Mit der „Verkehrswende“ gegen das Automobil und der „Energiewende“ gegen Kern- und Kohlekraftwerke wird Deutschland – nach der Migrationskrise – in eine zweite Existenzkrise gestürzt.

Wie man eine Industrienation zugrunde richtet

31. Januar 2019

Das Jahr 2019 beginnt, wie das Jahr 2018 zu Ende gegangen ist. Schritt für Schritt zeigt sich ein Krisenkomplex, der in seiner Größe und Wirkung mindestens so einschneidend ist wie die Migrationskrise. Es geht dabei nicht um bestimmte Branchen mit ihren Sonderproblemen, sondern überhaupt um die Identität Deutschlands als Industrienation mit ihrer spezifischen Arbeitsweise und Wertschöpfung, auch mit ihren Leidenschaften und ihrer Fähigkeit, Belastungen zu ertragen. Das wird an dem Doppelangriff deutlich, dem gegenwärtig gleich zwei grundlegende Industriesektoren ausgesetzt sind: im Verkehrsbereich wird das Grundelement „Automobil“ (sowohl als Diesel als auch als Benziner) angegriffen, im Energiebereich werden die großen Kraftwerke (sowohl die Kernkraftwerke als auch die Kohlekraftwerke) als stabile Träger der Grundlast-Versorgung angegriffen, ohne dass vergleichbar leistungsfähige Ersatzträger zur Verfügung stehen.

Das ganze Ausmaß dieser Krise ist erst im Laufe der vergangenen Monate und Wochen deutlich geworden. Vorher konnte es noch so erscheinen, als handele es sich um sehr begrenzte Eingriffe, die einzelne, besondere Technologien betrafen (die Kernenergie, den Diesel), doch jetzt ist klar, dass vor unseren Augen eine viel umfangreiche Delegitimierung der Industrie vollzogen wird. Nun sollen auch die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, die in Deutschland ungefähr 40 Prozent der Versorgung tragen. Und nun soll bei den Automobilen auch die Nutzung von Benzinmotoren drastisch eingeschränkt werden – diese waren zunächst anlässlich der „Dieselkrise“ den Bürgern von der Politik als verfügbare Alternative dargestellt worden. Nun ist der Generalangriff auf das Automobil als Massenverkehrsmittel da. Aber er wird verdeckt in der bürokratisch-neutralen Verkleidung von Grenzwerten vorgetragen.

Die diskrete Diktatur der Grenzwerte

Damit wird erst jetzt wirklich deutlich, dass die Industriepolitik, die hier getrieben wird, eine fundamentalistische Politik ist. Sie fragt gar nicht ernsthaft danach, ob es Ersatzlösungen gibt, die auch nur annähernd die Leistungen der abgeschalteten Verkehrs- und Energieträger erbringen könnten. Sie übernimmt diese Verantwortung für die Zukunft des Landes gar nicht. Ihr genügt der Hinweis auf „Höheres“. Das soll zum Beispiel „das Weltklima“ sein, genauer: eine bestimmte Gradzahl bei der Durchschnittstemperatur auf der Erde, jenseits derer angeblich die „Unbewohnbarkeit des Planeten“ droht. Oder eine bestimmte Konzentration von Stickoxyden oder Kleinstpartikeln (Feinstaub), die angeblich zu einer Luft führt, die „krank macht“ oder gar „zum Tode führt“.

Es sind absolute Großworte, mit denen man Grenzwerte, die bis ins Kleinste definiert sind, legitimieren will. Diese scheinhafte, bürokratische Präzision soll darüber hinwegtäuschen, dass die Frage, wovon ein Land leben soll, wie seine Bürger ihren täglichen Strombedarf und ihre täglichen Wege bewältigen sollen, damit gar nicht beantwortet wird. Diese Frage kommt nicht vor. Sie hat vor den angeblichen „höheren“ Weltfragen ihr Recht verloren. An diesem Punkt wird die Politik ideologisch. Verantwortung wird durch Gesinnung ersetzt. Und so entsteht eine Demontagepolitik, die immer nur sagt, was nicht geht (was „unerträglich“ ist und was „nicht sein darf“).

Der diktatorische Charakter dieser Politik wird jetzt deutlich und er wird das Jahr 2019 prägen. Die „reinen Messgrößen“ der Grenzwerte werden sich in die physische Gewalt von Fahrverboten verwandeln, die ohne Rücksicht auf die Realitäten des Lebens und Arbeitens gegen die Bürger durchgesetzt werden – vor allem auch mit Hilfe einer gegenüber den Folgen „blinden“ Grenzwert-Justiz.

Es wird kalt abgewickelt

Die Grenzwerte sind in ihrer unantastbaren Erhabenheit gleichgültig gegenüber jeglicher Notwendig des realen Lebens. Sie sind nicht abwägbar mit den Folgen für den Betrieb einer Großstadtregion – auch wenn die Bewohner dieser Region daran zugrunde gehen. Wenn sie ihre Wohnstandorte, in die sie viel investiert haben und die für sie Heimat sind, aufgeben müssen. Auch wenn die Arbeitswege für Handwerker oder Gesundheitsdienste nicht mehr zu bewältigen sind. Wenn Menschen auf unendlichen Wegen zur Arbeit, zur Schule, zum Einkauf, zum Arzt, zum Sport am Ende ihrer Kräfte sind, wenn sie mit immer neuen Ausfällen, Umsteigezwängen und Anschlussproblemen konfrontiert sind, wenn sie in überfällten Bahnen, auf kalten Bahnsteigen, mit schweren Taschen, Kinderwagen oder Getränkekisten nur mit äußerster Anstrengung die Wege meistern, dann zuckt die Grenzwert-Politik nur mit den Achseln: „So ist halt die Rechtslage“, „Das ist ein wissenschaftlicher Wert“, „Da können wir nichts machen“.

Die neue Industriedemontage dekretiert nur in den seltensten Fällen direkte die Schließung von Betrieben und Anlagen. Sie ist keine Demontage, wie wir sie aus Kriegs- und Nachkriegszeiten kennen, bei der ganze Anlagen abgerissen und weggeschleppt wurden. Nein, die heutige Demontage der Industrienation Deutschland kommt durch die Hintertür: Die Politik beschließt ihre „Grenzwerte“ – sollen doch die Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen und Haushalte sehen, wie sie damit klarkommen. Die Grenzwerte marschieren, und wenn die ganze Welt zugrunde geht. Auf den ersten Blick sehen diese Grenzwerte immer klein, harmlos und sogar „menschenfreundlich“ aus. So ein Grenzwert ist doch gut gemeint, soll sich die Öffentlichkeit denken. Und da er ein einzelner, kleiner Parameter ist, denkt man leicht, dass es in einem großen Betrieb doch leichtfallen müsste, eine Lösung zu finden. Dass es Spielräume für Anpassungen geben müsste, um ein solches „Detail“ zu verarbeiten. In Wirklichkeit gibt es Grenzwerte, die die gesamte Produktion und Wertschöpfung einer Branche aushebeln können. Das ist jetzt im Verkehrs- und Energiebereich bei bestimmten pauschalen Umwelt-Grenzwerten (bezogen auf die Grundelemente Luft, Wasser, Boden) der Fall.

Globale Normen, in Hinterzimmer-Gremien beschlossen

Gerade dort, wo sich Grenzwerte auf die universellen Grundelemente Luft, Wasser, Boden beziehen und eine bestimmte „Umweltgüte“ vorschreiben, können sie – bei willkürlicher Ansetzung – eine verheerende Wirkung haben. Scheinbar „kleine“ Regelungen können, da sie sich nicht auf bestimmte Produkte, sondern auf universelle Träger (Luft, Wasser, Boden…) beziehen, ganze Industrieländer zugrunde richten. Der Begriff „saubere Luft“ ist für das wirkliche Leben und Arbeiten viel zu absolut. Er unterteilt die Realität nach einem Schwarz-Weiß-Schema (sauber-schmutzig) unterteilt. Im Namen von solchen apodiktischen Wertungen kann ein gründlicheres Zerstörungswerk verrichtet werden als es mancher Krieg und manche totalitäre Planwirtschaft geschafft haben.

Aber wie entstehen eigentlich diese Grenzwerte? Wer setzte sie? Wer erhob sich auf die einsame Höhe, um Gute und Böse zu scheiden? In dem Moment, wo diese Frage gestellt wird, eröffnet sich ein Abgrund an dreister Willkür und Scheinheiligkeit. Es sind Gremien ohne demokratische Legitimation, in die sogenannten „Experten“ berufen werden, deren Qualifikation auf der Reputation unter ihresgleichen – also in bestimmten akademischen Milieus – beruht. Betrachtet man dann einmal im Detail die dort gefällten Entscheidungen und die Formulierungen, mit denen eine bestimmte Grenzmenge (z.B. die 40 Mikrogramm Stickstoffoxid pro Kubikmeter, die zu den Dieselverboten führen) „gefunden“ wird, so ist es vorbei mit der ganzen Erhabenheit und Unantastbarkeit. Ein ausführlicher Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31.1.2019 mit dem Titel „Eine Zahl macht Karriere“ ist in dieser Hinsicht sehr erhellend und entlarvend.

Und diese zusammenimprovisierten Texte, die sich zum Beispiel „Luftqualitätsleitlinien“ nennen, dienen dann als Grundlage, um ganze Industriezweige zu verdammen und eine Großkampagne gegen die „Betrügerei der Automobilkonzerne“ zu starten. Es war klar, dass die Bundeskanzlerin diese Kampagne eifrig mitbetrieb. Die „wissenschaftliche“ Legitimierung politischer Demontage-Entscheidungen war der “Physikerin der Macht“ sozusagen auf den Leib geschrieben.

Die Kampagne gegen den Dieselmotor war ein Lehrstück. Sie mobilisierte das Vorurteil, dass es für die Konzerne eigentlich ein Leichtes wäre, die Dieselgrenzwerte zu erfüllen, und dass nur ihre Profitgier sie daran hinderte. In Wirklichkeit waren die Grenzwerte so einschneidend, dass eine Einhaltung zu marktfähigen Kosten mehr als fraglich war. Den Konzernen ist vorzuhalten, dass sie das nicht offen gesagt haben und in einen offenen Kampf um größere Grenzwerttoleranzen eingetreten sind. Inzwischen ist klar, dass dieser Kampf unvermeidlich ist, wenn die Industrie nicht ihre Existenz aufs Spiel setzen will.

Und nun die Stilllegung aller Kohlekraftwerke

Die Autokrise ist im vollen Gange, da wird schon das nächste große Demontage-Unternehmen beschlossen: die Stilllegung aller Kohlekraftwerke. Wenn man die gesamte Energiepolitik des letzten Jahrzehnts zusammenfasst (also die Stilllegung der Kernkraftwerke mit einbezieht), wird damit praktisch der gesamte Park von Großkraftwerken demontiert. Also jener Park, der vor allem die kontinuierlich Grundlast-Stromversorgung Deutschlands sicherstellte. Ein vergleichbar stabile, von den Wechselfällen des Wetters und der internationalen Energiemärkte unabhängige Grundlast-Technologie steht nicht zur Verfügung. Die wohlklingend als „erneuerbar“ bezeichneten Energiequellen bieten diese Stabilität nicht. Die Kraftwerks-Demontage erfolgte mit zwei völlig gegenläufigen Begründungen: Der Stilllegungsbeschluss für die deutschen Kernkraftwerke erfolge unter dem Eindruck des Fukushima-Unfalls in Japan, man übertrug die Erdbeben-Gefahr auf Deutschland. Damit nahm man in Kauf, dass die Kraftwerke mit der besten CO2-Bilanz (das sind die Kernkraftwerke) wegfielen. Das Klimaproblem spielte also gar keine Rolle. Beim Kohlthema aber wird nun der Klimawandel zum absoluten Argument. Man erklärt ihn zu dem Verhängnis der Menschheit.  Alles wird unter den großen Schatten dieser Drohkulisse gestellt und es wird so getan, als müsse man im Notstands-Modus regieren. Ein Minimum an Ehrlichkeit würde da gebieten, dass man zuallererst den Ausstiegsbeschluss aus der Kernenergie revidiert.

Doch nichts liegt der herrschenden Energiepolitik ferner. Denn bei dieser Politik geht es gar nicht um Umweltschutz, sondern um eine Ablehnung großindustrieller Lösungen.

Das Ressentiment gegen die Großkraftwerke

Der gemeinsame Nenner, der die beiden Stilllegungsbeschlüsse – Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke – verbindet, ist das Wort „Kraftwerk“. Beide Beschlüsse richten sich gegen die Produktion in industriellen Großkraftwerken. Dass die jeweiligen (hochentwickelten) Technologien völlig unterschiedlich sind, interessiert nicht – der Vorbehalt, der hier zur Demontage führt, richtet sich gegen die „Größe“ der Maschinerie, die solche Kraftwerke darstellen.

Dahinter stehen ein fundamental industriefeindliches Weltbild und ein normativer Anspruch, der in der Sache nie wirklich begründet wird: der Anspruch, dass die Gewinnung von Energie „naturnah“ erfolgen muss, um nachhaltig zu sein. Die Künstlichkeit der „großen Maschine“, die im Energiesektor entstanden ist, soll ihr Sündenfall sein. Diese Künstlichkeit wird gleichgesetzt mit Instabilität. Die These, die – ausgesprochen oder unausgesprochen – dahintersteht, ist, dass nur das Naturnahe (und das Naturähnliche) stabil sein kann. Sie behauptet eine Natur, die „eigentlich“ von sich aus stabil ist. Sie glaubt an eine präetablierte Naturharmonie.

Doch dieser fromme Glaube wird von der Realität der regenerativen Energien in Deutschland inzwischen tagtäglich widerlegt: Hier ist eine bizarre Großapparatur aus unzähligen Anlagen und Leitungen, breit verteilt in der Landschaft, entstanden. Mit täglich wechselnden Energieströmen, die aufwendig koordiniert werden müssen. So muss – mit hohen Umwandlungskosten – aus einem Wirrwarr etwas Nutzbares gemacht werden. Das „naturnahe“ System entpuppt sich also ein System, das sehr störungsanfällig ist und das für die Stromerzeuger und -verbraucher eher einem Labyrinth gleicht als einem geordneten Betrieb.

Eine Diktatur auf Raten

Und doch soll diese Linie weiterverfolgt werden. Mit dem Jahr 2019 wird der die Demontage-Charakter dieser Politik sogar viel deutlicher zutage treten. Zugleich wird jede Alternative kategorischer denn je ausgeschlossen. Die industriefeindliche Politik soll als einzig wahre „wissenschaftliche“ Politik gelten und unrevidierbar sein. Über Deutschland liegt wie ein großer Schatten „der Klimawandel“. Er bildet die einzige und unantastbare politische Autorität im Lande. Erst ist eine Art (verdecktes) zweites Grundgesetz. Ohne ihn zu berücksichtigen, darf niemand regieren. Und das gilt nicht nur für eine Legislaturperiode. Während ein Verfassungsstaat nur Macht auf Zeit zulässt, wird hier eine Macht ohne Zeitlimit errichtet. So steht nun eine ferne Jahreszahl im Raum: das Jahr 2038. Bis dahin sollen alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Bis ins Jahr 2038 soll das politische Leben in Deutschland also heute schon festgelegt sein. Für diesen Zeitraum (und bis vollendete Tatsachen geschaffen sind) gibt es nur eine eingeschränkte Freiheit demokratischer Entscheidungen. Das ist die geheime Botschaft des Satzes, dass alles „auf einen guten Weg“ gebracht sei.

In dieser zeitlichen Streckung steckt auch Heimtücke. Die Demontage fängt langsam an. „Ihr habt Zeit“ sagen die Regierenden, aber die Richtung liegt fest. Es darf noch über das „wie“ der Demontage diskutiert werden, nicht mehr über das „ob“. Über die ganze Wegstrecke dieses 20-Jahresplans bis 2038 ist die Regierungsmacht alternativlos. Die Bürger werden mit kleinen Schritten und Geld beschäftigt und hingehalten. Das kann man eine Diktatur auf Raten nennen.

Und ausgerechnet diejenigen, die sich so als Dauer-Regierende im Land festgesetzt haben, wollen uns weismachen, sie stünden in einer weltweiten Auseinandersetzung zwischen liberaler und autoritärer Politik! Und sie wären die Vertreter der Freiheit!

 

(erschienen in meiner Kolumne bei „Tichys Einblick“ am 1.2.2019)