiten Dammbruch in Deutschland. Nach der Auflösung unserer Außengrenzen (an der sich nichts geändert hat) findet nun eine Auflösung an den inneren Grenzen unserer privaten und öffentlichen Güter statt. Ein Dammbruch vor allem in den Kommunen. Ein Dammbruch im Herzen unseres Landes.

Sind es also „Arbeitsmigranten“?

Nun gibt es durchaus eine soziale Teilgruppe der Migranten, die wichtige Ressourcen für ihr Zielland mitbringen – Arbeitskraft, Fachkenntnisse, Bildung, Fleiß und vieles mehr. Dafür gibt es den Begriff der „Arbeitsmigranten“ (oder auch „Wirtschaftsmigranten“). Man könnte auch die Siedlermigration mit ihren Pionieren hier anführen. Kann man die Migrationswelle der Gegenwart also insgesamt oder in der Hauptsache als Arbeitsmigration verstehen? Ohne Zweifel gibt es Teilgruppen in diesem Sinn, aber auf die große Mehrheit trifft das ganz offensichtlich nicht zu – wenn wir die jungen Männer, die ca. 70% der gegenwärtigen Migrationswelle ausmachen, mit den „Gastarbeitern“ früherer Jahrzehnte vergleichen. Dort waren von vornherein Arbeitserfahrungen und eine bestimmte Erwartung an das Arbeitsleben in Deutschland vorhanden. Es ist daher kein Zufall, dass es gerade in der Gastarbeiter-Generation Skepsis gegenüber den heutigen Neu-Migranten gibt.

Auf einer Konferenz des IFO-Instituts wurden ernüchternde Zahlen zur Qualifikation und Berufsfähigkeit der Migranten bekannt. Zwei Drittel aller Migranten aus Syrien haben keine professionelle Qualifikation. Nach Schätzung des IFO-Präsidenten Clemens Fuest ist in der Gesamtbilanz kein positiver Beitrag zum deutschen Steuer- und Transfersystem zu erwarten (Bericht in der FAZ vom 2.7.2016). Das Problem liegt dabei noch tiefer als es der Ausdruck „niedrige Qualifikation“ besagt. Wenn es nur darum ginge, fehlende Qualifikationen nachzuholen, wäre die Vorleistung von Schulen und Betrieben noch überschaubar. Aber es fehlt etwas Grundlegenderes: eine Lernmotivation, die die Migranten überhaupt zum Nachholen bringt. Qualifikation ist keine Dienstleistung, die an den Auszubilden verrichtet wird wie ein Haarschnitt. Nach Angaben der Handwerkskammer München und Oberbayern haben 70% der Syrer, Iraker und Afghanen, die vor zwei Jahren eine Berufsausbildung begonnen haben, diese inzwischen abgebrochen. Das passt zu einer Erfahrung, die inzwischen aus vielen Bildungsstatistiken hervorgeht: Unter den jugendlichen Migranten aus dem arabisch-türkisch-islamischen Kulturkreis gibt es eine weit überdurchschnittliche Quote des Scheiterns.

Warum die Fiktion der Arbeitsmigration aufrechterhalten wird

Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, hat im Herbst 2015 in einer Rede zur Frankfurter Internationalen Automobilausstellung eine steile These aufgestellt: Diejenigen, die ihr komplettes Leben zurücklassen, müssten doch hochmotiviert sein. Und weiter wörtlich: „Genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land.“ Im besten Fall könne dies dann auch „eine Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder“ werden (zit. n. FAZ 4.7.2016). Das Argument ist abenteuerlich unlogisch. Wie sollte allein aus einem „Zurücklassen“ des bisherigen Lebens eine hohe Arbeitsmotivation entstehen? Wie soll aus dem rein negativen Vorgang der Entwurzelung eine positive Ressource werden? Was das angeblich vorher bestehende „komplette Leben“ betrifft, ist es im Fall der jungen, alleinstehenden, männlichen Migranten aus dem arabisch-islamischen Raum gerade nicht gegeben. Dort gibt es ein von patriarchalischen Klientelsystemen geprägtes Leben, in der sich weder Arbeitsethos noch Familienverantwortung ausbilden konnten.

Die Daimler AG hat es auch gar nicht erst darauf ankommen lassen, diese rosige Story einmal im eigenen Betrieb zu testen. Sie hat bisher keinen einzigen Neu-Migranten eingestellt. Eine Erhebung der FAZ (publiziert im oben genannten Artikel) hat insgesamt für die 30 DAX- Unternehmen (addierter Jahresumsatz 1,1 Millionen Euro, 3,5 Millionen Beschäftigte) folgendes Resultat erbracht: Insgesamt wurden bis Anfang Juni 2016 ganze 54 Neu-Migranten fest angestellt. Davon entfielen 50 auf die Deutsche Post, je zwei auf den Softwarekonzern SAP und den Pharmakonzern Merck.

Die generelle Rede von „der Arbeitsmigration“ ist also nicht weniger irreführend als die generelle Flüchtlings-Rede. Sie erfüllt die Funktion einer Ausflucht. Wenn offensichtlich ist, dass die jungen, gut genährten, männlichen „Flüchtlinge“ weder arm, krank oder hilflos sind, wird so getan, als warteten sie alle auf ihre Arbeitswoche auf dem Bau, am Montageband oder im Pflegedienst. So findet sich in einem Kommentar von Nikolas Busse zu den Migranten aus den Maghreb-Ländern in der gleichen Ausgabe der FAZ der goldige Satz: „Die allermeisten nutzen das deutsche Asylrecht offenbar zur Arbeitseinwanderung.“ Aus den Maghreb-Ländern stammen bekanntlich die meisten der Kölner Sylvestertäter.

Der dritte Migrationstypus: Entwurzelt und bindungslos

Ganz offensichtlich gibt es also neben dem Flüchtling und dem Arbeitsmigranten noch einen dritten Grundtypus des Migranten, der ausgesprochen problematisch und destruktiv ist. Doch dafür gibt es bisher keine Wortprägung. Wir stehen einem wichtigen Sozialphänomen unserer Zeit buchstäblich sprachlos gegenüber. Die sozialwissenschaftliche Beschreibung dieses Typus ist kaum vorangekommen. Diese Beschreibung müsste bei einem offensichtlichen Merkmal anfangen: bei der Entwurzelung, die nicht zu neuen Bindungen, sondern in eine dauerhafte Bindungslosigkeit führt. Die Entwurzelung bedeutet aber nicht Schwäche und Verletzlichkeit (wie beim Flüchtling), und auch nicht die Suche nach einer neuen Existenzgrundlage (wie beim Arbeitsmigranten), sondern eine ungebunden-vagabundierende Kraft mit erheblicher destruktiver Energie.

Die Bindungslosigkeit bedeutet nicht, dass es nur um Einzelkämpfer ginge. Auch ohne ausgeprägte Organisation kann es ein gemeinsames soziales Milieu geben. In der sozialwissenschaftliche Milieuforschung gibt es den Begriff des „entwurzelten Milieus“. Dies Milieu gibt es in der deutschen Gesellschaft, aber es ist auch unter den Migranten schon identifiziert worden. In einer Studie des VHW, Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung umfasst es 9% aller Migranten. Bei einer erweiterten Definition von „entwurzelt“ würde man auf fast 25% kommen. Wenn man berücksichtigt, dass das ein Durchschnittswert für alle Herkunftsländer ist, kann man für den arabisch-islamischen oder auch für den afrikanischen Bereich durchaus auf einen Anteil von 33-50% für das bindungslose Milieu kommen. Man muss die Gefahr eines solchen Milieus mit seiner destruktiven Energie also ernst nehmen. Dabei muss man nicht zu ethnischen oder gar rassischen Zuschreibungen greifen. Man muss nur auf die gesellschaftlichen Entwicklungen schauen, und man muss sich von dem technokratischen Glauben befreien, Milieus seien durch Sozialpolitik („milieu building“) umzubauen.

Das Problem der Entwurzelung und der Grundtypus des bindungslos-vagabundierenden Migranten, der außerhalb des Gesetzes steht, hat auch eine historische Dimension. Die Auseinandersetzung mit diesem Problem gehört zur Vorgeschichte der modernen Rechtsstaatlichkeit und zur Ausbildung großer Marktwirtschaften. Gerade im historischen Maßstab wird deutlich, wie wichtig es ist, dass wir für die heutige Migrationswelle nicht nur die Begriffe „Flüchtling“ und „Arbeitsmigrant“ zur Verfügung haben, sondern noch einen dritten Grundtypus.

Damit ist auch eine politische Handlungsweise gefordert, die sich von der Nothilfe (beim Flüchtling) und von der Integration (beim Arbeitsmigranten) prinzipiell unterscheidet: Es wird eine einhegende, zurückweisende, repressive Politik gebraucht. Ein wachsendes Milieu der Entwurzelten und Bindungslosen kann kein modernes Land hinnehmen – hier brauchen wir eine offen erklärte Null-Toleranz-Politik.

Nach Nizza – Ein Nachwort aus aktuellem Anlass

Der Terrorangriff in Nizza und auch der Angriff in einem Regionalzug am Montag in Bayern zeigen, wie dringlich es ist, die zerstörerischen Kräfte in der Migration endlich wahrzunehmen. Wenn der sogenannte „Islamische Staat“ nun zum multiplen Terror im modernen Alltagsleben aufruft, dann gibt er keine Organisations-Befehle, sondern er appelliert an genau jenes Milieu der entwurzelten, vagabundierenden Migration, von dem in diesem Beitrag die Rede ist. Umso wichtiger ist es, nun alles zu tun, um ein weiteres Anwachsen dieses Milieus zu verhindern – also vor allem ein sofortiger Stopp zusätzlicher Einwanderung. Die weit über eine Million Migranten, die seit dem vergangenen Sommer völlig unkontrolliert ins Land drängen konnten, haben vor allem dies Milieu vergrößert. Deshalb darf es nicht sein, dass diese Leute durch eine vorauseilende Integration in unsere Wohnhäuser, Schulen und Betriebe aufgenommen werden. Stattdessen muss endlich ein glaubwürdiger Ausweisungsdruck aufgebaut werden – zum Beispiel dadurch, dass Duldungen schon bei kleineren Vergehen zurückgenommen werden. Und dadurch, dass die längst ausstehenden Abschiebungen endlich ausnahmslos durchgeführt werden.

 

 

(erschienen am 20.7.2016 auf der Internetplattform „Die Achse des Guten“)